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reagierte nicht.

      *

      Die Sonne stand hoch im Zenit, als der Verletzte endlich die Augen aufschlug und sich ein wenig unsicher umschaute.

      Johanna hatte inzwischen Höllenqualen ausgestanden. Jetzt brannten ihre Augen von ungeweinten Tränen.

      „Alles okay?“ Seine Stimme ließ sie zusammenzucken.

      „Oh mein Gott!“ Jetzt endlich konnte Johanna weinen. „Endlich!“ Sie beugte sich über Thomas, küsste ihn auf die blassen Lippen.

      „War ich lange bewusstlos?“ Thomas versuchte ebenfalls seinen Gurt zu lösen.

      „Fast zwei Stunden. Ich... ich konnte dir nicht helfen.“ Wieder liefen Tränen über ihre Wangen.

      „Nicht weinen“, bat Thomas. „Das kriegen wir alles wieder hin. Hauptsache, dir ist nichts passiert.“

      „Ich bin o.k.“, versicherte Johanna. „Aber was ist mit der Maschine?“

      „Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist was mit der Benzinzufuhr nicht in Ordnung. Deshalb auch das Stottern. Aber es kann auch ein Motorschaden sein. Na, ist auch egal. Machen wir erst mal, dass wir hier rauskommen.“

      Kurze Zeit später lagen sie im Schatten eines Felsens und hielten sich umarmt. Langsam ebbte der Schock in Johanna nach, sie konnte Thomas’ Nähe, seine zärtliche Wärme wieder genießen.

      „Was meinst du, wann Hilfe herkommen kann?“, fragte sie nach einer Weile.

      „Das dauert bestimmt nicht lange. Man wird uns vermissen, und auf dem Radar sind wir auch nicht. Man wird merken, dass es keine Funkverbindung mehr gibt und bestimmt einen Suchtrupp losschicken. Ich denke, der wird sogar schon unterwegs sein. Keine Angst, Schatz.“

      „Hab ich auch nicht.“ Johanna senkte den Kopf. „Wenigstens nicht davor, hier in der Wildnis vergessen zu werden.“

      „Wovor denn dann?“ Er sah ihr fragend in die Augen.

      Zärtlich strich sie über sein Gesicht, tastete vorsichtig nach der Platzwunde, die inzwischen nicht mehr blutete und zum Glück nicht allzu tief war.

      „Ich... ich muss dir etwas gestehen, Thomas.“ Ihre Stimme klang flach und war kaum zu verstehen.

      „Jetzt?“

      „Ja. Denn morgen... morgen ist es zu spät.“

      „Aber Darling! Morgen heiraten wir - egal, was kommt. Und wenn wir das müdeste Ehepaar sind, das je getraut wurde.“

      Johanna senkte den Kopf. Wie schwer es war, die Wahrheit zu gestehen! Sie verfluchte sich selbst, dass sie sich überhaupt zu diesen Lügen hatte hinreißen lassen. Was war ihr nur eingefallen, Stefanies Stelle einzunehmen? Jetzt musste Thomas sie doch hassen...

      „Du weißt, dass ich eine Zwillingsschwester habe“, begann sie vorsichtig.

      „Natürlich! Sie lebt irgendwo im Norddeutschen, oder?“

      Johanna schüttelte den Kopf. „Nein. Stefanie... sie lebt gar nicht mehr. Sie ist tot!“ Aus großen, brennenden Augen sah sie Thomas an.

      „Aber Steffi... Darling... du lebst doch! Ich halte dich in meinen Armen.“ Er küsste sie liebevoll. „Das ist der Schock, nicht wahr?“

      „Nein. Stefanie ist tot. Ich bin Johanna!“

      Jetzt war es heraus. Endlich.

      Obwohl sie sich vor der Reaktion des Mannes fürchtete, obwohl sie wusste, dass sie seine Liebe genau in diesem Moment verloren hatte, fühlte Johanna sich besser. Erleichtert. Sie konnte nun einmal nicht lügen, und es war ihr letztendlich unmöglich gewesen, ihr Lebensglück auf einer Lüge aufzubauen. Kurz bevor sie Thomas ihr Jawort geben konnte, hatte sie alles gesagt.

      „Warum?“ Nur dieses eine Wort kam über die Lippen des Mannes.

