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Ein Sommer in Cassis. Peter Berg
Читать онлайн.Название Ein Sommer in Cassis
Год выпуска 0
isbn 9783347113572
Автор произведения Peter Berg
Жанр Контркультура
Серия Lesen ist das neue Reisen
Издательство Readbox publishing GmbH
„Das, mein Lieber, war die Vorspeise“, sagte sie mit klarem Triumph in der Stimme, „lassen wir den Hauptgang kommen!“ Das gekochte Fischfilet, in einer Steinform serviert, mit frischen Tomaten und provenzalischen Kräutern pikant abgestimmt, im Ofen überbacken, war köstlicher als aller Fisch, den ich je zuvor gegessen hatte. Dazu wieder eine Flasche des guten Weines, den Catherine fachkundig geordert hatte. Sie selbst saß nun vor einem Berg geleerter Muschelschalen, lehnte sich zufrieden zurück, lächelte mich an, während ich noch die restlichen Kartoffeln im Tomatensud wendete.
Wir hatten vielleicht fünf Minuten so schweigend gesessen. Ich war von der plötzlichen, mir durchaus nicht unangenehmen Kussattacke überwältigt ins Nachdenken verfallen. Hatte sie mir damit ein Geschäft angeboten: Ihre Liebe, ein verheißungsvolles Urlaubsabenteuer, gegen meine Mithilfe beim Aufdecken eines Verbrechens, das offenbar noch tiefere Abgründe eröffnen würde? Was wusste sie? Was gab es noch zu entdecken?
„Nun gut, ma chère“, begann ich erneut und zwang mich zu einem Lächeln, „nehmen wir den Kuchen oder den Pudding mit Krokant als Dessert?“
„Am besten beides, und dann teilen wir“, schlug sie vor.
Gut gesättigt, zufrieden und nun wirklich voll des guten Weines, der erfreulicherweise aber nicht in den Kopf stieg, verlangte ich die Rechnung.
Da beugte sich der Wirt herunter und flüsterte: „Monsieur, Sie wollen mit mir über Isabelle reden, nicht wahr? Ich habe es kommen sehen. Aber es geht nicht hier und heute. Morgen früh um elf können wir uns auf der Bank vorn am Brunnen treffen, auf dem kleinen Platz.“ Sagte es und ging die ‚Addition‘ holen, die Rechnung, die in Speiserestaurants dieser Art in einem Ritual bezahlt werden: Man verlangt die ‚Addition‘, „l’addition s’il vous plait!“, die verdeckt auf einem Tellerchen gebracht wird, zahlt dann, wenn der Kellner gegangen ist, indem man den als angemessen empfundenen Betrag, der natürlich über der Summe der Rechnung liegt, wieder verdeckt in das Papier auf dem Teller schiebt. Dann verlässt man in der Regel das Restaurant, ohne auf Wechselgeld zu warten. Alles eine Sache der Ehrerbietung und des Vertrauens.
Catherine schaute mich erwartungsvoll an, als wolle sie fragen: „Du gehst doch hin, morgen früh und nimmst unsere Ermittlungen auf?“
Ich nickte ihr nur lächelnd zu, der Wein hatte seine besänftigende Wirkung getan. Hätte ich gewusst, welch weitreichende Folgen diese Entscheidung haben würde, ich hätte wohl schleunigst die Flucht ergriffen.
„Sag, warum hast du mir bisher dieses hervorragende Restaurant verschwiegen?“
„Du wärst auf Isabelle gestoßen, dort hättest du den Morgenflirt fortsetzen können!“ kam die prompte Antwort. Hatte sie schon vor dem Mordereignis ein Auge auf mich geworfen?
Die Nacht war mit tiefem, erholsamem Schlaf ausgefüllt. Seit ich den Stress meines Berufsalltages hinter mir gelassen hatte, schlief ich hier wie selten zuvor in meinem Leben. Keine nächtlichen Unterbrechungen, dafür ein halbwegs regelmäßiger Tages- und Nachtrhythmus. Das wirkte Wunder. Die ersten Nächte war ich allerdings aus Erschöpfung zu früh zu Bett gegangen. Dann genügte das Gegröle von Spätheimkehrern auf der Straße vor meinem Fenster, und vorbei war der erste Tiefschlaf. Mir blieb dann nur, den Fernseher einzuschalten und erneut auf Müdigkeit zu warten. Doch die nächtlichen Sexprogramme, die geboten wurden, waren schon am zweiten Tag so ermüdend, dass sich bald wieder Schlaf einstellte.
Diese Nacht hatte ich durchgeschlafen. Um Elf waren wir nach dem guten Mahl und einem weiteren Drink in einer anderen Bar an der Hafenpromenade zum Hotel zurück geschlendert. Catherine hatte mich dort unerwartet schnell verlassen, musste sie doch früh ihren Dienst antreten, nicht jedoch, ohne mich noch einmal mit einem Kuss zu betören, der mich an längst vergessene Zeiten erinnerte und zugleich unseren an diesem Abend geschlossenen Bund bekräftigen sollte. Ich wusste nicht, wohin sie entschwand, nicht wo sie wohnte und wie sie dorthin gelangte. Wann würde sie mich in ihre innerste Sphäre einweihen?
