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Der rosa Wolkenbruch. Dorothea Böhmer
Читать онлайн.Название Der rosa Wolkenbruch
Год выпуска 0
isbn 9783749732678
Автор произведения Dorothea Böhmer
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
6
Christians Augen leuchteten, als er Julie sah. „Danke für die Einladung!“
„Gerne.“ Julie wurde rot bis unter die Haarwurzeln und drückte Christian eine Tüte mit Baguette-Stangen in die Arme, verbunden mit der Bitte sie ins Auto von Markus zu legen. Sie würde sich Sophie später vorknöpfen.
Als die Körbe mit Geschirr, Essen und Getränken in die Autos verladen waren, fuhren sie los. Julie und Christian im Auto mit Sophie und Markus; Harry mit seiner Freundin im grünen Fiat, die anderen strampelten auf Fahrrädern hinterher.
Später saßen Christian und Julie gemeinsam auf einer Decke am See, und noch später lagen sie am Lagerfeuer in Schlafsäcken nebeneinander. Wie selbstverständlich kuschelte sich Christian an Julie und küsste sie. Als sie gegen 3.00 Uhr in der Frühe in das Studentenwohnheim zurückkehrten, war es für beide die natürlichste Sache der Welt, dass Christian nicht in Harrys Zimmer, sondern bei Julie übernachtete.
In der blauen Bettwäsche sieht er mit seinen halblangen Haaren aus wie ein Märchenprinz, dachte Julie, als sie Christian am Morgen ansah. Hatte er ihren Blick gespürt? Christian schlug die Augen auf und zog Julie an sich.
Sie streichelte ihn.
Eine Zeit lang lagen sie sich still in den Armen. Dann gab Christian sich einen Ruck: „Julie, ich muss dir etwas sagen.“
Seine Stimme klang brüchig.
„Ich habe einmal eine Nacht mit einem Mann verbracht.“
Julie sah ihm irritiert in die Augen. „Wie meinst du das, mit einem Mann verbracht?“
„Ich bin in eine Schwulenkneipe gegangen, habe mich an die Bar gesetzt und ein Glas Wein getrunken.“
Christian dachte an die Situation zurück. Wie viel Mut es ihn gekostet hatte, in die Kneipe zu gehen. Alle Männer hatten ihn, den Neuen, wie Frischfleisch beäugt.
„Nach einer Weile hat mich der Barkeeper angesprochen und gefragt, ob ich mit ihm komme, wenn er schließt.“
Christian stockte und starrte an die Decke.
„Ich bin mit ihm gegangen. Für ihn war ich einer von Vielen. Das war für mich nicht schlimm, ich war nicht in ihn verliebt, sondern wollte einfach mit einem Mann zusammen sein. Am nächsten Tag war ich unbeschreiblich glücklich. An diesem Tag habe ich mich mit meinem Vater getroffen, er hatte zufällig in der Stadt zu tun. Am liebsten hätte ich ihm alles erzählt. Aber er wäre ausgerastet. Ich weiß, wie mein Vater über Homosexualität denkt. Er hätte mich verstoßen.“
Julie war von Christian abgerückt und versuchte, seine Worte einzuschätzen. „Warst du vorher schon an Männern interessiert?“
Christian überlegte. „Als ich zwölf Jahre alt war, hatten wir einen gleichaltrigen Austauschschüler aus England in unserer Familie. Ich habe immer seine Nähe gesucht, wollte immer bei ihm sein. Wenn ich zurückdenke, glaube ich, ich war in ihn verliebt. Damals habe ich das nicht begriffen.“
Julie war still. Christian sah sie an.
„Warst du nie in eine Frau verliebt?“ wollte Julie wissen.
