Скачать книгу

      Die Optimierer verbrachten längere Zeit mit ihren Highcontrollern, riefen Daten einzelner Speisen ab und verglichen diese vermutlich mit Eckdaten ihres Konsums und Tagesprogramms.

      Die Zwangsvariierer achteten darauf, immer etwas Neues auszuprobieren, und stürzten sich förmlich auf die exotischen Speisen. Sie bescherten ihm auch die ersten Zubereitungseinsätze: asiatische Heuschrecken kurz angebraten, Algenpopcorn, flambierte Tibetschnecken.

      Dann gab es noch eine Fraktion, die wenig Wert aufs Essen legte, ihr Menü übersichtlich und lieblos gestaltete, aber sich dem Ritual oder den Kollegen verpflichtet fühlte. Malik nannte sie die Kostverächter.

      Bislang lag seine Zuordnungsquote bei 90 Prozent. Dann tauchte eine Gruppe von vier Leuten auf, die auf seine Kochzone zusteuerte. Malik kniff die Augen zusammen. Bei dem Mann, der vorausschritt, handelte es sich um keinen Geringeren als Gerald Kronberg, den Konzernchef höchstpersönlich. Er war im Gespräch mit einem Mann, der ihm nur bis zum Kinn reichte, aber einen körperlich geschmeidigeren Eindruck machte. Eine Mischung aus Gepard und Frettchen, schoss es Malik durch den Kopf.

      Hinter den beiden gingen zwei Frauen, eine hochgewachsene Dame mit dunklem Teint und ein schmales Persönchen. Ihre schwarzen, glatten Haare waren in einer Art Helmform geschnitten und wippten beim Gehen. Die dunkel umrandete Brille brachte den wachen Blick der jungen Frau gut zur Geltung.

      Malik war schon gedanklich dabei, eine neue Kategorie aufzumachen, und fast enttäuscht, als sie dann doch ihren Highcontroller aus der Tasche holte. Im nächsten Moment musste die Frau heftig niesen, zog ein Taschentuch aus ihrem Jackett und verfiel in ein unterdrücktes Husten.

      Das Gepardenfrettchen sah genervt nach hinten, so als wolle es sagen: Gib endlich Ruhe! Dann wandte es sich wieder Kronberg zu.

      Malik freute sich, dass die Mitarbeiterin dies gar nicht mitbekam, weil sie wieder hustete. Sie ließ den Blick über die Salate schweifen, blieb bei den Artischocken hängen. Malik ging hinter seiner Theke an den beiden Männern vorbei.

      „Soll ich Ihnen ein paar auf einen Teller tun?“, fragte er die junge Frau. Sie blinzelte, lächelte und nickte. „Sehr gerne.“

      Wieder musste sie husten. Im selben Moment entglitt ihr der Highcontroller, landete auf der Kante der Schüssel mit dem Lollo rosso und tauchte zwischen den Blättern ab. Die Besitzerin wedelte noch kurz hinterher, griff sich an die Stirn und sah Malik grinsend an. „Mist, Mist, Mist. Tut mir total leid, bitte entschuldigen Sie.“

      Malik war völlig baff, wie tief ihre Stimme klang, und fragte sich, wie viel dabei der Erkältung geschuldet war. Er schaute sich nach einem Salatbesteck um. Als er fündig geworden war, schob er das Grünzeug beiseite, lächelte und die Frau nahm sich ihr Gerät heraus.

      „Ich wollte gerade diesen Salat, Sie glauben aber nicht, dass ich davon noch nehme, nachdem meine Teamassistentin ihre Bazillenschleuder da reinverfrachtet hat. Beschaffen Sie mal neuen, bitte“, sagte das Gepardenfrettchen.

      Im nächsten Moment stand Bart bei ihm. „Wird sofort erledigt, bei dir ist mehr los“, sagte er und reichte der jungen Frau noch ein Abtrockentuch. „Für Madame Temme, mit besten Wünschen des Hauses.“

      „Danke, Herr Krüger“, sagte sie und verbeugte sich leicht. Malik sah jetzt auch ihr Minidisplay am Revers, auf dem Suri Temme stand.

      „Hören Sie, das ist alles ganz wunderbar, dass Sie so nett zueinander sind und meine arme, kleine Teamassistentin hier unterstützen und zurück in die Spur bringen möchten“, meinte ihr kleinwüchsiger Kollege. „Über die Sinnhaftigkeit dieses Ziels können wir uns gerne später einmal unterhalten, jetzt würde ich es begrüßen, wenn Sie mir das magere Rinderrückensteak kurz anbraten.“

      Malik hatte Hemmungen, zu Suri zu sehen, tat es dann aber doch. Ihr Mundwinkel zuckte, ansonsten blieb ihre Miene ruhig, verriet nicht viel darüber, ob sie die Bemerkung verletzt hatte. Natürlich hatte sie das. Jeder wäre verletzt.

