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Wir müssen über Rassismus sprechen. Robin J. DiAngelo
Читать онлайн.Название Wir müssen über Rassismus sprechen
Год выпуска 0
isbn 9783455008142
Автор произведения Robin J. DiAngelo
Жанр Социология
Издательство Readbox publishing GmbH
Dieses Buch befasst sich mit den Vereinigten Staaten und dem allgemeinen Kontext im Westen (USA, Kanada und Europa). Auf Nuancen und Abweichungen in anderen soziopolitischen Umfeldern geht es nicht ein. Allerdings sind diese Muster auch bei weißen Menschen in anderen weißen Siedlergesellschaften wie Australien, Neuseeland und Südafrika zu beobachten.
Was ist mit Menschen, die mehreren »Rassen« angehören?
Durchgängig vertrete ich in diesem Buch die These, dass Rassismus äußerst komplex und nuanciert ist und wir daher unseren Lernprozess nie als abgeschlossen oder vollständig ansehen dürfen. Ein Beispiel für diese Komplexität ist allein schon die Verwendung der Kategorien »weiß« und »Menschen of Color«, die ich hier für die beiden gesellschaftlich anerkannten Gliederungen der Rassenhierarchie auf Makroebene benutze. Damit fasse ich eine große Variationsbreite in nur zwei Begriffen zusammen. Obwohl ich überzeugt bin (aus Gründen, die ich im ersten Kapitel darlege), dass es für weiße Menschen sinnvoll ist, Individualität vorübergehend zugunsten der Gruppenidentität zurückzustellen, hat ein solches Vorgehen für Menschen of Color doch völlig andere Auswirkungen. Vor allem »multirassische« Menschen geraten durch diese binären Kategorien in eine frustrierende Position zwischen allen Stühlen.[1]
Da »multirassische« Menschen Rassenkonstrukte und -grenzen infrage stellen, sehen sie sich in einer Gesellschaft, in der solche Kategorien tiefgreifende Bedeutung besitzen, mit einzigartigen Herausforderungen konfrontiert. Die herrschende Gesellschaft weist ihnen die Rassenidentität zu, mit der sie äußerlich die größte Ähnlichkeit aufweisen, die aber nicht unbedingt mit ihrem eigenen Selbstverständnis übereinstimmt. So war der Musiker Bob Marley »multirassisch«, aber die Gesellschaft nahm ihn als schwarz wahr und reagierte entsprechend auf ihn. Wenn die Identität »multirassischer« Menschen nicht eindeutig ist, sehen sie sich ständig dem Druck ausgesetzt, sich zu erklären und sich für »eine Seite zu entscheiden«. Noch komplizierter wird ihre eigene Zuordnung durch die Rassenidentität ihrer Eltern und die demographische Zusammensetzung der Gemeinde, in der sie aufwachsen. So kann ein Kind schwarz aussehen und als schwarz behandelt werden, aber überwiegend von einem weißen Elternteil aufgezogen werden und sich daher stärker als weiß identifizieren.
Die Dynamik des »als weiß Durchgehens« (passing) – also als weiß wahrgenommen zu werden – prägt die Identität einer »multirassischen« Person ebenfalls, da es ihr die Vorteile des Weißseins verschafft. Allerdings können diese Menschen auch auf Ressentiments und Ausgrenzung bei Menschen of Color stoßen, die nicht als weiß durchgehen. »Multirassische« Menschen werden möglichweise nicht als »echte« Menschen of Color oder »echte« Weiße gesehen. (Es ist anzumerken, dass dieses »Durchgehen« sich auf die Fähigkeit bezieht, als Weiße zu gelten, dass es aber keinen entsprechenden Ausdruck für die Fähigkeit gibt, als Person of Color durchzugehen. Das wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass die erwünschte Richtung in einer rassistischen Gesellschaft dahin geht, als weiß und nicht als Person of Color wahrgenommen zu werden.)
Ich werde der Komplexität »multirassischer« Identität sicher nicht gerecht werden können. Aber für die Auseinandersetzung mit weißer Fragilität biete ich »multirassischen« Menschen das Konzept der »Salienz« an. Wir alle besitzen vielfältige, sich überschneidende soziale Persönlichkeiten. Ich bin weiß, aber zugleich auch eine Cisgender-Frau mittleren Alters ohne körperliche Beeinträchtigungen. Diese Identitäten schließen sich gegenseitig nicht aus. Jede tritt in unterschiedlichen Kontexten mehr oder weniger stark in den Vordergrund. In einer Gruppe, in der ich die einzige Frau bin, ist Gender wahrscheinlich für mich das herausragende Merkmal. In einer Gruppe, in der außer Weißen nur eine Person of Color ist, ist meine »Rasse« wahrscheinlich meine herausragende Identität. Jede Person muss beim Lesen für sich entscheiden, was ihrer Erfahrung in welchem Kontext entspricht und was nicht. Ich hoffe, Einblicke zu vermitteln, warum es so schwierig ist, mit Menschen, die sich als weiß identifizieren, über »Rasse« zu sprechen und/oder bei ihnen Einsichten über die eigenen rassistischen Reaktionen im alltäglichen Umgang mit Menschen anderer Hautfarbe anzustoßen.
