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sie von hinten heftig umarmt, und ein Mann flüsterte ihr ins Ohr: „Himmel, bin ich froh, dass du eine andere Maschine genommen hast, Schatz! Ein Brautkleid finden wir auch hier!“

      Und dann wurde sie geküsst - zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Sie konnte nicht mehr denken, konnte nur noch fühlen: die weichen Lippen des Mannes, seine Hände, die sie festhielten und ihren Rücken streichelten.

      „Ich... ich bin...“ Johanna versuchte sich aus der Umarmung zu befreien, doch Thomas ließ sie nicht los. Er hielt sie auch dann noch fest, als sie durch Sydney fuhren und sie zum ersten Mal all die imposanten Gebäude sah, von denen Stefanie so begeistert berichtet hatte.

      „Thomas...“ Gerade fiel ihr Blick auf die ungewöhnlich konzipierte Oper der Stadt, die im Volksmund liebevoll „Auster“ genannt wurde. „Ich muss dir etwas gestehen.“

      „Nur zu. Ich bin gespannt!“ Er legte den Arm um ihre Schultern, zog sie kurz an sich und küsste sie auf die Stirn.

      Johanna fühlte ihr Herz bis hoch zum Hals schlagen. Thomas’ Nähe verwirrte sie. Wenn sie ihn ansah, wurde alles bisher Dagewesene bedeutungslos.

      Bedeutungslos... dieses Wort schien sich in ihr einzugraben. Was zählten Lügen? Was die Tatsache, dass sie Johanna und nicht Stefanie war? Was bedeutete es, dass ihre Zwillingsschwester tot war - zerrissen von einer wahnwitzigen Explosion?

      Bedeutungslos? Wirklich?

      „Du wolltest irgendein sehr wichtiges Geständnis ablegen, Steffi.“ Thomas lachte sie zärtlich an.

      „Ja... nein. Es ist nichts. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe.“

      *

      Tag um Tag verging.

      Aus Johanna wurde Stefanie. Alle redeten sie so an, und langsam begann sie sogar, sich wie Stefanie zu fühlen. Wie ein Mädchen, das seinen Traumprinzen kennengelernt hatte und nun in seinem Schloss wohnen durfte.

      Und als Schloss konnte man den großzügigen Landsitz von Thomas ohne weiteres bezeichnen. Er besaß riesige Schafherden, die auf einem unüberschaubaren Terrain weideten. Die Hirten kontrollierten den Viehbestand teilweise vom Hubschrauber aus, und es machte Johanna ungeheuren Spaß, Thomas auf solchen Informationsflügen zu begleiten.

      „Du hast dich verändert“, sagte Thomas, als sie wieder einmal unterwegs waren. Unter ihnen zog eine riesige Herde über die karge Landschaft, es waren unendlich viele Tiere, und aufs neue bekam Johanna einen Begriff davon, wie reich Thomas sein musste.

      „Verändert? Ich mich?“ Sie biss sich auf die Lippen, um die Unsicherheit, die wieder einmal aufflackerte, zu kaschieren.

      Thomas griff nach ihrer Hand und zog sie für einen Moment an die Lippen. „Ja. Du hast dich verändert. Vor ein paar Wochen noch warst du nicht bereit, mit mir hier hinauf zu fliegen.“

      Johanna zuckte zusammen. Wieder ein Punkt, in dem sie sich gravierend von ihrer Zwillingsschwester unterschied: Stefanie mochte keine Tiere, sie hingegen liebte Schafe ebenso wie Pferde, Esel, Katzen und die kleinste Wüstenmaus.

      Unsicher sah sie Thomas an. Doch in dem markanten Gesicht war kein Zweifel zu lesen, nur unendliche Liebe.

      Eine Liebe, die aber nicht ihr, sondern einer Toten galt, deren Leben in einem Feuerball ausgelöscht worden war.

      Johannas Herz zog sich zusammen - wie immer, wenn sie an ihre verstorbene Schwester denken musste, die sie noch nicht einmal offiziell betrauern konnte. Sie war unendlich unglücklich - und doch gleichzeitig so glücklich wie nie zuvor im Leben. Thomas war ein Mann, von dem sie immer geträumt hatte. Sie harmonierten hervorragend miteinander, und an seiner Seite fühlte sie sich sicher und geborgen.

      Nur an eins durfte sie nicht denken: dass ihr Glück auf einer furchtbaren Lüge aufgebaut war!

