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Der rosa Wolkenbruch. Dorothea Böhmer
Читать онлайн.Название Der rosa Wolkenbruch
Год выпуска 0
isbn 9783749732678
Автор произведения Dorothea Böhmer
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
„Ich habe ihn in der Schwulenkneipe kennen gelernt, in die ich gestern Abend gegangen bin. Er spielt Violine in einem Orchester, das auf Tournee ist. Wir konnten uns nur auf Englisch unterhalten, er ist Franzose. Aus Paris.“ Christian sprach abgehackt.
Julie hob den Kopf. „Hattest du den Ring noch am Finger?“
Christian wich ihrem Blick aus. „Nein.“
***
Wann war es gewesen, vor drei Monaten? Vor vier Monaten? Julie war beruflich stark eingespannt, oft gereizt und hatte wenig Zeit für Christian und gemeinsame Unternehmungen. Wenn sie es sich recht überlegte, fing er schon damals an, sich zurückzuziehen. Als er eines Abends von einem Besuch bei Adrian, einem seiner ehemaligen Kommilitonen, heimkam, hatte er seinen Ehering verloren. Julie hatte das Gefühl, es machte Christian gar nicht so viel aus. Sie saß am Leuchttisch Dias sortieren und war außer sich. Er hätte keinen Sinn für Symbolik, warf sie ihm vor, gerade so als hätte er den Ring absichtlich weggeworfen. Um sie zu beruhigen, rief Christian bei Adrian an, und der fand den Ring im Schein der Taschenlampe neben der Haustür.
***
Julie hatte damals gespürt, dass etwas nicht stimmte. Aber sie hatte es nicht angesprochen. Je mehr er sich ihr entzog, desto mehr versuchte sie unbewusst für andere und sich selbst das Bild des glücklichen Ehepaares aufrechtzuerhalten. Erstaunt merkte sie nun, wie sehr sie in diesem Verhalten ihrer Mutter glich. Gleichzeitig war sie Christian gegenüber aggressiver geworden, weil er sich ihr mehr und mehr verschloss. Er orientierte sich zunehmend nach außen, was sie sich all die Jahre vorher immer gewünscht hatte, weil sie dachte, es wäre nicht gut, sich zu zweit einzukapseln. Sie blickte auf.
„Christian, wenn du reden möchtest, sage ich den Abend bei Sophie ab.“ Sie riss sich zusammen, um nicht seine Hand zu streicheln.
„Nein.“ Er senkte den Kopf. Seine Stimme war leise. „Ich treffe mich heute noch einmal mit ihm.“
Julies Schläfen hämmerten. Benommen stand sie auf. Als sie wenige Minuten später die Haustür hinter sich schloss, legte Christian den Kopf auf seine Arme und schluchzte.
11
Sophie erschrak. „Wie siehst du denn aus!“ Julies Gesicht war aufgedunsen, ihre Augen stumpf und erloschen, die Haare strähnig. Sie nahm ihre Freundin in den Arm. Julie hing schlaff wie eine Puppe an ihr.
„Sind Markus und die Kinder da?“ fragte Julie, während Sophie sie streichelte.
„Nein, ich habe ihm gesagt, wir wollen unter uns sein und ihn zum Billard spielen geschickt. Timmy und Viola sind im Bett.“
Sophie nahm Julie die dunkle Jacke ab. Julie trug eine schwarze Hose und einen schwarzen Pulli. Gewöhnlich steht ihr Schwarz gut, dachte Sophie, heute erdrückt sie das düstere Zeug.
Das Wohnzimmer war mit teuren Möbeln bestückt und mit schweren Teppichen ausgelegt. Sophie und ihr Mann legten Wert auf ein luxuriöses Ambiente, was nicht zu übersehen war.
„Was willst du trinken?“
„Egal, such du aus.“
„Ich nehme Rotwein, du kannst auch Weißwein oder Bier haben.“
„Nein, Rotwein.“
Sophie stellte Kristallgläser auf den Tisch und holte eine Flasche schweren Bordeaux aus der Küche. „Ich habe ihn vor zwei Stunden entkorkt.“ Vorsichtig goss sie ein.
„Auf dich und Christian!“ Sie versuchte Julie, die nur ein gequältes Lächeln zustande brachte, aufzumuntern. „Jetzt erzähle. Was ist passiert?“
„Kannst du dich daran erinnern, wie ich dir vor ein paar Jahren einmal angedeutet habe, dass Christian homosexuelle Neigungen hat?“
„Ja. Ich habe es damals nicht ernstgenommen und tue es auch heute nicht.“
Unbeirrt sprach Julie weiter. „Als wir ungefähr zwei Jahre verheiratet waren, hat Christian angefangen, Biografien schwuler Männer zu lesen und Bücher über Coming Out. Abends im Bett hat er mir manchmal Stellen vorgelesen.“
„Wieso hat er dir das vorgelesen?“ Sophie sah sie ungläubig an.