Am nächsten Morgen war ich früh wach wie immer. Ich hatte an meinem Tisch unter den Platanen gefrühstückt. Vor mir, vielleicht zwanzig Meter entfernt, die ankernden Luxusyachten. Dazwischen der Getränkewagen, der jeden Morgen das Hotel mit viel Geklapper und Getöse mit Fässern, Kisten und Kästen belieferte, dann der Hafenmeister, der seinen Dienst antrat, Gemeindebedienstete, die mit einem Tankfahrzeug und Schlauch die Blumenkübel begossen, ein fegender Hausmeister sowie erste, mit einem Taxi an- oder abreisende Touristen. Eine geschäftige Urlaubskulisse, die viel Gelegenheit zu intimer Beobachtung bot, aber mir selbst die Ruhe und Gelassenheit ermöglichte, die ich in meinem anderen Leben so sehr vermisste.
Das Opfer Isabelle hatte man schnell durch eine andere Kellnerin ersetzt. Ein junges, etwas dickliches Mädchen, wendig und dienstbeflissen. Eine Hübschere, so dachte ich, hatte man wohl nicht mehr zur Verfügung. Manager von Gastronomiebetrieben wissen überall auf der Welt, dass die Gäste sich auch mit den Augen erfreuen wollen. Ein hübsches Ding, knackig anzusehen, ist, wenn sie auch noch flott und freundlich bedient, die halbe Werbung fürs Lokal.
Tagebucheintrag:
Sonntag, der 14. Juli
Ich bin entflammt! Wer hätte das gedacht, dass ich alter Knacker noch mal Feuer fange!
Dabei weiß ich nicht, ob das Tauschgeschäft, auf das ich mich da einlasse, reell ist. Sie bietet mir, wonach ich im Innersten meiner Seele dürste, die Illusion von Liebe.
Doch was verlangt sie dafür?
Es ist absurd: Sie verlangt, dass ich gebe, was ich wenigstens für eine Zeit lang hinter mir lassen wollte, meine berufliche Kompetenz, mein Know-how, und ich bin gefangen im Kitzel einer neuen Liebe!
Früher war das Schreiben eines Tagebuches eine Möglichkeit gewesen, mir Klarheit zu verschaffen, den eigenen Lebensweg zu reflektieren und weiter zu planen. Das alte Tagebuch hatte ich mir gegriffen in einem Anflug von Nostalgie. Wohl zehn Jahre hatte ich es nicht mehr genutzt. Als die Kinder klein waren, hatte ich ihre ersten Wortäußerungen dort notiert, besonders schöne Tage und Stunden in der Absicht vermerkt, sich später besser erinnern zu können. Was war daraus geworden?
Schließlich hatte ich alle bisherigen Seiten aus dem Heft entfernt. Das kam einem Schlussstrich gleich.
Nun schrieb ich wieder, diesmal, um den Blick nach vorn zu schärfen, einem neuen, vielleicht dem entscheidenden Lebensabschnitt entgegenzusehen.
In Gedanken versunken war ich noch sitzen geblieben. Mein Blick fiel auf die Reihe von fünf Yachten, die direkt vor mir am Kai lagen. An Deck eines großen, weißen Bootes hatte bereits vor einer Weile ein älterer Herr, braungebrannt, mit grauweißen Schläfen und dem vollen Haar des Südländers sich gerührt. Er war offenbar gerade erst aufgewacht und schien etwas zu suchen. Später kam er herüber in unser Café. Er holte sich eine Tasse Mocca, ein Päckchen Gauloises und eine frische Tageszeitung, die er jetzt an Deck in seinem Sessel sitzend las. War er allein an Bord?
Als hätte sie meine Frage geahnt, schaute eine Frau, vielleicht Mitte Dreißig, aus der Kajüte und rief dem Mann etwa zu. Ein paar Minuten später verließ sie mit einer Basttasche das Boot, wahrscheinlich um frische Baguetten zu holen. Ist das ein Leben! So etwa könnte ich mir das auch vorstellen!
Dann kam mir der Kriminalfall wieder in den Sinn, der gestern um diese Zeit hier am Kai seinen Ausgang genommen hatte. Sollte ich mich damit befassen? Hatte ich wirklich in einem Anfall von Rührseligkeit und Mitleid mich darauf eingelassen, Zusagen zu machen? Noch konnte ich dankend ablehnen.
Was war eigentlich passiert?
Eine junge Frau, kaum 20-jährig, war tot im Hafenbecken aufgefunden worden. Der Todeszeitpunkt lag noch nicht lange zurück. Nach meiner Kenntnis von Wasserleichen lag