      Wenn er jetzt ohne ein Wort dazu überging, den Typ zu bedienen, würde er sich schlecht gegenüber Suri fühlen. Er wollte aber unbedingt verhindern, auf sich aufmerksam zu machen, zumal Gerald Kronberg direkt neben ihm stand. Deshalb versuchte er einen Scherz, auch wenn er wusste, dass er nicht sonderlich gut darin war.

      „Ich sagʼs ungern, aber Frau Temme hat hier Maßstäbe gesetzt“, sagte Malik. „Sie hat mit ihrem Highcontroller gewählt. Ich würde Sie bitten, sich da ein bisschen einzureihen.“

      Suris Mundwinkel zuckte wieder, aber ihre Augen verrieten, wie gut ihr die Intervention tat. Das spornte Malik an.

      „Sie können wahlweise auch einen anderen Gegenstand nehmen. Wenn wir jetzt konsequent dranbleiben, könnten wir vielleicht eine echte Challenge draus machen“, sagte Malik.

      „Sind Sie übergeschnappt, Sie Pfeife? Kümmern Sie sich lieber darum, dass der Salat herwächst.“

      „Ich würde keinen Salat essen. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, müssten Sie sich krankmelden oder von der Homezone aus arbeiten, um sich von Ihrer Kollegin nicht anstecken zu lassen. Wäre doch eine unglaubliche Frechheit, wenn sie das täte. Ich meine, als Chef hat man ja auch Verantwortung dem Betrieb, den Mitarbeitern und der Gesellschaft gegenüber, richtig?“, sagte Malik, weil er sich einfach nicht mehr zusammenreißen konnte.

      „Sag mal, willst du dir eine einfangen?“, sagte das Gepardenfrettchen mit gepresster Stimme. Gerald Kronberg drehte sich jetzt nach ihnen um und fing an, zu lachen. „Komm, Hans, lass gut sein“, sagte er und tätschelte ihm die Schulter, wohl wissend, dass der sich fügen würde.

      Dann musterte er Malik. Genau das hatte er tunlichst vermeiden wollen. Woran lag es, dass er sich immer wieder in Schwierigkeiten brachte?

      „Ich muss zugeben, dass es nicht alle Tage vorkommt, vom Beikoch auf Personalfragen angesprochen zu werden“, sagte der Konzernchef. Geschickt ließ er offen, wie er Maliks Initiative einordnete. „Sie tragen kein Schild?“ Gerald Kronberg tippte sich an die Brust.

      „Sie auch nicht“, hörte Malik sich sagen. Wieder lachte Kronberg, jetzt noch lauter. Wenn er nicht stehen würde, hätte er sich dabei noch auf die Schenkel geklopft, dachte Malik. Dann sah Kronberg ihn auffordernd an. Malik spürte förmlich, dass jetzt ein Punkt erreicht war, an dem die Stimmung völlig umschlagen konnte. Er zwang sich zu einem Lächeln und sagte: „Mein Name ist Malik Cerny, und ich bin heute den ersten Tag da.“

      Gerald Kronberg nickte zufrieden. Jovial schob er hinterher: „Ich mag es, wenn Menschen ihre Meinung sagen, und wie in Ihrem Fall auch noch mit einem gewissen Esprit.“

      Das Entscheidende waren die Feinheiten in der Formulierung, dachte Malik. Das Adjektiv gewiss beispielsweise. Es sollte ihm signalisieren, dass er es schon über den Durchschnitt geschafft hatte, aber für die Kür noch einiges fehlte. Im nächsten Moment registrierte er Barts erschreckten Gesichtsausdruck, der ihn wieder zurück auf den Boden holte.

      „Sie glauben mir nicht, hab ich recht?“, sagte der Konzernchef jetzt und lächelte.

      Malik konnte physisch spüren, dass Kronberg hochsensible Antennen hatte. Er war wirklich gut beraten, ihn nicht zu unterschätzen. Fast hatte er das Gefühl, dass beim Konzernchef so etwas wie Kampfeslust erwacht war. Malik konnte nur noch nicht genau greifen, wie er ihn aufs Glatteis führen oder welche Art von Arena er ihm eröffnen wollte. Doch in diesem Moment war ihm klar, dass ihn nur eine Art Unterwerfungsgeste retten konnte. Um Zeit zu gewinnen, sah Malik kurz zu Suri und lächelte. Doch auch in ihrem Blick zeichnete sich Nervosität und Unsicherheit ab. Hatte sie Angst um ihn? Wohl kaum nach einem Kennenlernzeitraum von drei Minuten. Trotzdem hätte er sich gefreut. Auch er brauchte Unterstützung, gestand er sich ein.

      „Na gut, Suri, gehen Sie nach Hause, kurieren Sie sich aus“, sagte Gerald Kronberg.

      „Aber …“

      „Papperlapapp.“ Es fehlte nur noch eine Geste, mit der man lästige Fliegen verscheuchte. Suri war zum Nebenschauplatz geworden.

      „Herr Cerny, erzählen Sie ein bisschen was über sich! Das

Скачать книгу