Einleitung
Von hier aus kommen wir nicht ans Ziel
Ich bin eine weiße Frau und stehe neben einer schwarzen Frau. Vor uns sitzt eine Gruppe weißer Angestellter. Wir befinden uns an ihrem Arbeitsplatz, weil wir von ihrem Arbeitgeber engagiert worden sind, damit wir mit ihnen einen Dialog über Rassismus anstoßen. Es herrscht eine angespannte, feindselige Atmosphäre. Gerade habe ich eine Definition von Rassismus dargelegt, die das Eingeständnis umfasst, dass Weiße gesellschaftliche und institutionelle Macht über Menschen of Color besitzen. Ein weißer Mann schlägt mit der Faust auf den Tisch und brüllt: »Als Weißer kann man doch gar keinen Job mehr kriegen!« Ich schaue mich im Raum um und sehe vierzig Angestellte, von denen achtunddreißig weiß sind. Warum ist dieser weiße Mann so wütend? Warum ist ihm die Wirkung seiner Wut so gleichgültig? Wieso merkt er nicht, wie sein Ausbruch auf die wenigen Menschen of Color im Raum wirken muss? Wieso sitzen die anderen Weißen da und stimmen ihm stillschweigend zu oder schalten einfach ab? Schließlich habe ich doch nur eine Definition von Rassismus formuliert.
Weiße Menschen leben in einer Gesellschaft, die zutiefst von praktischer Rassentrennung und -ungleichheit geprägt ist, und sie profitieren von dieser Trennung und Ungleichheit. Folglich sind wir Weißen gegen die Belastungen und den Stress abgeschirmt, die aus rassistischer Benachteiligung erwachsen, und haben zugleich das Gefühl, wir hätten einen wohlverdienten Anspruch auf unsere Vorteile. In Anbetracht der Tatsache, wie selten wir in einer von uns dominierten Gesellschaft Unbehagen und Unannehmlichkeiten aufgrund unserer »Rasse« erleben, mussten wir keine diesbezügliche Belastbarkeit entwickeln. Da uns ein tief verinnerlichtes Überlegenheitsgefühl anerzogen wurde, das uns entweder nicht bewusst ist oder das wir uns nicht eingestehen können, reagieren wir in Gesprächen, in denen es um »Rasse« und Rassismus geht, äußerst empfindlich. Ein Infragestellen unserer rassenbezogenen Weltsicht empfinden wir als Angriff auf unser Selbstverständnis als gute, moralische Menschen. Daher erleben wir jeden Versuch, uns mit dem rassistischen System in Verbindung zu bringen, als verunsichernden und ungerechten moralischen Vorwurf. Bereits der geringste Stress durch Konfrontation mit Rassismus ist unerträglich. Allein schon die Andeutung, Weißsein sei von Belang, löst häufig eine ganze Reihe von Abwehrreaktionen aus. Dazu gehören Emotionen wie Wut, Angst und Schuldgefühle und Verhaltensweisen wie Argumentieren, Schweigen und Rückzug aus der Stresssituation. Mit solchen Reaktionen versuchen weiße Menschen, ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie die Kritik abwehren, wieder in ihre Komfortzone zurückkehren und ihre Dominanz in der Rassenhierarchie aufrechterhalten. Diesen Mechanismus bezeichne ich als »weiße Fragilität« (White Fragility) – eine Empfindlichkeit, die zwar durch Unbehagen und Angst ausgelöst wird, aber aus einer Überlegenheits- und Anspruchshaltung erwächst. Sie ist nicht per se Schwäche, sondern ein starkes Mittel in der Machtausübung der weißen »Rasse« und der Bewahrung ihrer Privilegien.
Mein Versuch, die gängigen Reaktionsmuster weißer Menschen auf rassenbezogenes Unbehagen unter dem Begriff der weißen Fragilität zusammenzufassen, hat großen Widerhall gefunden. Die damit zum Ausdruck gebrachte Empfindlichkeit Weißer ist so verbreitet, weil unsere persönlichen Erzählungen zwar variieren, wir aber alle vom gleichen Umfeld getragen werden. Bei mir erwuchs die Erkenntnis aus meiner Arbeit. Ich leite täglich Gesprächsrunden eines überwiegend weißen Publikums über Rassismus – etwas, was viele von uns um jeden Preis vermeiden.
In der Anfangszeit meiner Tätigkeit als Diversity-Trainerin war ich bestürzt darüber, wie wütend und abwehrend viele Weiße auf die Andeutung reagierten, sie hätten irgendetwas mit Rassismus zu tun. Allein schon die Idee, dass sie an einem Workshop