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bleibt.

      Man mag diesen schwerwiegenden erkenntnistheoretischen Einwand einmal hintanstellen. Dann stellt man umso deutlicher fest‚ dass Descartes selbst bei der Gleichsetzung von Gewissheit und Wahrheit von Zweifeln geplagt ist. Er ist zwar überzeugt‚ am Ende eine solche Gewissheit gewinnen zu können‚ dass sie mit der Wahrheit identisch ist‚ doch den Übergang vom einen zum anderen beschreibt er durchaus als fließend und unsicher. Das kann man selbst einer Formulierung wie „völlig klar und deutlich“ noch ablesen. Gerade die für notwendig erachtete Bestärkung durch „völlig“ erweist sich indirekt als ein Einfallstor für den Zweifel: Wann genau wird etwas völlig klar‚ was bis dahin gerade noch nicht völlig klar war? Schließlich kann die Wahrheit manchmal nur in einem mühsamen Arbeitsprozess gewonnen werden‚ der seinerseits auch zu keinem sicheren Abschluss kommt: „Je länger und aufmerksamer ich dies versuche‚ desto deutlicher und bestimmter erkenne ich es als wahr; ….“ (S. 56.) Relativierende Begriffe wie „deutlicher“ und „bestimmter“ bieten sich nicht als zweifelsfreie Wahrheitskriterien an.

      Da hilft auch nicht‚ den Willen ins Spiel zu bringen und so lange darauf zu verzichten‚ etwas für klar und deutlich zu halten‚ wie es tatsächlich noch nicht als klar und deutlich angesehen werden dürfte. Man mag sich willentlich noch so sehr dazu zwingen‚ seine Wahrnehmungen‚ Ergebnisse von Experimenten und die daraus zu ziehenden Schlüsse so gründlich und selbstkritisch wie möglich zu bewerten: Woher nimmt man den Maßstab und die Sicherheit‚ dass man alle denkbaren Fehler vermieden hat? Es liegt in der Natur von Fehlern‚ dass man sich ihrer oft auch bei vermeintlich ausgesprochen vorsichtigem und reflektiertem Verhalten nicht bewusst ist. Es gibt keinen unfehlbaren festen Willen.

      So bleibt ein entscheidender Mangel der Erkenntnistheorie Descartes‘ an dem Prinzip der Gewissheit selbst hängen; denn auch ein unüberbietbar zuverlässiger Wille könnte nicht zu mehr führen als zu der felsenfesten Gewissheit‚ die Wahrheit gefunden zu haben. Wahrheitsfindung ist und bleibt für Descartes ein subjektives Unterfangen. Auch seine Ausführungen über seine Prinzipien der praktischen Forschung beinhalten zwar einerseits verallgemeinerungsfähige methodologische Ansätze; aber um daraus den Anspruch auf objektiv gültige Wahrheitserkenntnis ableiten zu können‚ hätte er ihre Beweiskraft auf mehr gründen müssen als immer wieder nur die subjektive Überzeugung‚ die für ihn aus dem klar und deutlich sehen erwuchs. Dieses Mehr an Beweiskraft‚ dass man für Allgemeingültigkeit von Erkenntnissen voraussetzen müsste‚ wurde erst später bei David Hume zum Kernproblem und im 20. Jahrhundert von Karl Popper in seinem Kritischen Rationalismus wieder aufgegriffen und kritisch reflektiert.

       (2) Die besondere Beweisnot in Bezug auf die Existenz Gottes

      Auch in den Meditationen hat Descartes keinen Weg gefunden‚ die Beweislücke zwischen Gewissheit und Wahrheit zu schließen. Doch seine Beweisnot kommt nirgends so klar zum Ausdruck wie bei den Versuchen‚ die reale Existenz Gottes‚ seines letzten und notwendigen Wahrheitsgaranten‚ zu beweisen. Diese Versuche werden hier nicht im Einzelnen dargestellt;44 denn es wird schon an Descartes‘ eigenen resümierenden Bemerkungen hinreichend deutlich‚ dass er der Beweisnot nicht wirklich abhelfen kann. So schreibt er z. B. am Ende der dritten Meditation: „Die ganze Kraft des Beweises liegt darin‚ daß ich erkenne‚ es sei unmöglich‚ daß ich mit dieser Natur‚ wie ich sie habe‚ nämlich mit der Vorstellung Gottes in mir‚ sein könnte‚ wenn in Wahrheit nicht auch Gott wäre;….“ (Med.‚ S. 64.) Unmöglichkeit auszuschließen‚ mag auf dem Felde der Logik angehen‚ und zwar durch entsprechende logische Schlussfolgerungen. Doch es handelt sich bei Descartes um Gott als ein real existierendes Wesen. Dann müsste aber die Unmöglichkeit der Nichtexistenz und damit als Spiegelbild die sichere Existenz durch beweiskräftige Wirklichkeitserfahrungen nachgewiesen werden. Davon kann auch bei Descartes natürlich keine Rede sein. Er sagt von der Vorstellung Gottes‚ sie sei „im höchsten Grade klar und deutlich‚ enthält mehr gegenständliche Realität als irgend eine andere‚ und ist daher mehr wahr als alle anderen und bei ihr am wenigsten ein Verdacht vorhanden‚ daß sie falsch sei“. Und kurz danach schreibt er noch einmal: „Sie ist auch im höchsten Maße klar und deutlich‚ und was ich klar und deutlich erfasse‚ ist wirklich wahr.“ (Med.‚ S. 59) Auch diese nicht mehr zu übertreffenden Bestärkungen seiner Wahrheitsüberzeugung legen indirekt das Dilemma offen: Es fehlt ein objektiv gültiges Wahrheitskriterium. Was für „mehr wahr“ erklärt wird und wovon gesagt wird‚ bei ihm sei „am wenigsten ein Verdacht vorhanden“‚ dem fehlt gerade deswegen erkennbar der letzte absolut sichere Wahrheitsbeweis.

