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muß der Mensch erst recht versuchen, dem letzten Ziel zu dienen, und Fehlschläge dürfen ihn von seiner Absicht [… nicht] abbringen […]. Deshalb ist es aber erst recht notwendig, den Rechenmeistern der derzeitigen realen Republik den Glauben an ein ideales Reich gegenüberzustellen« (2/75) – mit diesen Worten hat er in Landsberg die Schlüsse aus dem gescheiterten Putsch gezogen. Nun ist, so gesehen, die Lage allerdings nicht mehr günstig für ihn. Zwei Wochen vor seiner Haftentlassung hat die völkische Bewegung bei den Parlamentswahlen in Bayern – immerhin eine Bastion des Ultranationalismus – weniger als 5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, während sie sieben Monate zuvor auf 33 Prozent gekommen war. Im übrigen Deutschland sind die Ergebnisse noch niedriger. Bei den Reichstagswahlen 1928 erzielt die NSDAP nur 2,6 Prozent der Stimmen, ein Ergebnis, welches das Ende des braunen Abenteuers hätte bedeuten können, so hat es den Anschein.

      Dass Hitler in Haft ist, kann nicht die einzige Erklärung für diesen Absturz sein, zumal die Tendenz sich auch nach seiner Entlassung und seiner erneuten Übernahme der Macht in der Partei fortsetzt. Dafür gibt es vielmehr konjunkturelle Gründe. Während die Nazis von der Krise profitiert haben, verbessert sich nun die sozialpolitische Lage im Land. Die zwischenzeitlich ins Wanken geratene Republik richtet sich wieder auf, in Deutschland wächst das Vertrauen in die Kraft der Demokratie. Die radikalen Töne der NSDAP klingen also weniger verlockend. Diese Jahre nutzen sie für den Aufbau einer Parteiorganisation; eine mühevolle Arbeit, in aller Heimlichkeit, die sich endlich einmal auszahlen soll. Die Nazis, eine Zeit lang Prediger in der Wüste, gewinnen nach und nach Mitstreiter für ihre Sache, die wiederum neue Sympathisanten rekrutieren. Sie bilden Truppen, die entschlossen und imstande sind, den Schlag zu führen, wenn es nötig ist. Hitler hat zwar immer noch Redeverbot, verfügt aber jetzt über einen Text, der an seiner Stelle spricht. Die bayerische Polizei fragt sich sogar, ob nicht auch das Buch gegen dieses Verbot verstößt, und zieht in Betracht, dessen Verbreitung für illegal zu erklären. Ein Bericht wird in Auftrag gegeben, der allerdings zu dem Schluss kommt, dass hier juristisch nichts zu machen sei. Mein Kampf wird nicht verboten.

      In den Zeitungen der rechtsradikalen Bewegung, am Rand von Parteitreffen, mit Plakaten und Flugblättern macht die NSDAP groß Reklame für Mein Kampf. So versichert im Dezember 1925 eine Werbung im Völkischen Beobachter, Mein Kampf bedeute für jeden Nationalsozialisten das »schönste Weihnachtsgeschenk«. Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen in diesem Jahr ein Exemplar unter dem Christbaum finden. Aber wie dem auch sei, das Buch verkauft sich auf Anhieb ziemlich gut.

      Ende 1925 sind 9473 Exemplare abgesetzt worden, sodass gleich eine zweite Auflage gedruckt wird. Um die angestrebte Leserschaft zu vergrößern, geht der Eher-Verlag so weit, folgenden Appell an die Nazi-Gegner zu veröffentlichen: »Jeder Deutsche, der politisch eingestellt ist, muß auch seinen Gegner kennen. Nur dann ist er berechtigt, über ihn zu urteilen. Kennst du Adolf Hitler?« Aber gekauft wird das Buch vor allem von den Anhängern der Partei, von Sympathisanten, den Mitgliedern der völkischen Bewegung. Sie kaufen das Buch, weil sie Hitler unterstützen, nicht aus gegenteiligen Gründen. 12 Mark für ein Exemplar hinzulegen ist zu einer Zeit, in der die Folgen der wirtschaftlichen Krise noch immer spürbar sind, nun mal keine Selbstverständlichkeit.

      Da der Kauf von Mein Kampf als Symbol der Zustimmung zum Nationalsozialismus angesehen wird, beginnen die Gegner der Nazis, von der »Nazi-Bibel« zu sprechen. Eine Strategie, das Buch abzuwerten, wie sie meinen. Aber die Nazis verwahren sich nicht gegen diese Bezeichnung. Als beide Bände zu einem zusammengefasst und im Taschenbuchformat verkauft werden, im Dünndruck und mit einem dunklen Umschlag, ähnelt Mein Kampf ja tatsächlich einer Bibel.[28] Zudem wird das Werk als »Unterstützerausgabe« aufgelegt, in rotes Leder gebunden, von 1 bis 500 durchnummeriert und zum Preis von 100 Reichsmark angeboten. Eine Art Luxusbibel. Auf diese Weise können reiche Sympathisanten der Sache der Nazis dienen.

      Nun ist das Werk nicht nur Symbol der Zustimmung zum Nationalsozialismus, sondern natürlich auch ein politischer Text: Wiewohl zahlreiche Anhänger Mein Kampf sicher nicht von vorn bis hinten gelesen haben, muss doch jeder, der in der Partei Karriere machen will, das Ideengut des Meisters kennen und imstande sein, nach bestem Wissen und Gewissen daraus zu zitieren. So gilt das Buch als Referenz für die Nazi-Doktrin.

