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an, als Jessica James probeweise ein paar Gitarrenakkorde anschlug. Belle Fortune, die dunkelhäutige Kreolin mit der aufregenden Figur, steuerte schmachtende Geigentöne bei. Die übrigen Mitglieder der „Yellow Rose Ramblers“ hatten ihre Instrumente bereits gestimmt: Barney Wellman am Piano, Geo Delbert an der Rhythmusgitarre, Dennis Huffman am Bass und Calvin Kyles am Schlagzeug.

      Jessica James trat an den vorderen Rand der Bühne, hielt die Gitarre am Hals und hob beide Arme zur Begrüßung. Das Johlen des Publikums verdoppelte seine Lautstärke. Zu ihrem seidenweichen blonden Haar trug Jessica einen weißen Hosenanzug; die bestickte und fransenbesetzte Jacke und die hochhackigen Boots vermittelten gerade so viel Western-Stil, wie nötig war. Jessicas richtiger Name war Brenda Johnson, aber die wenigsten ihrer nach Millionen zählenden Fans wussten das. Die Zeitschriften nährten immer wieder das Gerücht, Jessica sei entfernt mit dem legendären Western-Helden Jesse James verwandt. Ihr Promotion-Büro in Dallas hatte wesentlichen Anteil daran, dass dieses Gerücht überhaupt entstanden war.

      „Hi, Freunde des Country-Swing!“, rief Jessica mit ihrer rauchigen Stimme und winkte ins Publikum.

      Zehntausend Stimmen formierten sich zu einem donnernden: „Hi, Jessica!“

      Jessica James schwenkte das Mikrofon mit der freien Hand und hob es wieder vor den Mund. „Sieht so aus, Freunde, als ob ihr hier in Tyler große Stücke auf texanische Rosen haltet!“

      „Yeah, Jessica!“, dröhnte der Zehntausender-Chor“

      Hilaire Pavageau bekam vor Stolz rote Ohren.

      ,Texas Rose Festival“ hieß das berühmte Open-Air-Ereignis in Tyler, Ost Texas. Und jede Band, die vor den Publikumsmassen auftrat, steuerte traditionsgemäß ihre Version des alten Soldatenlieds bei.

      „The Yellow Rose of Texas!“, rief Jessica James. „Was haltet ihr davon, wenn wir euch diesen Song zuerst liefern?“

      Das zustimmende Gebrüll steigerte sich noch einmal.

      Jessica lächelte, winkte noch einmal und schob das Mikro in die Stativhalterung. Sie hängte die Gitarre um und gab der Band das Zeichen. Die Rhythmusgruppe setzte sanft swingend ein, und Barney Wellman leitete mit einem lässig synkopierten Vorspiel zum Gesang über. Jessica und Belle sangen das Lied im Duett. Ihre Stimmen ergänzten sich in jenem etwas heiser wirkenden Alt, der das Publikum schon nach den ersten Takten zur Begeisterung hinriss. Der Rhythmus, den die Band lieferte, ging den Zuhörern in die Beine. Hilaire Pavageau war versucht, aufzuspringen und einen neuen Tanz zu starten. Aber er ließ es, nachdem er seinem Bruder einen Seitenblick zugeworfen und dessen drohende Miene gesehen hatte.

      Nach der Referenz an die texanischen Folklore-Traditionen ging die Band zu jenen Eigenkompositionen von Jessica James und Barney Wellman über, durch die sie berühmt geworden war.

      2

      Das Motorenbrummen von Tausenden von Pkws ließ die Luft vibrieren.

      „Kleinvieh macht auch Mist“, sagte Bob Washburn, nachdem er eine Weile den Kopf schräg gelegt und gehorcht hatte.

      „Kein Widerspruch“, entgegnete Jim Sherman, ohne seine Position im Liegestuhl zu verändern. „Und viel Kleinvieh macht viel Mist. Und so weiter. – Hast du noch andere interessantere Erkenntnisse beizusteuern?“

      „Zehntausend Zuhörer“, murmelte der schwarze Riese versonnen und faltete die Hände hinter dem Kopf. Er schien Jims Bemerkung nicht gehört zu haben. „Das macht fünftausend Four-Wheeler, wenn man mal zwei Leute pro Wagen rechnet. Und die sind jetzt alle im Aufbruch.“ Mit einer knappen Kopfbewegung deutete er in die Richtung, in der sich die Parkplätze auf freiem Weideland befanden. „Ich frage mich, wie viel Trucks man brauchen würde, um den gleichen Krach zu machen.“

      „Tausend.“

      „Tausend?“ Bob richtete sich im Campingstuhl auf und sah seinen Partner verblüfft an.

      „Fünf Benzinkutschen auf einen Truck“, antwortete Jim todernst.