„Wir lesen immer vor dem Einschlafen. Passagen, die uns beschäftigen, beunruhigen oder gefallen, lesen wir uns vor; besser gesagt, haben wir uns vorgelesen. Manchmal sogar ganze Bücher.“
Julie nahm einen großen Schluck und schenkte sich nach, obwohl ihr Glas nicht leer war.
„Die meisten der Bücher, die er gekauft hat, haben mich ebenfalls interessiert. Spätestens nach der Lektüre eines Sammelbandes über das Coming Out schwuler Männer war mir klar, dass Christian irgendwann zu seiner Homosexualität stehen muss. Das Ende unserer Ehe war für mich nur eine Frage der Zeit. Irgendwann würde der Durchbruch kommen, der Zeitpunkt, zu dem er mutig genug oder das Verlangen so groß sein würde, homosexuell zu leben. In den Büchern hat sich ein klares Muster abgezeichnet. Viele Männer sind beim Coming Out um die 40, verheiratet und haben zwei Kinder.
„Aber Christian ist erst 30 und ihr habt keine Kinder.“
Julie ignorierte Sophies Einwurf. „Ich habe ihn damals darauf angesprochen. Für mich war der Gedanke unerträglich, dass er mit mir ins Bett geht, dabei aber vielleicht an einen Mann denkt. Ich habe ihm meine Befürchtung gesagt, dass irgendwann die Trennung auf uns zukommen wird. Er wollte es nicht wahrhaben. Zuerst hat er sich geweigert, darüber zu sprechen. Er hat gemeint, wir seien glücklich und er hätte keine Sehnsucht nach Männern.“
Sophie saß weit nach vorne gebeugt. Jetzt richtete sie sich auf.
„Na also, du siehst Gespenster.“ Erleichtert nahm sie sich Wein.
„Christian musste mir etwas versprechen. Ich habe ihn gebeten … was heißt gebeten, ich habe ihn gedrängt, mir sein Wort zu geben, dass er es mir sagt, wenn es soweit ist. Erst hat er mich nicht verstanden und gefragt, was ich damit meine. Ich habe gesagt, dass ich es wissen will, bevor es soweit ist, bevor er sich auf einen Mann einlässt.“
Sie nahm wieder einen kräftigen Schluck. „Gestern war der Moment da. Christian hat gemeint, er hält es nicht mehr aus und will Erfahrungen mit Männern machen. Heute habe ich die Zimmer getrennt.“
Sophie schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, mir geht das zu schnell. Christian kann doch nicht von heute auf morgen beschließen, dass er schwul ist.“
„Das habe ich gerade versucht, dir begreiflich zu machen. Es war nicht von heute auf morgen, sondern zieht sich seit Jahren hin! Er hat immer gesagt, dass ich die einzige Frau bin, die ihm gefällt.“
„Ist doch super.“ Sophie klatschte in die Hände.
Julie merkte, dass ihre Freundin überhaupt nichts verstand.
„Natürlich fühlte ich mich im ersten Moment geschmeichelt. Aber überleg doch, schaust du dir nicht Männer an?“
Sophie zog die Stirn in Falten: „Ja, ständig. Weil ich mit Markus in einer Krise stecke. Seit er seine Firma gegründet hat, kümmert er sich um überhaupt keine Frau mehr, und schon gar nicht um seine eigene. Es geht ihm nur darum, jährlich mehr Umsatz zu machen, um seinem Vater zu beweisen, wie gut er ist.“
„Also ich sehe mir gerne Männer mit sympathischer Ausstrahlung an. Frauen auch. Deshalb habe ich Christian manchmal gefragt, welche Männer er attraktiv findet. Es waren dieselben Männer, die mir gefallen und irgendwie auch Christian ähneln: längere Haare, gutaussehend, gepflegt, sensibel und verträumt.“ Julie lehnte sich zurück. „Also unser Männergeschmack deckt sich. Ich habe ihn gefragt, ob er es sich, seit wir zusammen sind, schon einmal vorgestellt hat, mit einem Mann zusammen zu sein. Zuerst hat er gesagt, nein, dann hat er aber zugegeben einmal. Ich habe ihn an sein Versprechen erinnert, es mir zu sagen, wenn er lieber mit einem Mann als mit mir ins Bett gehen möchte.“
Julie nippte gedankenverloren an ihrem Wein.
„Er