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Eltern und Sohn wenig später am gemeinsamen Esstisch Platz genommen hatten, war der Raum mit dem Duft frischer Pfannkuchen erfüllt. Martin erinnerte sich daran, dass es in seiner Kindheit immer Ursula gewesen war, die diese Leckereien für ihn gemacht hatte. Er sog den Duft ein und hörte, wie sein Magen knurrte. „Lang zu“, grinste sein Vater verstehend und deutete auf die Pfannkuchen. In den nächsten Minuten sprach niemand. Nur das Geräusch von schabendem Besteck auf der Keramik eines gefüllten Tellers erfüllte für eine Zeitlang die Stille des Raums. „Also..“, eröffnete Helene das Gespräch „Wie ist es Dir ergangen?“ Martin legte die Gabel auf den Teller und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er war so satt, wie lange schon nicht mehr. „Gut Mutter. Die Kameradschaft und die enge Gemeinschaft, die dort herrschten haben mich von der Richtigkeit dieses Dienstes überzeugt. Die Volksgemeinschaft und der Glaube an den Führer werden Deutschland schon sehr bald wieder groß und mächtig machen.“ Paul Gerhard warf seiner Frau einen erstaunten Blick zu und zündete sich dann schweigend eine Zigarre an. „Hört, hört!“, murmelte er und blies den Rauch an die Zimmerdecke. „Wir haben einen Deich angelegt und damit ein Becken geschaffen in dem das Wasser, von den Gezeiten unabhängig, immer die gleiche Tiefe hat. In diesem Becken sollen zukünftig Wasserflugzeuge der Kriegsmarine landen können.“ Der Stolz, der in der Stimme Martins mitschwang, als er von den harten Arbeitsbedingungen berichtete, war unüberhörbar. „Viel freie Zeit blieb da natürlich nicht. Abends haben wir dann häufig zusammengesessen und unser Oberfeldmeister hat uns etwas über die Lebensgeschichte des Führers und aus der Kampfzeit der Partei berichtet.“ Helene zündete sich ebenfalls eine Zigarette an und betrachte ihren Sohn über den Rand ihres Weinglases. „Du hast Dich verändert mein Junge“. Martin meinte in den Worten einen vorwurfsvollen Unterton herauszuhören. „Ja das habe ich Mutter. Ich bin erwachsen geworden und ich habe erkannt, dass deutsch zu sein wieder etwas zählt. Ehre, Treue und Gehorsamkeit sind die Tugenden auf denen sich ein neues Deutschland aufbauen lässt!“, erwiderte er etwas torzig. Der Zigarrenqualm hing wie ein dicker Nebel über ihren Köpfen und für einen Moment beobachten sie gemeinsam, wie sich die Schwaden nach und nach im ganzen Zimmer ausbreiteten. „Man scheint euch politisch auf Linie gebracht zu haben“, stellte der Freiherr und ehemalige Offizier mit nüchterner Stimme fest. Martin nippte an seinem Glas und schwieg. Er ist nie in dem neuen Deutschland angekommen, dachte er und stellte einmal mehr fest, dass sein Vater mehr denn je ein alter Mann war. „Man hat uns nur gezeigt, worum es geht und warum es richtig und so wichtig ist sich in die deutsche Volksgemeinschaft einzubringen“. „Ihr redet von Volksgemeinschaft“, die unverhohlene Verachtung in der Stimme seines Vaters machte Martin wütend. „Mein Junge, dieses neue Deutschland von dem Du da sprichst wird Europa in einen neuen Krieg stürzen. Die Nazis spielen Gott und ihr seid ihre gläubigen Jünger“. Bevor Martin etwas erwidern konnte, fuhr seine Mutter dazwischen

      „Ach lassen wir doch die Politik aus dem Spiel. Es ist schön, dass Du wieder zu Hause bist“ Martin biss sich auf die Lippen und lächelte sie an. „Du hast recht Mutter. Entschuldigt mich bitte. Ich werde mich hinlegen und etwas Schlaf nachholen. Den gab es beim RAD tatsächlich viel zu wenig“. Nach diesen Worten erhob er sich und verabschiedete sich. Einige Minuten saßen Helene und Paul Gerhard schweigend nebeneinander, und ein jeder von ihnen hing seinen Gedanken nach. Dann räusperte sich der alte Gutsherr und füllte sein halbleeres Glas auf. „Helene, ich glaube wir haben jetzt einen kleinen Nazi im Haus“, sagte er trocken. Seine Frau starrte ihn wortlos an und er erkannte die Hilflosigkeit in ihrem Blick. „Was haben sie mit ihm gemacht?“, flüsterte sie leise. „Sie machen aus unseren Kindern Monster, die schon sehr bald für sie morden oder sich am Ende sogar selbst opfern werden.“ „Aber wofür?“ Helene blickte ihren Mann fragend an. „Für eine Bande von Verbrechern!“ Paul Gerhard erhob sich und schüttelte den Kopf. „Wir sollten in Zukunft etwas vorsichtiger mit unseren Worten sein. Zumindest solange Martin dabei ist“. Helene nickte stumm. Ihr Sohn war zu einem Nazi geworden, dieser Tatsache musste sie wohl ins Auge schauen.

