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offiziellen Reden den anderen Parteien ein baldiges Verbot voraussagte, ahnte Paul Gerhard, dass seine Tage als Abgeordneter des preußischen Landtages schon sehr bald gezählt sein würden. Nur sieben Wochen später erließen die Nazis dann auch das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder“, mit dem auf einen Schlag alle zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Länderparlamente aufgelöst wurden. Wie so viele andere Abgeordnete musste auch Paul Gerhard von Amsfeld alle seine politischen Aktivität einstellen. „Ist das wirklich schon zwei Jahre her?“, ging es ihm durch den Kopf. Seit dieser Zeit lebten er und seine Familie wieder auf dem Gut in Amsfeld. Die Berliner Stadtwohnung, in der sie viele Wochen im Jahr zu Hause gewesen waren, hatte der Freiherr nach der Auflösung des Parlaments an einen ihm bekannten Arzt und seine Familie vermietet.

      Martin räusperte sich und sein Vater tat es ihm gleich. „Ich kann Dich nach Treblin begleiten Vater. Die vier Holsteiner habe ich bereits versorgt und einer der Stallburschen kann sich um das Füttern kümmern“ „ Das ist sehr nett von Dir, aber ich möchte, dass Du Dich heute Nachmittag um eine andere wichtige Angelegenheit kümmerst“ Martin blickte seinen Vater überrascht an. „Gern, worum geht es?“ In diesem Moment betrat die alte Haushälterin das Esszimmer, um das Geschirr abzuräumen. „Ursula, meine Gute. Sie kommen gerade zur rechten Zeit!“ Verdutzt blieb die Frau stehen. „Ich möchte, dass Sie heute mit Martin zum Ortsgruppenleiter gehen. Es ist gestern morgen ein amtliches Schreiben in der Post gewesen, in dem ich darauf hingewiesen werde, dass alle meine Angestellten behördlich registriert werden müssen.“ Für einen Moment war nur das Wiehern einiger Pferde zu hören. Paul Gerhard von Amsfeld war wahrlich kein Freund der Nazis und er verabscheute den Ortsgruppenleiter der NSDAP zutiefst. Insofern konnte Martin verstehen, dass sein Vater ihn gebeten hatte Ursula zu begleiten und er nicht selber mit ihr zu dem Parteifunktionär gehen wollte. Der Mann hieß Johann Matuchek und war vor seiner Parteikarriere als einfacher Arbeiter in der ortsansässigen Tuchmacherei angestellt gewesen.

      Matuchek, der 1928 in die NSDAP eingetreten war, lebte seit seiner Geburt in Amsfeld und war ein ungebildeter Kerl, der es vor der Machtergreifung zu nichts gebracht hatte. Er trank gern und viel, zuviel . Er war für seine Brutalität bekannt und benutzte seine neue Machtposition häufig genug dazu, um alte, offene Rechnungen zu begleichen. Nachdem er vor zwei Jahren zum Ortsgruppenleiter ernannt worden war, führte er sich häufig auf wie ein Despot und wurde von den meisten Dorfbewohnern gemieden. Der kleine Raum der NSDAP-Ortsgruppe Amsfeld lag gleich neben der Bäckerei Tornow. Das Gebäude hatte ursprünglich einmal als Lagerhalle für Tuchballen gedient und war vor zwei Jahren mit einfachsten Mittel zum Büro und Versammlungsort der Partei umgebaut worden. Johann Matuchek saß hinter einem alten Schreibtisch und war damit beschäftigt, die neuste Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ zu lesen, als es an der Tür klopfte. Der Ortsgruppenleiter legte die Zeitung beiseite. „Herein“ rief er mit schnarrender Stimme. Die Tür öffnete sich und Ursula Kleinow und Martin von Amsfeld betraten das Büro. Der Ortsgruppenleiter ließ die Zeitung in einer der Schubladen verschwinden und griff nach einem Stapel Karteikarten auf denen er die Daten der ortsansässigen Parteimitglieder notiert hatte.

      In den letzten beiden Jahren war die Anzahl der Anträge auf Aufnahme in die NSDAP beständig angewachsen. In Amsfeld lebten zurzeit 1012 Menschen, von denen mittlerweile 388 eingetragene Parteimitglied waren. „Guten Tag Herr Matuchek. Ich habe eine Aufforderung erhalten mich bei Ihnen zu melden“, sagte Ursula Kleinow, die sich sichtlich um Freundlichkeit bemühte. Der Blick des Ortsgruppenleiters wanderte zwischen der alten Frau und Martin hin und her. Dieser reiche Schnösel, dachte er. Wie ich diese arroganten Adeligen doch hasse, ging es ihm durch den Kopf. „Heil Hitler!“ Er hob den rechten Arm zum sogenannten deutschen Gruß und wies auf die beiden Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. „Setzen Sie sich!“ Es war keine Bitte, sondern eine Anweisung, der die Besucher zu folgen hatten. Ursula und Martin tauschten einen kurzen Blick aus und setzten sich dann. „Der Kreisleiter hat befohlen, dass ich alle in Amsfeld tätigen Hausangestellten und Arbeiter registriere“, sagte er mit schnarrender Stimme. „In diesem Prozess werden unter anderem alle vorliegenden Unterlagen geprüft und herangezogen, die Aufschluss über die jeweilige Person geben.“ Sein Blick fiel auf einen ausgefüllten Vordruck, den er vor sich auf dem Schreibtisch gelegt hatte. „Natürlich wird in diesem Zusammenhang auch die Herkunft der betroffenen Person überprüft.“

