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war es zu Gewohnheit geworden. Martin versorgte Heinrich, spielte mit ihm Brettspiele, aß mit ihm und sprach nur, wenn er musste.

      Der Januar ging zu Ende, der Februar kam. Sie feierten das Fest der Darstellung des Herrn, der Lichtweihe, wie das Volk zu sagen pflegte, oder auch Lichtmess. Traditionell gab es kleine Geldgeschenke und gutes Essen für die Dienstboten. Heinrich haderte ein wenig mit sich selbst. Sicher würde Martin sich auch über Geld und gutes Essen freuen, aber war er denn ein Dienstbote? Er war der Sohn einer adeligen, freien Frau. Niemand wusste, wer Martins Vater gewesen war. Vermutlich einer der aufständischen leibeigenen Bauern, der die Mutter vergewaltigt hatte. Heinrich wusste einfach nicht, wie die Rechtslage war. War Martin ein Leibeigener oder nicht? Und auch, wenn er es sein sollte: er war der Sohn von Heinrichs Mutter. Sein Halbbruder. Einen Halbbruder konnte man doch schlecht als Dienstboten besitzen? Heinrich kam zu keinem Ergebnis. Er würde ein Rechtsgutachten im Kloster anfordern, wenn es ihm wieder besser ging.

      Er feierte den Lichtmesstag zusammen mit Martin. Es gab gutes Essen, und er schenkte ihm einen Silberpfennig. Etwas scheu nahm Martin die Münze, er hatte noch nie Geld besessen. Die anderen Dienstboten hatten zu bestimmten Tagen wie Weihnachten, Lichtmess und Erntedank kleine Geldgeschenke bekommen, er aber noch nie. Er hatte hier nie irgendetwas geschenkt bekommen. An Lichtmess gab es traditionell neue Kleidung, aber das war eine Pflicht des Gutsherrn und kein Geschenk.

      Martin verstand nicht, warum der Herr so freundlich zu ihm war. Er hatte gedacht, dass er vielleicht mit seinem Körper für die Freundlichkeit bezahlten müsste, aber der Herr hatte ihn nicht ein einziges Mal angefasst. Martin hielt die Münze in der Hand und sah Heinrich fragend an. Heinrich wand sich. Er wollte nicht über die Dinge sprechen. Irgendwann würde er es tun müssen, aber nicht jetzt. Es war gerade gut, so wie es war. Also meinte er nur: „Nimm das Geld einfach. Vielleicht magst Du Dir was dafür kaufen, oder sparen.“

      Martin bedankte sich höflich und steckte das Geld in seine Gürteltasche. Er wurde nicht schlau aus seinem Gegenüber.

      Heinrich lag nun schon so lange im Bett, manchmal humpelte er mit seinem Stock auch zum Stuhl und setzte sich, um mit Martin Brettspiele zu spielen. Er sah, dass Martins Augen ihm immer folgten und seine Aufmerksamkeit nur auf ihn gerichtet war. Heinrich fühlte sich sicher. Bereits einige Male war er über die Felle gestolpert, die vor seinem Bett und unter dem Tisch lagen, um seine Füße zu wärmen. Jedes Mal hatte Martin ihn aufgefangen, bevor er unglücklich fiel und sich verletzte. Sein Halbbruder war sehr zuverlässig, jedoch wusste Heinrich nicht, ob er das alles tat, weil er musste, oder ob er ihn mittlerweile gerne mochte. Zu seinem Erstaunen bemerkte Heinrich, dass es ihm immer wichtiger wurde, ob Martin ihn mochte oder nicht. Er wollte mit einem Freund Schach spielen, nicht mit einem Befehlsempfänger.

      Was seine Freunde wohl taten? Eigentlich hatten sie versprochen, nach Weihnachten zurück zu kommen. Irgendwie mussten sie aufgehalten worden sein. Oder wollten sie am Ende nicht kommen? Eigentlich hatte er sie gar nicht so richtig vermisst. Gelage und Feiern konnte er gerade nicht abhalten, und wollte es auch nicht. Er konnte sich ja nicht mal richtig auf den Beinen halten, betrunken ging das sicher noch viel schlechter.

      Der Arzt, Bruder Humpert, hatte Martin Anweisungen gegeben, wie er mit Heinrich das Laufen zu üben hätte, und Martin fügte sich wie üblich wortlos. Jeden Tag stand Heinrich nun auf und versuchte, zu gehen. Es tat weh, das Bein zu belasten und so einige Male wollte Heinrich fluchend ins Bett zurücksinken, doch sein Pfleger ließ ihn nicht. Martin war sehr beharrlich. Immer wieder zog er Heinrich hoch und ging sogar soweit, zu sprechen. Immerhin hatte der Arzt das Laufen aufgetragen, also durfte er ja wohl sprechen. Martin erinnerte den Herrn an den Rat des Arztes, sprach ihm gut zu, ermutigte ihn, redete auf ihn ein wie auf ein krankes Pferd. Er ließ einfach nicht locker, und so seufzte Heinrich regelmäßig und versuchte es dann doch noch einmal.

      Anfangs schob Martin ihm den Arm unter die Schultern und trug die Hauptlast. Er war immer noch sehr dünn, und Heinrich wunderte sich regelmäßig, wo er die Kraft hernahm. Erst gingen sie in der Kammer herum, später dann hinaus in den Gang. Martin war immer an seiner Seite und stütze ihn. Heinrich war froh. Früher war nur ab und zu die Magd gekommen, und jetzt hatte er einen Pfleger, der ihm rund um die Uhr zur Verfügung stand. Dass er da nicht früher draufgekommen war!

