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für viele Physiker bis zum heutigen Tag. Diejenigen, die die Naturbetrachtung revolutioniert haben, aber auch diejenigen Physiker, die diese weiter entwickelten, sahen und sehen es nicht als notwendige Folge ihrer revolutionären Erkenntnisse, die Religion und den religiösen Glauben als etwas „ungültiges“ abzulehnen. Im Gegenteil: Sie alle wussten und wissen genau, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, mögen sie so umfangreich und so tief sein, wie es nur möglich ist, nur einen engen Bereich der Wirklichkeit erfassen können. Bedenke man nur den Menschen und seine Welt!4

      Dem Gegenüber gibt es die Stellungnahmen „philosophierender“ Wissenschaftler, die davon überzeugt sind, dass aus „wissenschaftlichen Gründen“ oder als Folge „nüchterner Betrachtung“ die Religion und der Gott, der in ihren Zentrum steht, fiktive Gebilde seien. Stellvertretend möchte ich zwei Stimmen kurz zu Wort kommen lassen.

      Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins macht große Anstrengungen, um die Frage zu klären, „warum es mit ziemlicher Sicherheit keinen Gott gibt“.5 In einem Stern-Interview kann er sogar feststellen, dass "Gott [..] mit großer Wahrscheinlichkeit nicht existiert ".6 Hier zeigt sich eine besonders interessante „sachliche“ Anwendung der Wahrschein-lichkeits-„Rechnung“ seitens eines modernen Naturwissenschaftlers mit unzähligen Anhängern, besonders einigen mit berufswissenschaftlichem Hintergrund.

      Stephen Hawking und Leonard Moldinow gehen sogar einen Schritt weiter, bis hin zur Verabsolutierung der naturwissenschaftlichen Denkweise. Sie schreiben:

      „Wir existieren nur kurze Zeit und erforschen in dieser Zeit nur einen kleinen Teil des Universums. Doch der Mensch ist eine neugierige Spezies. Wir staunen und suchen nach Antworten. Da die Menschen nun einmal in dieser riesigen, mal gütigen, mal grausamen Welt leben und in den unermesslichen Himmel über ihnen blicken, stellen sie sich von jeher eine Fülle von Fragen. Wie können wir die Welt verstehen, in der wir leben? Wie verhält sich das Universum? Was ist das Wesen der Wirklichkeit? Woher kommt das alles? Braucht das Universum einen Schöpfer? Die meisten von uns verbringen nicht übermäßig viel Zeit mit diesen Fragen, doch fast alle machen wir uns hin und wieder darüber Gedanken. Traditionell sind das Fragen für die Philosophie, doch die Philosophie ist tot. Sie hat mit den neueren Entwicklungen in der Naturwissenschaft, vor allem in der Physik, nicht Schritt gehalten. Jetzt sind es die Naturwissenschaftler, die mit ihren Entdeckungen die Suche nach Erkenntnis voranbringen“.7

      „Obwohl wir nach kosmischen Maßstäben nur winzig und unbedeutend sind, werden wir dadurch in gewissem Sinne zu den Herren der Schöpfung:

      Um das Universum auf fundamentalster Ebene zu verstehen, müssen wir nicht nur wissen, wie sich das Universum verhält, sondern auch warum.

      * Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts?

      * Warum existieren wir?

      * Warum dieses besondere System von Gesetzen und nicht irgendein anderes?“

      „Das ist“, so behaupten Hawking und Moldinow, „die letztgültige Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Wir werden versuchen, sie in diesem Buch zu beantworten“

      2. Angesichts der oben kurz erwähnten Haltungen ist es geboten, die Frage zu klären, was man eigentlich klären muss, wenn vom Verhältnis zwischen Religion und rationalem Denken, besonders aber wenn von dem Verhältnis zwischen Religion und Wissenschaft die Rede ist. Bei einer näheren Betrachtung wird klar, dass der Zusammenhang zur Klärung der oben erwähnten Frage sehr breit ist, ja es ist der breiteste Erkenntniszusammenhang überhaupt: des Ganzen der Wirklichkeit.

