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früh wahrscheinlich. So ist das, wenn sich die EU-Finanzminister treffen. Es geht um Griechenland. Wieder einmal. Wie seit mittlerweile so vielen Jahren.

      Im Atrium ein Glaskasten. So unwirklich, dieser Glanz des Goldes. So ungewöhnlich wie die Umgebung. Ich stehe vorm Friedensnobelpreis. Genauer: der Medaille des Nobelpreiskomitees für die Europäische Union. Der Rat hat sie hier in den Flur stellen lassen, in diesen zugigen Durchgang, in einen Glaskasten, der, so scheint es, als einziges Objekt im ganzen Gebäude regelmäßig geputzt wird. Daneben stehen der Geldautomat und der Infopoint.

      Da liegt sie nun auf einem roten Kissen, diese goldene Münze, umgeben von Sicherheitsglas. Der weltwichtigste Preis für Frieden und Verständigung. Der eine Anerkennung sein soll, aber irgendwie immer mehr zur Bürde wird. So wie bei Obama. Der konnte nach dem Preis auch nichts mehr richtig machen. Bisschen Krieg hier, mal schnell Bin Laden umlegen. Und Guantánamo ist immer noch da.

      Ja, Europa ist der Garant für Frieden auf dem Kontinent. Nun schon so viele Jahre. Doch mittlerweile ist es eine Union, in der sich viele alte Männer und wenige junge Frauen die Köpfe einschlagen, heute Abend wird es wieder so sein, auf dieser Sitzung, der Anlass ist die Frage, ob ein Land seinen Rentnern nochmals die Notrente kürzen kann. Eine Union, die es vermeidet, den Schwachen Kohle zu leihen, weil die Reichen, die ständig von den Schwachen profitieren, die Kohle nicht rausrücken wollen. Eine Union, die dafür den Banken Milliardenbürgschaften gibt, weil die ja systemrelevant sind. Eine Union, die ein Gesetz verabschiedet, das alle Flüchtlinge da lassen will, wo sie anlanden, in zweien der ärmsten Länder der EU. Eine Union, die sich gegen Terror schützt, indem ein Italiener einen Deutsch-Franzosen zu Fuß abholt, um ihn ins Ratsgebäude zu lassen.

      Das ist mein Alltag. Das ist Bruxelles.

      Eurogroup

      2015

      Im Pressezentrum herrscht gähnende Leere. Die Bar ist noch geschlossen, sie wird erst um sechzehn Uhr wieder aufmachen. Café d’Autriche heißt sie, was genau genommen eine Unverschämtheit ist. Hier sieht es eben nicht aus wie im Wiener Kaffeehaus, sondern wie in einer bulgarischen Kantine. Obwohl ich damit auch in Sofia niemandem zu nahetreten will. Weiße Pappwände vor schmutzigen Fenstern, die hinausführen auf die Rue Froissart. Dazu dieser hölzerne Tresen, garniert mit Pappbechern, schmutzigen Tassen und Sandwiches in Plastikfolien.

      »Kannste eijnen mit todslagen«, sagt mein belgischer Kameramann immer im schönsten flämisch-deutschen Singsang über diese Baguettekracher mit Analogkäse und Alibisalat.

      Hinterm Tresen wischt ein Mann mit weißer Haube die Kaffeemaschine sauber. Sie wird heute Nacht trotz des profanen Geschmacks der braunen Brühe, die sie ausspuckt, wieder das meistgenutzte Gerät sein. An den Arbeitsplätzen um die Ecke sitzen schon einige Printkollegen, starren unverwandt auf ihre Laptops und tippen die ersten Vorausschauen zur Zukunft Griechenlands. Ich frage mich immer, woher diese Leute zu dieser frühen Stunde ihre Informationen haben. Ich bin schon froh, am Morgen nicht den Thalys von Paris verpasst zu haben.

      Ich nicke einigen Kollegen zu, die ich vom Sehen kenne, dort hinten sitzt der spanische Block. Das sind bekanntermaßen die lautesten Kollegen hier, ich versuche also, mich weit entfernt von ihnen zu platzieren. Vielleicht reden Spanier gar nicht sonderlich laut, die Sprache ist nur sehr kehlig.

      Ich stelle meine Tasche ab, öffne den Laptop und lasse alles auf dem kleinen Schreibtisch in der Ecke stehen, in der ich immer sitze. Sorgen, egal welche, sind hier unbegründet. In dieser europäischen Blase geschieht nix: kein Diebstahl, kein Terror, keine Durchbrüche bei Verhandlungen.

      Wieder an der Bar vorbei, gehe ich die zwei Treppen hinunter, vorbei an den nationalen Briefingräumen, wo nachher der litauische Finanzminister den zwei Journalisten der litauischen Zeitung erklären wird, warum die Griechen nicht weiter sparen wollen, dass sie es aber ganz dringend tun müssen. Daneben der Briefingraum von Estland. Die reichen Länder haben ihre großen Räume im Untergeschoss des Rates.