      Nach ein paar Tagen wollte Heinrich die Treppe runter, zur Tür hinaus. Er brauchte einfach frische Luft. Zum ersten Mal seit langem hatte er Schuhe an, und auch einen Mantel. Immerhin war immer noch Winter, immer noch lag Schnee. Sie gingen die Treppe hinunter, Heinrich auf seinen Pfleger gestützt. Es war anstrengend, und zitternd stand Heinrich dann vor der Tür und sog gierig die frische Luft auf. Es war kalt, aber das störte ihn nicht. Seine ewig vom Feuer rauchige Kammer ging ihm schon lange auf die Nerven. Er musste raus, er musste wieder laufen können, und zwar schnell. Das Herumliegen war nichts für ihn. Sein Traum hatte ihn nicht verlassen, er schien immer stärker zu werden, er beschäftige ihn des Nachts und während der Brettspiele, wenn Martin nicht sprach. Heinrich hatte einen Traum, wusste aber nicht, ob er ihn wirklich umsetzen konnte. Tief in sich wusste Heinrich, dass er nicht der Fleißigste war, und vermutlich beim ersten Rückschlag aufgeben würde. Aber träumen konnte er doch, sein Traum würde nicht kaputt gehen.

      Martin hatte auch einen Traum: Leben in Frieden und ohne Hunger. Er verstand zwar nicht, warum, aber seine Hölle hier hatte vorerst aufgehört. Der Herr Heinrich, der ihn immer gequält und geschlagen hatte, der ihn langsam verhungern lassen wollte, dieser Herr Heinrich war plötzlich freundlich zu ihm. Sie aßen zusammen, spielten Brettspiele zusammen, er ließ sich sogar von Martin bei den Laufübungen herumkommandieren. War das wirklich die Dankbarkeit für die Rettung aus dem eisigen Bach? Konnte jemand wie Heinrich überhaupt dankbar sein?

      Martin war extrem wachsam. Nur ja nichts Falsches sagen, nichts Falsches tun, kein falscher Gesichtsausdruck oder gar eine Nachlässigkeit bei der Pflege. Die ersten Wochen war er immer auf Heinrichs Jähzorn gefasst gewesen, oder auf seine Gedankenlosigkeit. Aber nichts war passiert, und langsam, ganz langsam, ließen die Panik und die Anspannung in Martin etwas nach. Er wurde ruhiger, trotzdem war er immer mit allen Sinnen bei Heinrich, um ja jede seiner Stimmungsschwankungen zu bemerken, und um ihm wenn möglich jeden Wunsch bereits an den Augen abzulesen. Er konnte an Heinrichs Mimik, an seiner Stimme, an seiner Körperhaltung erkennen, wie es dem Herrn ging und was er wollte. Er war der perfekte Krankenpfleger, Gesellschafter, Lauflehrer. Er war das, was Heinrich gerade wollte und brauchte, und Martin war froh, dass er das alles sein konnte.

      Immer noch war er schreckhaft, und immer noch ständig auf das Schlimmste gefasst. Seine Aufmerksamkeit war bei Heinrich, und bei nichts anderem. Er wollte nichts übersehen, nichts falsch machen. Ständig war sein Kopf am Denken, er überlegte, was Heinrich wohl brauchen könnte, was er wollen würde, was beim Laufen, beim Essen, beim Spielen passieren konnte. Alle Eventualitäten waren von Martin schon durchdacht und gelöst worden, bevor sie überhaupt auftraten. Sein Kopf war ständig am Arbeiten, und das war gut so. Heinrichs Kammer, überhaupt das ganze Gut, bargen viele schlimme Erinnerungen, und wenn Martin ständig seinen Kopf auf Trab hielt, konnten die Erinnerungen ihm nichts anhaben.

      Heinrich stand immer noch vor der Tür und genoss die frische Luft. Langsam wurde es kalt, und er beschloss, umzukehren. Martin schien das zu spüren, so wie immer, und schob ihm den Arm unter die Schulter. Die Treppe hinaufzukommen war anstrengend, und Heinrich kämpfte bei jedem Schritt. Immer mehr stützte er sich auf Martin. Sie kamen oben an, Heinrich konnte nicht mehr, und Martin schleifte ihn regelrecht in die Kammer. Drinnen lud er seine Last auf dem Bett an und sank ohne Aufforderung oder Erlaubnis in den nächsten Lehnstuhl. Heinrich sah ihn erstaunt an. Martin tat nie irgendetwas ohne Aufforderung oder Erlaubnis.

      Martin war blass und keuchte. Die Anstrengung hatte ihn körperlich überfordert, und zum allerersten Mal wurde Heinrich bewusst, was Martin alles für ihn leistete. Martin tat ständig irgendetwas für ihn und beklagte sich nie. Heinrich sah, wie er nach Luft rang und wie seine Muskeln zitterten. Es war zu anstrengend gewesen.

      Er hievte sich wieder hoch und ging zum Wasserkrug. Martin wollte sofort aufspringen, um ihn zu bedienen, aber Heinrich stoppte ihn mit einer einzigen beschwichtigenden Handbewegung. Zum ersten Mal hatte er begriffen, wie sehr Martin seine Kräfte überstrapazierte, um ihn zu umsorgen. Heinrich nahm den Krug, goss Wasser in einen Becher und humpelte zu

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