      1929, am Vorabend der Weltwirtschaftskrise, sind vom ersten Band 23000 und vom zweiten 13000 Exemplare verkauft worden. Heutzutage würde man von einem anständigen Buchhandelserfolg sprechen. Mit der NSDAP scheint es in dieser Zeit immer weiter bergab zu gehen, sodass über den kleinen Kreis von Nazis hinaus Mein Kampf keine besondere Aufmerksamkeit erzielt. Man spöttelt höchstens über die Hirngespinste dieses »böhmischen Gefreiten«, wie Hitler mit Spitznamen genannt wird.

      Doch mit der Krise von 1929 ändert sich plötzlich alles: Die bisherige Splitterpartei NSDAP wird 1930 zweitstärkste politische Kraft im Reichstag. Und erhebt Anspruch auf 6,4 Millionen Stimmen.

      Die Finanzkrise, die auf den Schwarzen Freitag folgt, destabilisiert die europäischen Volkswirtschaften. Deutschland, dessen Wirtschaft seit dem Weltkrieg großen Schwankungen ausgesetzt ist, bekommt die Folgen mit voller Wucht zu spüren: wahnwitzige Inflation und extrem hohe Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig zerfällt die Regierung: Das Weimarer Modell wird von allen Seiten in Frage gestellt. Nun wenden sich die Wähler der NSDAP oder der KPD zu. Kommunistische und nationalsozialistische Agitation schaukeln sich gegenseitig hoch. Ein Teil der konservativen Eliten – noch gezeichnet von den revolutionären Unruhen des vergangenen Jahrzehnts, das Schreckgespenst des Bolschewismus vor Augen – beginnt nun seinerseits, Hitler in positivem Licht zu sehen.

      Das macht sich auch bei den Verkaufszahlen von Mein Kampf bemerkbar: Im Laufe eines einzigen Jahres, 1930, gehen 54000 Exemplare über den Ladentisch. Im selben Jahr reagiert der Eher-Verlag auf die veränderte Lage, indem er eine »Volksausgabe« herausbringt, eine Taschenbuchversion, die beide Teile zu einem günstigen Preis vereint. Bis Anfang 1932 haben sich insgesamt 80000 Exemplare davon verkauft.

      1932 folgt eine politische Krise auf die andere. Der Formulierung des Historikers Joachim Fest zufolge sind Hitler und Konsorten mehr denn je die Nutznießer dessen, was ihren Erfolg begründet hat: der »großen Angst«, die Deutschland bewegt. Angst vor dem Abstieg, Angst vor dem Bolschewismus, Angst vor dem Neuen. Zum Jahresende ist der Absatz auf 230000 Exemplare gestiegen. Allein im Januar 1933, in dessen Verlauf die Reichstagswahlen stattfinden, kaufen nicht weniger als 13000 Deutsche das Buch.[29] Der Eher-Verlag in München lässt fleißig nachdrucken und vergrößert sich: Die Nachbargebäude werden hinzugekauft. Max Amann, Mitstreiter wie Geschäftemacher, reibt sich die Hände. Die Aussicht auf einen Erfolg bei den bevorstehenden Wahlen bedeutet einen noch glänzenderen kommerziellen Erfolg.

      Die Nazis prangern den angeblich protzigen Lebensstil, den luxuriösen Geschmack der Regierenden von Weimar an, ereifern sich etwa über das Millionenvermögen, das Reichskanzler von Papen besitzen soll. Dagegen betont die NSDAP, sie wolle sich nicht am Volk bereichern. So kündigt Hitler öffentlich an, er werde im Falle des Wahlsieges auf sein Gehalt als Kanzler verzichten, ein Versprechen, das er auch hält. Gerade bei den kleinen Leuten, die infolge der Krise verarmt sind, findet diese geschickt eingesetzte Rhetorik großen Anklang.

      In Wahrheit ist der Führer bereits jetzt ein wohlhabender Mann. Ein Gehalt hat er wirklich nicht nötig, da er von jedem verkauften Buch 10 Prozent des Ladenpreises erhält, ab 1933 sogar 15 Prozent. Mit dem Geld aus diesen Verkäufen ersteht er 1933 den Berghof, der nach dem Ausbau zu seinem heimlichen zweiten Regierungssitz wird und 1944 sogar als Führerhauptquartier dient. Nach der Machtübernahme macht die auch dank des neuen Regimes in schwindelerregende Höhen schießende Auflage des Buches seinen Autor reich. Wie Max Amann 1947 bezeugt, dürfte Mein Kampf dem Führer 15 Millionen Reichsmark eingebracht haben, umgerechnet mehr als 20 Millionen Euro.

      Jahrzehnte später, 1996, führt die Freigabe eines Berichts des OSS, des Vorgängers der CIA, auf die Spur eines Teils der Honorareinnahmen. In diesem Bericht wird die Existenz eines Kontos enthüllt, das Amann für Hitler bei der UBS in Genf eröffnet hat, auf dem Millionen Mark seit Kriegsende schlummern …[30]

      Aber das Buch ist nicht nur für seinen Verfasser einträglich: Es füllt auch die Parteikasse, was den Wahlkämpfen in den entscheidenden 1930er

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