      „Warum...“ Johanna zuckte mit den Schultern. „Ich... ich hab’s einfach nicht fertig gebracht, dir weh zu tun. Du warst so glücklich damals, als du mich vom Flugzeug abgeholt hast.“

      „Ich wollte Stefanie abholen!“

      „Ja... aber sie ist tot.“ Ganz klein war ihre Stimme nun, und sie wagte es nicht, zu Thomas auf zu sehen. „Stefanie saß in der Unglücksmaschine aus Los Angeles. Und ich... ich kam aus Deutschland, weil sie mich zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Es sollte eine Überraschung für alle Hochzeitsgäste sein - und für dich. Wir als doppeltes Lottchen.“ Sie schluchzte auf. „So hat man uns früher immer genannt, weil wir uns total ähnlich sahen. Und jetzt...“

      Tränen rannen über ihr Gesicht. Endlich konnte sie wirklich um ihre Schwester weinen, brauchte nicht länger die starke, glückliche Stefanie zu spielen...

      Zart, kaum fühlbar streichelte Thomas über ihr Haar.

      „Ich hab’s geahnt“, sagte er leise, und seine Stimme klang belegt.

      „Was?“ Aus tränenfeuchten Augen sah sie ihn an.

      „Dass du... also... irgendwie warst du verändert. Du warst nicht mehr die Stefanie, die ich kannte. Du warst weicher, zärtlicher, anschmiegsamer. Nicht so taff und selbstbewusst. Und...“ Er lächelte ein wenig. „Du warst eigentlich in allem so, wie ich mir eine Frau erträumt hatte. Stefanie kam diesem Ideal nahe, aber du..“ Jetzt legte er beide Arme fest um Johanna, bettete ihren Kopf an seine Brust und streichelte ihr Haar. „Du warst - du bist meine Traumfrau, Johanna.“

      Sie konnte nicht antworten. Glück, dieses gewaltige Glücksgefühl, das sie auf einmal erfüllte, machte sie stumm. Außerdem waren da Thomas’ Lippen. Nah, dicht vor ihren. Als er sie küsste, glaubte Johanna im Paradies zu sein.

      Motorengeräusch zerstörte die Idylle. Zwei Hubschrauber kreisten dicht über ihnen, und jetzt setzte der größere von ihnen zur Landung an.

      Thomas sprang auf und gestikulierte wild mit beiden Armen. „Hierher!“, rief er. „Kommt hierher!“

      Zwar hörten die Männer im Helikopter ihn nicht, aber sie sahen ihn, denn ganz in der Nähe ging die Maschine nieder, und gleich darauf sprangen zwei dunkelhaarige Männer heraus.

      „Was ist passiert?“, rief einer noch im Laufen und kam rasch näher.

      „Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es die Benzinpumpe.“ Thomas ging ein paar Schritte auf die beiden zu, schüttelte ihnen die Hände. Man kannte sich - so, wie sich viele Farmer in der unendlichen Weite dieses Kontinents kannten. Manchmal sah man sich wochen- oder monatelang nicht. Aber man kommunizierte übers Internet oder, wenn das nicht ging, per Funk miteinander. Wenn einer von ihnen Hilfe brauchte, war es für die anderen selbstverständlich, zu helfen. Man war stets füreinander da.

      Johanna sah den Männern aus der Ferne zu. Sie konnte nicht mit ihnen reden, keine belanglosen Höflichkeitsfloskeln austauschen oder gar Witze über die „Rettung“ machen.

      In ihrem Innern herrschte ein heilloses Durcheinander.

      Thomas hatte ihr verziehen. Er liebte sie - liebte sie noch mehr, als er Stefanie geliebt hatte.

      Durfte sie das wirklich glauben?

      *

      Als Johanna am nächsten Morgen erwachte, lagen Hunderte roter Rosen auf ihrer Bettdecke, und Thomas beugte sich über sie und küsste sie sehr, sehr zärtlich.

      „Aufstehen, Faulpelz. Oder willst du dich vor der Hochzeit drücken?“

      Johanna antwortete nicht, sie streckte nur die Arme aus und zog den geliebten Mann an sich. Endlich, endlich durfte sie ihre große Liebe wirklich genießen!

      Vorsichtig, um die zarten Rosenblüten nicht zu zerstören, erhob sie sich wenig später und machte sich fertig zur Trauung. Sekundenlang tat es ihr leid, dass sie kein weißes, romantisches Brautkleid besaß, doch ein schlichtes cremefarbenes Kostüm, das

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