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die Kasse des Eher-Verlags und die Taschen von Max Amann. Der Sieg der Nazis 1933 erweist sich als profitabel für Hitlers einstigen militärischen Vorgesetzten, der auf großem Fuß lebt und ein Imperium aufbaut. Als Präsident der Reichspressekammer hat er die Zeitungen und Verlage fest im Griff und häuft ein beträchtliches Vermögen an.[31] 1942 stehen 75 Prozent der deutschen Presseorgane unter seiner direkten Kontrolle. Der Eher-Verlag, einst ein Kleinstverlag im Dienst einer Splittergruppe, zählt nun 35000 Mitarbeiter.

      Bertolt Brecht hat es auf den Punkt gebracht, als er Hitler als Arturo Ui darstellte, den gierigen Gangster an der Spitze einer Bande von kleinen Gaunern. Das Bild ist weniger historisch als dramaturgisch, aber in einer Hinsicht auf jeden Fall präzise: Mein Kampf ist für Hitler eine Goldgrube.

      Eine »Verschwörung am helllichten Tag«

      »Das […] weiß ich, wenn ich 1924 geahnt hätte, Reichskanzler zu werden, dann hätte ich das Buch nicht geschrieben.« Diese erstaunliche Eröffnung soll Hitler 1938 gegenüber einem seiner Getreuen, Hans Frank, gemacht haben, wie der in seinem nach dem Krieg veröffentlichten Tagebuch berichtet. Verschiedenen Zeugen zufolge scheint er diesen Gedanken nicht nur einmal geäußert zu haben.

      Das mag einen überraschen, wenn man bedenkt, mit welcher Leidenschaft Hitler sein Buch in Angriff genommen und welchen Stolz er daraus gezogen hat. Aber es ist durchaus nachvollziehbar. »Ich wende mich dabei mit diesem Werk nicht an Fremde, sondern an diejenigen Anhänger der Bewegung, die mit dem Herzen ihr gehören und deren Verstand nun nach innigerer Aufklärung strebt«, schreibt der Führer im Vorwort seines Buches Mitte der 1920er Jahre. Verfasst in der Zurückgezogenheit einer Zelle, nach einer schmählichen Niederlage, ersonnen als ein politisches Projekt, dessen Verwirklichung fern und utopisch erscheinen mag, das die Ambitionen, die Vorstellungen, ja sogar die Strategien seines Autors offenlegt, könnte Mein Kampf jetzt, da die Macht so nahe ist, in den Händen seiner Feinde zu einer Waffe werden.

      Mein Kampf ist tatsächlich eine »Verschwörung am helllichten Tag«, so die von dem französischen Philosophen Alexandre Koyré geprägte Formulierung.[32] In den Worten des Politologen Josselin Bordat ist »dieser Text, diktiert im Beisein einer Zuhörerschaft von ein paar Fanatikern, die ideologische Stütze eines totalitären Regimes. Es ist ein Text, der einen Plan zur Eroberung der Weltherrschaft enthüllt, wo solche Pläne doch gewöhnlich im Verborgenen geschmiedet werden. Hier aber handelt es sich um einen Plan zur Eroberung der Weltherrschaft, der von einem totalitären Regime in Millionen von Exemplaren verteilt wird.«[33] Seit sich die Machtfrage stellt, ist sich Hitler dieser Problematik sehr bewusst.

      Hitlers Haltung zu dem Thema lässt sich mit folgendem Beispiel illustrieren: Nach der schweren Niederlage bei den Reichstagswahlen 1928 glaubt er sich von seinen Mitbürgern falsch verstanden und verfasst ein weiteres Manuskript, das später als »Hitlers Zweites Buch« bekannt werden wird. Auf rund 200 Seiten führt er noch eingehender als in Mein Kampf seine außenpolitischen Visionen aus, prophezeit einen Endkampf um die Weltherrschaft zwischen den Verbündeten Deutschland und England und den Vereinigten Staaten. Ebenso präzisiert er seine Absicht, im jüdisch-bolschewistischen Russland »Lebensraum« zu erobern. Zum ersten Mal spricht sich der Eher-Verlag gegen eine Veröffentlichung aus – mit dem Argument, ein weiteres Werk werde dem ersten schaden, das sich nur noch schleppend verkauft. Aber mit den Wahlerfolgen von 1930 geht es auch mit Mein Kampf wieder aufwärts, und nun schlägt der Verlag Hitler vor, den Text herauszubringen. Doch der lehnt ab: Die Aussicht darauf, eines Tages zu regieren, ist nicht mehr ganz unrealistisch, und er hat den Eindruck, bereits zu viel gesagt zu haben. Das Manuskript kommt also nie aus dem Safe heraus, wo es aufbewahrt bleibt, geschützt vor fremden Augen.[34] Genau wegen dieser Befürchtung, zu viel von seinen Absichten verraten zu haben, wird Hitler, als er Reichskanzler geworden ist, darum kämpfen, den Zugang zu seinem Text im Ausland zu beschränken. Hat er Grund zu der Befürchtung, durchschaut zu werden? Hätte eine ausreichend sorgfältige, aufmerksame Lektüre von Mein Kampf vor den erschreckenden Zielen seines Verfassers warnen können? Hätte sie diese »Verschwörung am helllichten« Tag enthüllen können?