      „Du meinst, von der Lautstärke her?“

      „Genau. Und von der PS-Zahl her.“

      „Sag mal, hast du das irgendwie … berechnet?“

      „Nicht nötig. So was hat man im Gehör. Berufserfahrung.“

      Bob stieß die Atemluft durch die Nase aus. „Die mir natürlich fehlt, willst du damit wohl sagen?“

      „Du hast es erfasst, Bob“, erwiderte Jim grinsend. „Du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst, Partner.“ Der breitschultrige Trucker reckte sich, schob seinen Stetson aus der Stirn und erhob sich zu seiner vollen Größe von sechs Fuß.

      „Du riskierst ’ne dicke Lippe, Massa Sherman!“, griente Bob.

      „Wie meistens“, sagte Jim grinsend, drehte sich eine Zigarette und setzte sie mit dem zerbeulten Army-Feuerzeug in Brand. Er ging zum Fahrerhaus des „Thunder“ und holte zwei gut gekühlte Coke Dosen aus der Coolbox. Der rote Kenworth W 900 Conventional stand unmittelbar neben den Mobile Homes, in denen die Künstlergarderoben und die Büros der Konzertveranstalter untergebracht waren.

      Jim begab sich wieder vor die mächtige Kühlerhaube mit dem chromfunkelnden Rammschutz, wo Bob und er ihre Klappmöbel aufgebaut hatten. Seit sie mit den „Yellow Rose Ramblers“ unterwegs waren, hatten sie die Campingstühle und den Tisch fast jeden Tag gebraucht, denn das Wetter hatte sich bei den Freiluftkonzerten immer von der besten Seite gezeigt. Jim warf dem hünenhaften Schwarzen, der einmal Schwergewichtsprofiboxer gewesen war, eine der Coke-Dosen zu.

      „Der Dank deines wütenden Shotgun ist dir sicher“, feixte Bob.

      Jim schmunzelte. „Ich wusste, du lässt es nicht auf eine Schlägerei mit mir ankommen, Bob.“

      „Klar, Mann! Ich schlottere vor Angst!“ Bob schlug die langen Beine übereinander. Er riss die Dose auf, trank einen Schluck und zündete sich eine Zigarette an. „Wie auch immer – störend wirkt eigentlich nur dieser elende Benzingestank.“ Er hob die Nase schnuppernd in die Luft und verzog das Gesicht. „Was ist Diesel dagegen!“

      „Wahrer Balsam“, sagte Jim und nickte zustimmend.

      Das vieltausendstimmige Brummen der Benzinschlucker verlor nur langsam an Lautstärke.

      Wes Morton und Luther Guild polterten mit ihren hochhackigen Cowboy-Boots die Bühnentreppe herunter. Morton war groß und schlaksig, hatte aschgraues Haar und einen ebensolchen Schnauzbart. Zusätzlich pflegte er seinen Dreitagebart. Luther Guild, ein athletisch gebauter Schwarzer, trug das Kraushaar kurzgeschoren wie früher, als er noch Sergeant bei der US-Army gewesen war.

      Beide standen als Roadies in den Diensten von Jessica James und den „Yellow Rose Ramblers“. Roadies werden jene unersetzlichen Helfer von Musikern genannt, die Verstärkeranlagen und Instrumente aufbauen und das Dickicht von Kabeln verlegen.

      „Wir sind soweit“, sagte Morton zu den beiden Truckern und hakte die Daumen hinter den Gürtel seiner Jeans. „Kommt ihr mit und beaufsichtigt das Laden, Jungs?“

      Hinter der Bühne tauchten die ersten Lastenträger auf, bepackt mit den zentnerschweren Lautsprecherboxen. Morton und Guild heuerten die Burschen für die knochenschindende Schlepperei stets an Ort und Stelle an. Bezahlt wurden sie nach pauschalen Tagessätzen. Arbeitsbeginn bei Eintreffen der Ramblers am Veranstaltungsort, Arbeitsende nach Konzertschluss. Das konnte unterschiedlich lange dauern, weil die Anzahl der Zugaben entscheidend für die Dauer des Auftritts war.

      Jim und Bob begleiteten die Roadies zum Heck des Sattelaufliegers. Die beiden Heckklappen standen noch vom Entladen weit offen. Eine breite Rampe war eingehängt. Das Piano und die größten und schwersten Lautsprecherboxen wurden auf Rollen bewegt.

      Gemeinsam mit den beiden Roadies überwachten Jim und Bob das Verteilen der Lasten im Container. Da es unter den einzelnen Stücken enorme Gewichtsunterschiede gab, hing es von der Platzierung der schweren Geräte im Laderaum entscheidend ab, dass der Thunder anschließend verkehrssicher war

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