      Martin erwachte früh. In den letzten sechs Monaten waren er und seine Kameraden beim Arbeitsdienst stets um 4: 45 Uhr geweckt worden. Danach hatte der Oberfeldmeister die müden Männer eine halbe Stunde lang im Laufschritt durch die Sylter Dünenlandschaft gejagt. Vielleicht sollte er aufstehen und eine Runde Laufen gehen, überlegte er. Der Regen schlug an die Fensterscheibe seines Zimmers und er zog die Bettdecke hoch, so dass nur sein Kopf herausschaute. Nein, bei dem Sauwetter würde er noch ein paar Minuten liegen bleiben. Draußen auf dem Hof waren die alltäglichen Geräusche eines landwirtschaftlichen Betriebes zu hören. Ein Trecker wurde angelassen, Pferde wieherten und das Klappern ihrer beschlagenen Hufe drang an sein Ohr. Die Landarbeiter riefen sich einen morgendlichen Gruß zu und der alte Hahn kündigte an, dass er ausgeschlafen hatte. Es klopfe an seiner Tür und seine Mutter trat herein. In der Hand hielt sie einen Becker mit frisch aufgebrühtem Kaffee. „Guten Morgen mein Junge.“ Sie kam herüber an sein Bett und reichte ihm das heiße Getränk. „Hast Du gut geschlafen?“ Martin setzte sich auf und nickte. „Ja, Mutter.“ Sie setzte sich auf die Bettkante und strich ihm mit der Hand durch das blonde Haar. „Haben wir keine Haushälterin?“ Martin nippte an der Tasse. Seine Mutter hatte ihm früher nie einen Kaffee in das Zimmer gebracht. „Nein. Nach dem man Ursula verhaftet hatte, wollte dein Vater keine neue Kraft mehr einstellen.“

      „Aber warum das denn nicht? Es gibt bestimmt viele deutsche Mädchen, die diese Aufgabe gern übernehmen würden.“ Helene von Amsfeld schüttelte den Kopf „Dein Vater besteht darauf, auf die Rückkehr Ursulas zu warten.“ „Wo ist sie denn jetzt?“ Martin betrachtete seine Mutter neugierig. Er bemerkte die plötzliche Traurigkeit in ihrem Gesichtsausdruck. „Sie soll in einem Konzentrationslager in der Nähe von München sein. Ich glaube der Ort heißt Dachau.“ Ursula Kleinow hatte der Familie von Amsfeld über viele Jahre gedient und gehörte praktisch mit zur Familie. Sie hatte den kleinen Martin sein Leben lang umsorgt und ihm in seiner ganzen Kindheit zur Seite gestanden. Sie brachte ihm bei, wie man eine Schleife macht oder wie man Papierflieger baut. Er hatte sie gemocht, doch das war, lange bevor er erfuhr, dass sie eine verdammte Jüdin war. Er erinnerte sich daran, wie geschockt er damals gewesen war, als der Ortsgruppenleiter Matuchek die alte Frau beschimpft und anspuckt hatte. Heute sah er die Sache anders. Ursula hätte damals damit rechnen müssen eine solche Reaktion des Mannes zu erfahren. Schließlich gehörte sie einer Rasse an, die seit Jahrhunderten alles daran setzte das deutsche Volk zu versklaven. Sie selbst hatte vielleicht nichts Unrechtes getan, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie einem Volk angehörte, das andere Völker ausbeutete und unterdrückte. „Ein Konzentrationslager dient der Umerziehung. Dort wird sie zu einem besseren Menschen gemacht“ Helene starrte ihren Sohn entgeistert an. Das konnte er doch nicht ernsthaft behaupten, dachte sie. „Trink Deinen Kaffee aus und dann komm herunter.“ Helene erhob sich und zog die Vorhänge auf. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schloss sie die Zimmertür hinter sich.

      Martin von Amsfeld legte die Striegelbürste zurück in das Regal. Die beiden Stuten waren zwar schon alt, aber sie sahen frisch gestriegelt immer noch ausgesprochen gut aus. Einer der Stallburschen reichte Martin einen Krug Bier und der junge Mann dankte es ihm mit einem freundlichen Lächeln. Es war schön, wieder zu Hause zu sein, auch wenn es nicht für allzu lange Zeit sein würde. Zwei Tage bevor seine Dienstzeit im RAD zu Ende ging, war er zu Oberfeldmeister Meinhard gerufen worden. Der Kommandant des Lagers saß wie immer hinter seinem blitzblanken Schreibtisch und stürzte eimerweise frischen Kaffee in sich hinein, den ihm einer seiner Untergebenen brachte, sobald er einen lauten Pfiff ausstieß. „Nehmen sie Platz von Amsfeld“ Martin trat einen Schritt vor und setzte sich. „Ich mache es kurz. Sie sind mir während ihrer sechsmonatigen Dienstzeit positiv aufgefallen. Als Sie hier eintrafen dachte ich zunächst, dass Sie einer dieser üblichen verzogenen liberalen Bübchen aus gutem Hause sind, die harte körperliche Arbeit meiden.“ Er steckte sich eine Zigarette an und fuhr dann fort. „Aber, ich habe mich getäuscht. Sie haben sich hier gut geschlagen. Obertruppführer Stachelhaus hat sich ebenfalls sehr lobend über Sie geäußert. Sie sind hier in kurzer Zeit zu einem wahrlich treuen und überzeugten Nationalsozialisten herangereift. Das Deutsche Reich braucht junge Männer wie Sie.“ Martin war bei so viel Lob regelrecht warm ums Herz geworden und er lächelte verlegen. „Aus diesem Grund habe ich mich dafür eingesetzt, dass Sie Ihren zweijährigen Wehrdienst in der SS ableisten können. Herzlichen Glückwunsch!“ Meinhard wuchtete

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