      Da werde ich nachher meinen Finanzministern lauschen, dem deutschen und dem französischen. Nach der Sitzung. Das heißt: morgen früh.

      Unten angekommen, in diesen Katakomben mit Allzweckteppich und willkürlich ausgesuchten Fotos von alten Staats- und Regierungschefs – von Mitterand über Schröder bis Tusk hängen sie alle hier –, sind es noch zwei Türen. Dann steht da die Kamerameute, die sich schon aufgebaut hat für die Vorfahrt der Finanzminister.

      Ich finde meinen Kameramann Roland und den Tonassistenten, wie heißt er noch gleich? Wim? Tom? Ich komme immer mit den flämischen Namen durcheinander. Wir begrüßen einander mit einer flachen Umarmung, die beiden haben einen guten Platz im Pulk der Medienvertreter, schön mittig, es ist die Position, die sie am Mittag eingenommen haben und die sie nicht verlieren dürfen, sie brauchen schließlich einen guten Blick aufs Geschehen. Neben ihnen stehen die Kameras der deutschen Kollegen, ARD, ZDF, RTL, auf der anderen Seite der ORF.

      Nun heißt es: warten. Mein Buch liegt oben im Rucksack. Das Rauchen habe ich vor zwei Wochen drangegeben. Und die Café-Bar ist noch geschlossen. Wahnsinnsaussichten.

      Ich nehme mein iPhone. Twitter habe ich vorhin im Taxi stur durchgesehen, mitten in einer Tirade des Fahrers über die Unverfrorenheit der Smart-Fahrerin neben ihm, die er selbst gerade fast auf den Seitenstreifen gedrängt hatte. Die zwei Minuten hatten gereicht, um meinen Account aufs gründlichste zu prüfen. Mit dem Hashtag #Greece kamen einige Tweets zur aktuellen Finanzlage. Vorwürfe von konservativen Parlamentariern an Griechenland. Noch mehr Vorwürfe von linken Abgeordneten an die konservativen Parlamentarier wegen ihrer Erpressung der armen Griechen. Die Tweets waren so austausch- wie wiederholbar. Ich wusste ganz genau, wer was schrieb und wie lange sich die Entrüstung darüber halten würde. Meist ebbte die Aufregung in Stundenfrist wieder ab. Nur Holocaustvergleiche hielten sich länger.

      Blieben nur noch Facebook und Tinder. Tinder ist schwierig hier im Pulk. Niemand will dabei erwischt werden, wie er Frauenfotos auf seinem Handy hin- und herwischt, während all die anderen Kollegen Google zur Finanztransaktionssteuer befragen. Blieb Facebook.

      Da klingelte es glücklicherweise.

      »Salut, hier ist Paris, du bist in Brüssel?«

      Der Chef vom Dienst meines Senders am anderen Ende weiß das ganz genau, er hat es auf der Dispo der Planung gesehen und hätte andernfalls gar nicht angerufen. Doch durch unsinniges Nachfragen kriegt man seinen Tag auch rum.

      »Ja, bei der Eurogruppe.«

      »Gut. Du, sag mal, was wirst du uns denn sagen können? Werden die Griechen endlich liefern?«

      »Die Minister kommen gleich hier an, dann schauen wir mal. Viel kann man vorher nie sagen.«

      Das galt immer. Was sollte man denn nachher erzählen, wenn die Sitzung gerade begonnen hatte? Gespanntes Schweigen am anderen Ende. Genau für zwei Sekunden. Dann das, was immer passierte.

      »Dann machen wir auf jeden Fall eine 18-Uhr-Schalte, eine 19-Uhr-Schalte und dann noch mal um 22 und um 23 Uhr, dann wissen wir bestimmt mehr. Wird’s denn lange dauern?«

      Ich weiß, dass es lange dauern wird, was ich nicht weiß, ist, ob ich Lust habe, diese Nervensäge mit meinem Wissen zu konfrontieren.

      »Mal sehen. Schalten hab ich notiert. Bis nachher.«

      Ich lege auf und knurre. Dort vorne stehen die österreichische Kollegin und ihr ungarischer Liebhaber und rauchen. Jeder weiß hier viel von jedem. Es ist ein kleiner Kosmos. Mir fehlen meine Zigaretten. In Brüssel ist Abstinenz immer doppelt so schwer. Weil sinnarme Dinge wie Rauchen sinnlosen Dingen wie Eurogruppensitzungen zumindest ein bisschen Sinn geben.

      Eine schwarze Limousine mit belgischem Diplomatenkennzeichen rumpelt über das metallische Sicherheitsgitter, ein Audi A8. Die hintere Tür öffnet sich und der EU-Währungskommissar steigt aus. Sofort brüllen die Kollegen los, »Monsieur!«, »Sir!«, und so weiter.

      Der Mann stammt aus meiner zweiten Heimat, und ich kenne ihn leidlich, stehe aber ganz gut, deshalb bitte ich ihn ein wenig leiser als die anderen und auf Französisch um ein kurzes Statement. Natürlich

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