      Ursula Kleinow blickte Matuchek fragend an. „Ihre Großeltern väterlicherseits hießen Rosenbaum? Ist das korrekt?“ Matuchek lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Seine Stimme war eisig und abweisend. „Das ist richtig“, antwortete die Haushälterin. Martin, der bisher geschwiegen hatte, bemerkte dass sich der Gesichtsausdruck des Ortsgruppenleiters jetzt um eine weitere Nuance verfinsterte. Er hatte die Lippen aufeinander gepresst und seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Was sollte das, fragte sich Martin. Wieso war der Name der Großeltern so wichtig? Eine Sekunde später erhielt er die Antwort. Matuchek war aufgesprungen und hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Dann beugte er sich über den Tisch, so dass sein Kopf nur noch einen halben Meter von Ursula Kleinow entfernt war. „Samuel und Maria Rosenbaum. Das klingt doch wohl sehr jüdisch oder etwa nicht?“ Das Wort jüdisch zischte er der völlig überraschten Frau entgegen. Sein Gesicht war hassverzerrt und Martin glaubte, dass Matuchek gleich auf die vor ihm sitzende Frau losgehen würde. Ursula Kleinow war bleich geworden. Ihre zarte schmale Gestalt schien unter jedem weiteren Wort ihres Gegenüber kleiner und zerbrechlicher zu werden. „Du bist eine verdammte Judensau“, brüllte er. Der nackte Hass des Mannes schlug Ursula Kleinow mit voller Wucht entgegen und bevor Martin etwas dagegen unternehmen konnte, spuckte Matuchek der Haushälterin ins Gesicht. Ursula Kleinow saß kerzengrade auf ihrem Stuhl und war zu einer Salzsäule erstarrt. Der Speichel des Mannes lief an ihrer rechten Wange herunter. Sie blickte leer und ausdruckslos ins Leere. Martin war aufgesprungen und stellte sich schützend vor die alte Frau, so dass er zwischen ihr und dem tobenden Matuchek stand. „Herr Matuchek, was fällt Ihnen ein?“, rief er und die Fassungslosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Und Du hältst besser Deine adelige Klappe, bevor ich Dich und Deine ganze defätistische Sippe als Judenfreunde verhaften lasse.“ Martin schoss das Blut in den Kopf, so dass er dunkelrot anlief. Seine Knie zitterten nun vor Wut, und er hatte sichtlich Mühe, sich zu bändigen, um diesem versoffenen Nichtsnutz nicht auf der Stelle die Visage einzuschlagen. „Was bedeutet die Erkenntnis, dass meine Großeltern dem jüdischen Glauben angehörten denn jetzt?“ Martin und Matuchek wandten sich fast gleichzeitig der alten Frau zu, die sich mit einem Taschentuch über das Gesicht wischte. Dann ging ein kurzer Ruck durch ihren kleinen gebrechlichen Körper. Sie blickte Matuschek mit furchtloser Verachtung an, der dadurch für einen Moment aus dem Konzept zu geraten schien. „Und für Sie Herr Matuschek, bin ich immer noch Frau Kleinow.“ Nach diesen Worten herrschte in dem kleinen Raum für einen Moment eine gespenstische Stille. Nur der rasselnde Atem Matuschek unterbrach diese plötzliche Ruhe. Eine Sekunde später ließ der Mann sich mit einem Plumpsen auf seinen Stuhl zurückfallen, und seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. Ursula Kleinow legte ihre Hand auf den Oberschenkel Martins, der sich immer noch schützend zwischen ihr und dem Schreibtisch des Ortsgruppenleiters aufgebaut hatte. Sanft schob sie ihn zur Seite. Ihr kalter Blick und ihre offensichtliche Furchtlosigkeit schienen den uniformierten Mann zu irritieren. „Sie gelten nach den bestehenden Rassengesetzen des deutschen Reiches fortan als Halbjüdin“, murmelte er. Dann wandte er sich an Martin „Sie sollten ihrem Herrn Vater mitteilen, dass er durchaus Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn er weiterhin eine Jüdin bei sich beschäftigt.“ Ursula Kleinow war während dieser Worte aufgestanden und hatte sich der Tür zu gewandt. „Martin, bitte lass uns gehen. Guten Tag Herr Matuchek.“ Auf dem Heimweg schwieg die alte Frau. Martin, immer noch wie unter Schock, trottete stumm neben ihr her. Seine Blicke fielen auf die Dorfbewohner, an denen sie vorbeigingen. Plötzlich überkam ihn das Gefühl, dass man sie anstarrte, oder aber den direkten Blickkontakt mied, als sie sich näherten. Wieder zu Hause angekommen, suchte Martin nach seinem Vater, aber der war noch nicht wieder zurück. Verstört und aufgewühlt durch die jüngsten Ereignisse in dem Büro des Ortsgruppenleiters Matuchek, hallten die Worte des Mannes immer und immer wieder durch seinen Kopf. „Du bist eine Judensau“. Ursula Kleinow tat ihm leid, und er schämte sich dafür, dass er sie nicht vehementer verteidigt hatte. In Deutschland erlebte der Antisemitismus seit der Machtergreifung der Nazis frischen Wind. Überall im Deutschen Reich wurden die Juden seit 1933 Schritt für

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