      Ende Mai musste Thomas noch einmal hinaus zu einer Viehherde, in der erschreckend viele Tiere erkrankt waren. Er hatte Medikamente an Bord der kleinen Sportmaschine, Lesestoff für die Männer, die dort draußen ein ziemlich einsames, tristes Leben führten, und Zigaretten und Whisky.

      „Kommst du mit, Darling?“, fragte er, und Johanna nickte zustimmend.

      „Aber natürlich!“ Sie lächelte ihn zärtlich an. „Du weißt doch, wie gern ich mit dir fliege. Es ist immer noch ein Abenteuer für mich, eine Weile draußen in der unendlichen Weite des Outbacks sein zu können.“

      „Seltsam... früher hast du ganz anders gedacht. Da wolltest du mit den Tieren und den Trips ins Outback nichts zu tun haben.“ Er kam auf sie zu und zog sie liebevoll in die Arme. „Aber ich muss gestehen, dass ich die neue Stefanie noch ein bisschen mehr liebe als zuvor.“

      Johannas Herz schlug schneller. Sie schloss die Augen und genoss es, Thomas so nahe zu sein. Dabei fragte sie sich, wie lange sie ihre Lügen noch aufrecht erhalten konnte, wann das Kartenhaus, das sie aufgebaut hatte, zusammenbrechen - und ihr Glück genauso zusammenfallen würde.

      *

      Die große Farm mit ihren vielen Nebengebäuden lag nur knapp einhundert Kilometer von Sydney entfernt, und doch befand man sich in einer ganz anderen Welt, wenn man erst einmal die Großstadt hinter sich gelassen hatte. Rasch begann das Niemandsland, die unendliche Weite dieses Kontinents. So weit das Auge reichte, sah man nur brachliegendes Land, das von unzähligen Schafen durchstreift wurde. Die Tiere fanden immer etwas zu fressen, sie waren genügsam und auch mit trockenen Grasbüscheln zufrieden.

      Vereinzelt nur tauchte ein Haus auf, und erste nachdem sie zwanzig Minuten geflogen waren, erblickte Johanne eine kleine Wohnsiedlung.

      „Was ist das?“, erkundigte sie sich.

      „Wir nennen es Old Sams Oase“, antwortete Thomas. „Sam ist ein alter Jäger, der hier vor vielen Jahren sesshaft geworden ist. Es heißt, dass er eine Weile bei den Aborigines gelebt hat und mehr von ihrer Kultur weiß als jeder Wissenschaftler. Inzwischen hat er hier eine Kneipe aufgemacht. Sie ist Anlaufstelle für alle, die hier in der Gegend leben und arbeiten. Warte nur, gleich wirst du ihn kennenlernen. Wir müssen vorher nur noch zu der Herde mit den kranken Tieren fliegen.“

      Er zog die Maschine n eine leichte Kurve und korrigierte fast unmerklich den Kurs.

      Johanna sah fasziniert aus dem Fenster. Sie liebte dieses Land schon jetzt und wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn sie von hier wieder fortgehen musste.

      Ein leises Knattern störte ihre Gedanken. Die Maschine begann leicht zu trudeln.

      „Was ist los?“ Fragend sah sie Thomas an, der an den verschiedensten Kontrollgeräten hantierte.

      „Ich weiß nicht genau... vielleicht ist was mit der Benzinzufuhr...“ Er machte ein ernstes Gesicht, und in Johanna kroch Angst hoch.

      „Leg den Kopf in die Arme! Versuch deine Augen zu schützen!“ Thomas warf ihr einen raschen Seitenblick zu, dann konzentrierte er sich wieder ganz darauf, das Ärgste vielleicht noch abzuwenden und eine halbwegs anständige Bruchlandung machen zu können.

      Und dann... ein Krachen und Bersten, Splittern, ein Schrei, von dem Johanna nicht wusste, dass sie selbst ihn ausgestoßen hatte...

      Dumpfe Schläge, die von außen das Flugzeug zu zerstören drohten - dann war es still.

      Johanna erwachte von einem stechenden Schmerz in ihrer linken Hand. Vorsichtig versuchte sie die Finger zu bewegen, sich selbst in eine andere Position zu bringen - es gelang.

      „Thomas...“ Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.

      Als keine Antwort kam, versuchte sie sich ein wenig aufzurichten und in der Maschine umzusehen. Schräg lag das Flugzeugwrack auf einer Grasfläche. In einem fast quadratischen Ausschnitt konnte sie durch eines der Fenster den blauen Himmel sehen.

      Und Thomas... er war über dem Steuer zusammengesunken. Blut sickerte aus einer Platzwunde an der Schläfe, und ein dumpfes Stöhnen kam aus seiner Kehle.

      „Thomas...“

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