      Victor Klemperer, der zum Protestantismus übergetretene Philologe, der am Ende nur mithilfe seiner »arischen« Frau der Deportation entkommen kann, hat das ganze Dritte Reich hindurch im inneren Exil gelebt und dabei unermüdlich die Gedanken niedergeschrieben, zu denen ihn die entsetzliche Welt um ihn herum bewegte. 1947, als Ergebnis dieser einsamen Arbeit in den dunkelsten Stunden der Nazi-Herrschaft, veröffentlicht er ein Meisterwerk: LTI, Notizbuch eines Philologen. Darin schreibt er: »Es wird mir immer das größte Rätsel des ›Dritten Reiches‹ bleiben, wie dieses Buch in voller Öffentlichkeit verbreitet werden durfte, ja mußte, und wie es dennoch zur Herrschaft Hitlers und zu zwölfjähriger Dauer dieser Herrschaft kommen konnte, obwohl die Bibel des Nationalsozialismus schon Jahre vor der Machtübernahme kursierte.«

      Die Zweifel der Gegner des Nationalsozialismus

      Während in München die Pressen des Eher-Verlags heißlaufen und Hitler vor den Toren der Macht ankommt, wirkt die Opposition ihm gegenüber gespalten, wehrlos und unfähig, die braune Welle aufzuhalten, die droht, das Land zu überschwemmen. Alle, die den Nazis feindlich gesinnt sind, die Politiker, die Journalisten, haben große Mühe, diesen Hitler, seine Ideen und Absichten zu verstehen. Obwohl Mein Kampf seit mehreren Jahren unübersehbar ist.

      Seit seiner Veröffentlichung im Jahre 1925 stößt Mein Kampf außerhalb des völkischen Dunstkreises auf Desinteresse oder aber auf Arroganz und Sarkasmus. »Hitler nennt sein Buch ›eine Abrechnung‹ […] – nach dem Zusammenbruch seiner Bewegung [hätte er] vor allem mit sich selbst abrechnen müssen«, schreibt das Berliner Tagebuch. Die Neue Zürcher Zeitung kommentiert: »Wir glauben nach der Lektüre dieser Biographie, dass seine Unwandelbarkeit dem unfruchtbaren Trotz und der Verlegenheit des künstlich emporgetragenen, nur zu Exzessen, nicht zu überlegener Politik gereiften Agitators entspringt, der die Welt nicht mehr versteht.« Nachdem sie die Hauptthesen von Mein Kampf zusammengefasst hat, befindet die Frankfurter Zeitung: »Die Freunde konstruktiver Politik werden das Buch Hitlers zur Hand nehmen und daraus sehen, wie recht sie mit allem hatten, was sie dachten. Die Zeit ist weitergeschritten; Hitler aber ist […] erledigt.«[35] Das Satireblatt Simplicissimus begnügt sich mit einer scharfen Karikatur, in der ein schwächlicher, grimassierender Hitler sein Buch an vollgefressene Bürger verteilt.

      Das Desinteresse gegenüber Mein Kampf endet allerdings, als die NSDAP ihre ersten Wahlerfolge erzielt. Othmar Plöckinger, der Pionier auf diesem Gebiet, hat die Rezensionen in Zeitungen, die verschiedenen Abhandlungen und sonstigen Publikationen untersucht und ist zu zwei Schlüssen gekommen: In dem Maße, wie die Nazis an Macht gewinnen, mehren sich die Texte, in denen Mein Kampf als eine wichtige Quelle für Informationen über Hitler erscheint. Aber ihre Verfasser unterschätzen im Allgemeinen die Bedeutung des Buches und konstatieren nur in seltenen Fällen, dass die darin enthaltenen Ideen Wirklichkeit werden könnten.

      Die Ersten, die Mein Kampf ernsthaft studieren, sind nicht die politischen Gegner, sondern die staatlichen Organe. Aufstieg und Stärke der Nazis erscheinen ihnen beunruhigend, also fordern sie Berichte an, um deren Absichten und die von ihnen ausgehende Bedrohung einschätzen zu können. Diese Berichte berufen sich insbesondere auf das Werk des Führers. So erscheint in dem hundertseitigen Bericht, den die preußische Polizei 1930 erstellt, Mein Kampf als die wesentliche Quelle für Erkenntnisse über die politischen Ziele der NSDAP. »Der Parteiführer Hitler hat sich zwar […] in öffentlichen Äußerungen, offenbar aus taktischen Gründen, von einer offenen Propagierung der Gewaltanwendung im allgemeinen zurückgehalten. Indes zeigen zahlreiche Anhaltspunkte, daß er, wie er es in seiner Schrift ›Mein Kampf‹ niedergelegt hat […], auch weiterhin zum gewaltsamen Vorgehen gegen den bekämpften republikanischen Staat entschlossen ist«, schließt der Berichterstatter, ohne jedoch konkrete Maßnahmen zu empfehlen.[36] Ein Beispiel für ähnliche Berichte, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. So geht es hoch bis ins Außenministerium, wo man sich 1931 angesichts der Unruhe, die Hitler im Ausland hervorruft, über seine außenpolitischen Ziele berät und dabei ebenfalls ausdrücklich auf Mein Kampf beruft. Doch all diese Untersuchungen

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