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Wir müssen über Rassismus sprechen. Robin J. DiAngelo
Читать онлайн.Название Wir müssen über Rassismus sprechen
Год выпуска 0
isbn 9783455008142
Автор произведения Robin J. DiAngelo
Жанр Социология
Издательство Readbox publishing GmbH
Kapitel 2
Rassismus und White Supremacy
Noch immer glauben viele, zwischen »Rassen« bestünden eindeutige biologische und genetische Unterschiede. Diese biologischen Grundlagen seien für sichtbare Unterschiede wie Hautfarbe, Haarstruktur und Augenform und für Merkmale verantwortlich, die wir ebenfalls objektiv zu sehen meinen, wie Geschlecht oder sportliche, mathematische oder sonstige Fähigkeiten. Die Vorstellung, »Rasse« sei eine biologische Tatsache, macht es uns einfach zu glauben, viele der gesellschaftlichen Spaltungen, die wir erleben, seien naturgegeben. Aber »Rasse« ist ebenso wie Gender ein gesellschaftliches Konstrukt. Die Unterschiede, die wir sehen – wie Haarstruktur oder Augenform – sind rein äußerlich und aus geographischer Anpassung entstanden.[3] Unter der Haut gibt es keine biologischen »Rassen«. Die äußeren Merkmale, nach denen wir sie definieren, sind unzuverlässige Indikatoren für genetische Variationen zwischen zwei Menschen.[4]
Der Irrglaube, »Rasse« und die damit verknüpften Unterschiede seien biologisch begründet, ist tief verwurzelt. Um dagegen anzugehen, müssen wir sowohl die sozialen und wirtschaftlichen Interessen verstehen, die die Wissenschaft antrieben, die Gesellschaft und ihre Ressourcen nach »Rassen« zu organisieren, als auch die Gründe, warum diese Ordnungen sich so hartnäckig halten.
Die gesellschaftliche Konstruktion von »Rasse« in den Vereinigten Staaten
Freiheit und Gleichheit – ungeachtet der Religion oder der Klassenzugehörigkeit – waren radikal neue Ideen, als die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurden. Aber ihre Wirtschaft basierte auf der Verschleppung und Versklavung von Afrikanern, der Vertreibung und dem Genozid an indigenen Völkern und auf der Annexion mexikanischer Territorien. Zudem brachten die eintreffenden Siedler ihre eigene kulturelle Konditionierung und zutiefst verinnerlichte Herrschafts- und Unterwerfungsmuster mit.[5]
Der Widerspruch zwischen der erhabenen Gleichheitsideologie und der grausamen Wirklichkeit des Genozids, der Versklavung und der Kolonisierung musste irgendwie aufgelöst werden. Daher wandten sich Thomas Jefferson (der selbst Hunderte versklavter Menschen »besaß«) und andere an die Wissenschaft. Jefferson vermutete natürliche Unterschiede zwischen den »Rassen« und forderte die Wissenschaftler auf, sie zu finden.[6] Wenn die Wissenschaft belegen könnte, dass schwarze Menschen von Natur aus unterlegen seien (die indigenen Völker betrachtete er lediglich als kulturell mangelhaft, was sich beheben ließe), dann bestünde kein Widerspruch zwischen unseren erklärten Idealen und unserer tatsächlichen Praxis. Selbstverständlich standen hinter der Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonisierung enorme wirtschaftliche Interessen. Die »Rassenkunde« war von diesen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen getrieben, die schließlich zur Einführung kultureller Normen und gesetzlicher Regelungen führten, die Rassismus und die privilegierte Stellung der als weiß definierten Menschen legitimierten.