      Grundzüge des Gottesbeweises in der rationalistischen Philosophie laufen immer darauf hinaus‚ von einem Begriff Gottes‚ der dessen reale Existenz einschließt‚ auf die Existenz Gottes in der Wirklichkeit zu schließen‚ also aus einem gedanklich konstruierten Begriffsinhalt einen real existierenden Begriffsumfang abzuleiten. Kant hat später eine solche Möglichkeit in einer fundamentalen Kritik der Gottesbeweise mit überzeugenden Argumenten kategorisch abgelehnt.45

       (3) Die Sonderstellung des cogito‚ ergo sum

      Vor ihrer Veröffentlichung hatte Descartes seine Meditationen Zeitgenossen zur Lektüre gegeben. Ihre Kritik ist bekannt‚ weil Descartes sie mit seinen eigenen Antworten dazu seinen Meditationen zur Veröffentlichung anhängte. Gewicht hat insbesondere die Kritik von Gassendi an der erkenntnistheoretischen Rolle des Satzes ich denke‚ also bin ich. Seine Kritik bestand in dem Vorwurf einer nicht begründeten Deduktion: Ihm fehlte etwas‚ woraus sich die Wahrheit des Satzes außerhalb seiner selbst ableiten ließe. Erhellend ist die Antwort von Descartes: „Ich begehe damit keine petitio principii; denn ich setze keinen Obersatz voraus‚ vielmehr behaupte ich‚ daß der Satz: Ich denke‚ also bin ich‚ eine eigentümliche Wahrheit ist‚ die sich der Seele ohne Hilfe eines allgemeinen Satzes und ohne alle logische Ableitung aufdrängt. Er ist kein Vorurteil‚ sondern eine natürliche Wahrheit‚ die sofort und unwiderstehlich den Verstand für sich einnimmt.“ (Med.‚ S. 112.) In der Verteidigung seiner Wahrheitsüberzeugung muss Descartes sich auf so wenig greifbare und so subjektive Dinge wie die Behauptung einer „natürlichen Wahrheit“ stützen‚ die „unwiderstehlich den Verstand für sich einnimmt“.

      Es sei daran erinnert‚ dass Descartes das‚ was ihn bestimmte Dinge so „völlig klar und deutlich“ wissen lässt‚ auch das „natürliche Licht“ nennt: „… [A]lles‚ was durch das natürliche Licht mir gezeigt wird‚ wie daß aus meinen Zweifeln mein Dasein folgt und ähnliches‚ kann in keiner Weise zweifelhaft sein‚ weil es kein anderes Vermögen gibt‚ welchem ich so vertraue wie diesem Licht‚ ….“ (Med.‚ S. 53.) Mit all diesen Phänomenen - „natürliche Wahrheit“‚ „natürliches Licht“‚ „Vermögen“‚ dem ich „vertraue“‚ „klar und deutlich wissen“ - legt Descartes kein externes Wahrheitskriterium vor. Die Wahrheit seiner Überzeugung ergibt sich schließlich aus sich selbst heraus - anders gesagt: sie ist für ihn evident‚ in wörtlicher Übersetzung des lateinischen „evidens“ herausscheinend‚ im übertragenen Sinne offenbar. Evidenz ist jedoch kein Wahrheitskriterium; sie zu behaupten hat nur einen besonders starken Aufforderungscharakter zu glauben. Bei allem Evidenten ist und bleibt die Sache selbst ihr eigener scheinbarer Wahrheitsgarant. Eine Widerlegung ist nicht möglich‚ weil es keine externe Prüfinstanz gibt. Es müsste aber eine Widerlegungsmöglichkeit geben‚ wenn denn überhaupt ein Wahrheitsanspruch überzeugend sollte erhoben werden können.

      In diesem Sinne kritisiert auch Kant das cogito‚ ergo sum. Kurz zusammengefasst besteht er darauf‚ dass in diesem Satz nicht ein Bewusstsein davon ausgedrückt würde‚ wie ich mir erschiene‚ noch wie ich an mir selbst sei‚ sondern nur „dass ich bin“; und „[d]iese Vorstellung ist ein Denken‚ nicht ein Anschauen…“‚ wobei doch „zum Erkenntnis unserer selbst außer der Handlung des Denkens … noch eine bestimmte Art des Anschauens … erforderlich ist…“.46 Dieser zentrale Aspekt einer realistischen Erkenntnistheorie mag an dieser Stelle noch nicht ausreichend begründet erscheinen; er wird in den beiden folgenden Kapiteln über Hume und Kant der Hauptgegenstand der Erörterung sein. In irgendeinem

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