      Da die Verstandes- bzw. die Denkmäßigkeit der Betrachtung der Religion und des religiösen Glaubens der letzte Maßstab zur Bestimmung der Gültigkeit des Wahrheitsgehalts einer solchen Betrachtung ist, ist es geboten, den Verstand bzw. das Denken als Ansatzpunkt einer derartigen Betrachtung näher zu prüfen. Da hallt Kants Aufruf: "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!", was nichts anderes als „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" bedeutet.9

      Diese Bestimmung und der ihr entsprechende Aufruf zeigen klar in Richtung der Kantischen Frage hin: „Was ist der Mensch?“, eine Frage, die er als „Schmelzpunkt“ dreier Grundfragen sah: „Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“10

      Der Ausgang des Menschen aus seiner Unmündigkeit bedeutet also die Entfernung eines Schleiers, der uns vor uns selbst verbirgt und so die Selbsterkenntnis wie auch die Erkenntnis der Wirklichkeit verzerrt.

      Der Hinweis darauf, dass man für einen solchen Schritt des Ausganges aus der eigenen selbstverschuldeten Unmündigkeit Mut benötigt, bedeutet zweierlei: Mut, sich einzugestehen, dass man selbst nicht mündig ist, aber auch den Mut, den Schritt des Ausganges aus diesem Zustand zu wagen.

      Worin besteht nun diese Mündigkeit, für deren Erreichen man offenbar Mut benötigt, aber warum soll das Bedienen des eigenen Verstandes so gehemmt sein, dass dafür Mut verlangt wird?

      „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen“.11

      Mit Mündigkeit ist also die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung und der mit ihr wesentlich verbundenen Verantwortung gemeint. Es geht um die fundamentale Unabhängigkeit des einzelnen, sein Leben selbst zu betrachten und demensprechend zu lenken und zu führen; dabei besitzt er auch die Fähigkeit und die Möglichkeit für die verantwortungsvolle Art der Verwirklichung seines individuellen Lebens, ein Leben, das zwar individuell geführt wird, jedoch dabei nicht in der Isolation geführt wird und bleibt: Es ist ein Leben, das immer und zwangsläufig in einem kulturell bedingten gemeinschaftlichen Rahmen verläuft. Die Tatsache, dass das Individuum nur im Rahmen der Gemeinschaft das sein kann, was es ist, verleiht ihm die fundamentale Möglichkeit, im Rahmen der Gemeinschaft, in deren Mitte er lebt, zu wirken, was ihn folglich in die Lage versetzt, gesellschaftlich und so auch geschichtlich zu wirken.

      „In vielen Kulturen gibt es Epochen der Aufklärung. Es sind Epochen, in denen sich der Mensch selbst neu entdeckt. So entsteht ein neues Verhältnis, nicht nur des Menschen zu sich selbst, sondern auch zu Gott und der Welt. Der Mensch entdeckt, dass er eine Verantwortung trägt. Er ist nun selbst verantwortlich für Erkennen, Handeln und Politik“.12

      „Religion“, „Wissenschaft“, „Erkenntnis der Wirklichkeit“: Hier handelt es sich also nicht bloß um „lokale“, „punktuelle“ Verhältnisse, sondern buchstäblich um das Ganze: Nur vor dem Hintergrund der Wirklichkeit als Ganzes lässt sich auf eine sinnvolle Weise nach dem Zusammenhang der obengenannten „Faktoren“ fragen. Das kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass alle drei den gleichen Anspruch haben: Dass die Gültigkeit ihrer Aussagen in der Wahrheit begründet sein muss, was nichts anderes als ihren Wirklichkeitsbezug bedeutet.

      Genau darin besteht der Zusammenhang mit der Art des Mensch-Seins namens „Aufgeklärt-Sein“ und mit der zum Ausdruck kommenden Mündigkeit des Einzelmenschen. Es gibt vermutlich keinen anderen Bereich als die Religion, wo dieser Aufruf zur Aufklärung und zur Mündigkeit immerwährend aktuell ist. Aber dazu später.

      3. Wenn von Erkenntnis die Rede ist, so ist zu bemerken, dass die einzige Erkenntnisart, die von jeglichem Wirklichkeitsbezug frei ist, die mathematische ist. Die Tatsache, dass gerade die Mathematik als das geeignete Ausdrucksmittel zur Formulierung der Erkenntnisse der Natur – musterhaft in der Physik – gilt, will zunächst nur sagen, dass das mathematische Mittel einzig und allein dazu geeignet ist, physikalische Erkenntnis-Bestimmungen wie auch die Folgerungen aus solchen Bestimmungen quantitativ darzulegen: Dadurch werden nur und ausschließlich physikalische Bestimmungen der Natur zum Ausdruck gebracht, nicht aber eigentümliche mathematische Betrachtungen und Erwägungen. In der Mathematik

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