Anknüpfend an Arbeiten europäischer Forscher, machten sich amerikanische Wissenschaftler daher auf die Suche nach dem Beweis für die vermeintliche Unterlegenheit nicht angelsächsischer Menschengruppen. Wie stark bereits die Fragestellung die Untersuchungsergebnisse prägt, zeigt sich daran, dass die Wissenschaftler nicht etwa fragten: »Sind Schwarze (oder andere) unterlegen?« Vielmehr fragten sie: »Warum sind Schwarze (und andere) unterlegen?« So wurden die von Jefferson unterstellten Unterschiede zwischen den »Rassen« innerhalb nicht einmal eines Jahrhunderts zu einer weithin akzeptierten wissenschaftlichen »Tatsache«.[7]
Die Vorstellung »rassischer« Unterlegenheit wurde entwickelt, um Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Es war nicht etwa der Glaube an »rassische« Unterlegenheit, der zur Ungleichbehandlung führte. Auch nicht die Angst vor dem Andersartigen. Ta-Nehisi Coates stellt fest: »Rasse ist das Kind des Rassismus, nicht seine Mutter.«[8] Er meint, dass wir Menschen zunächst wegen ihrer Ressourcen, nicht wegen ihres Aussehens ausgebeutet haben. Zuerst kam die Ausbeutung und dann folgte die Ideologie ungleicher »Rassen«, um diese Ausbeutung zu rechtfertigen. Ebenso erklärt der Historiker Ibram X. Kendi in seinem preisgekrönten Werk Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika: »Die Nutznießer von Sklaverei, Segregation und Masseninhaftierung haben rassistische Vorstellungen produziert, wonach es sich für schwarze Menschen gehört oder wonach sie es verdienen, versklavt zu werden, nicht dort zu wohnen, wo Weiße wohnen, oder in einer Gefängniszelle zu vegetieren. Die Konsumenten dieser rassistischen Ideen wurden dazu gebracht zu glauben, dass etwas mit schwarzen Menschen nicht stimmt – nicht etwa dazu, eine Politik anzuzweifeln, die Schwarze versklavt, unterdrückt und einsperrt.«[9] Kendi argumentiert im Weiteren, wenn wir wirklich glauben, dass alle Menschen gleich seien, könne die Ungleichheit der Lebensbedingungen nur das Ergebnis systemischer Diskriminierung sein.
Die Wahrnehmung von »Rasse«
»Rasse« ist eine sich entwickelnde gesellschaftliche Idee, geschaffen, um Ungleichheit zu legitimieren und die Privilegien Weißer zu schützen. Der Begriff »weiß« tauchte im Kolonialrecht erstmals im ausgehenden 17. Jahrhundert auf. Bei der Volkszählung in den Vereinigten Staaten 1790 wurde die Bevölkerung aufgefordert, ihre »Rasse« anzugeben, und 1825 bestimmte der vermeintliche Blutsanteil, ob jemand als Indianer eingestuft wurde. Ab dem späten 19. Jahrhundert und im Laufe des 20. Jahrhunderts, als viele Einwanderer in die USA strömten, verfestigte sich das Konzept einer weißen »Rasse«.[10]
Als 1865 die Sklaverei in den Vereinigten Staaten abgeschafft wurde, blieb Weißsein weiterhin von grundlegender Bedeutung, da die legalisierte rassistische Ausgrenzung von und die Gewalt gegen Afroamerikaner sich in neuen Formen fortsetzte. Um die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Bürgerrechte zu bekommen, musste man rechtsgültig als weiß klassifiziert worden sein. Menschen, die als nicht weiß eingestuft waren, begannen, gerichtlich eine Änderung ihres Status zu beantragen. Nun lag die Entscheidung, wer als weiß galt und wer nicht, bei den Gerichten. So gewannen Armenier ihre Klage auf Einstufung als Weiße mit Hilfe eines wissenschaftlichen Gutachters, der ihnen bescheinigte, wissenschaftlich seien sie »Kaukasier«. Der Oberste Gerichtshof der USA urteilte 1922, Japaner könnten rechtlich nicht als weiß eingestuft werden, weil sie wissenschaftlich als »Mongoliden« klassifiziert seien. Ein Jahr später entschied das Gericht, dass Inder rechtlich nicht weiß seien, obwohl sie wissenschaftlich zu den »Kaukasiern« zählten. Zur Rechtfertigung dieser widersprüchlichen Urteile stellte es fest, dass Weißsein auf dem gängigen Verständnis des weißen Mannes beruhe. Mit anderen Worten: Menschen, die bereits als weiß galten, entschieden darüber, wer weiß war.[11]
Das Bild der Vereinigten Staaten als großem Schmelztiegel, in dem Einwanderer aus der ganzen Welt zusammenkommen und durch Assimilation zu einer einheitlichen Gesellschaft verschmelzen, ist ein Mythos. Eine schöne Idee: Sobald neue Zuwanderer Englisch lernen und sich an amerikanische Kultur und Sitten anpassen, werden sie Amerikaner. Doch in Wirklichkeit war es im 19. und 20. Jahrhundert nur europäischen Immigranten möglich, sich in die herrschende Kultur zu integrieren oder zu assimilieren, weil sie, ungeachtet ihrer ethnischen Identität, als weiß galten und somit dazugehören konnten.
»Rasse« ist ein gesellschaftliches Konstrukt, daher ändert es sich im Laufe der Zeit, wer der Kategorie der Weißen zugerechnet wird. Wie der Amerikaner italienischer Abstammung in meinem Workshop anmerkte, waren europäische ethnische Gruppen wie Iren, Italiener und Polen früher davon