„Ich hatte ein Jahr lang eine Beziehung. Ihre Mutter wollte nicht, dass sie mit einem Studenten befreundet ist und hat Druck auf sie ausgeübt, bis sie sich von mir getrennt hat.“
„Sonst keine?“
„Es gab ein rothaariges Mädchen an der Uni, das mir sehr gefallen hat. Ich habe mich nie getraut, sie anzusprechen. Julie, wegen der Sache mit dem Mann, … bist du jetzt geschockt?“
„Nein, ich denke, die meisten Leute sind bisexuell veranlagt und jeder Mensch trägt weibliche und männliche Züge in sich. Oder besser gesagt Züge, die von unserer Gesellschaft als männlich und weiblich definiert werden, was immer das auch sein soll. Wie oft sehe ich männlich wirkende Frauen und weiblich wirkende Männer. Wahrscheinlich gibt es so viele sexuelle Identitäten wie es Menschen gibt.“ Sie hob den Kopf: „Wie ist es jetzt? Hast du Verlangen nach Männern?“
Er rutschte zu ihr. „Nein, jetzt habe ich ja dich.“
Bevor sie aufstanden, griff Julie nach dem Büchlein Sprüche zum Tag, das neben ihrem Bett lag.
„Ich will schauen, unter welchem Motto der Tag stand, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben.“ Sie las vor: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker, von Nietzsche.“ Enttäuscht ließ sie sich zurückfallen. „Och, ich habe gehofft, dass irgendetwas Romantisches drin steht.“
„Ich schick dir einen romantischen Satz per Post.“ Er küsste sie zärtlich. „Meine Julie.“
7
Die Bahn verdiente prächtig an ihnen. An einem Wochenende trafen sie sich bei Christian, am nächsten bei Julie. Sie besuchten Kunstausstellungen, gingen ins Kino, in die Oper, unternahmen lange Spaziergänge, kochten gemeinsam und trafen Freundinnen und Freunde. „Die Sonne geht auf“ wurde zum geflügelten Wort im Freundeskreis, wenn beide den Raum betraten.
***
Julie war nur nach Hause gefahren, weil ihr Vater einen runden Geburtstag hatte. Ihre Familie nahm Christian mit offenen Armen auf, was nichts Besonderes war, weil Julies Mutter nette, gut erzogene Männer generell mit offenen Armen aufnahm.
„Biete doch Christian ein Brot an.“
„Christian kann sich selbst ein Brot aus dem Korb nehmen, er wird wissen, ob er Hunger hat.“ Julie war wütend. Später zog ihre Mutter sie beiseite: „Christian ist so ein guter Mensch, und du bist so egoistisch. Du verdienst ihn gar nicht und musst noch viel lernen. Ihr jungen Frauen wisst nicht, wie man einen Mann glücklich macht.“
„Mir ist es wichtiger, mich glücklich zu machen. Nur dann hat Christian etwas von mir.“
„Du wirst dir die Hörner noch abstoßen.“
Christians Mutter war dagegen der Studentin aus der Großstadt gegenüber äußerst misstrauisch. Julie würde ihren Sohn vom Lernen abhalten. Ihrer Meinung nach sollte er sein Studium beenden, sich einen Job suchen und viel verdienen. Nur das zählte.
Und Christians Vater? Er war als Bauingenieur oft im Ausland tätig gewesen und betonte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, eine Beziehung könne nur funktionieren, wenn genug Geld da sei.
Eines Abends bei Christians Eltern konnte sich Julie nicht zurückhalten: „Ja, Sie haben gut verdient und Ihre Familie ernährt, aber um welchen Preis? Sie haben Ihre Frau und Christian nur am Wochenende gesehen, und wenn Sie im Ausland waren nur zweimal im Jahr. In einem Jahr sind Sie sogar Weihnachten nicht nach Hause gekommen.“
„Was hätte ich machen sollen? Das Haus musste abbezahlt, der Sohn ernährt werden.“
Christian fand die Reihenfolge bemerkenswert, sagte jedoch nichts.
Wie gut kannte Julie das aus ihrer Familie. Materiell war für sie und ihre Geschwister bestens gesorgt worden. Essen war das Wichtigste. Nur während der Mahlzeiten war es erlaubt, nicht zu arbeiten. Für die seelischen Bedürfnisse der Kinder gab es dagegen weder Zeit noch Verständnis. Vielleicht lag es an der Hilflosigkeit oder Unfähigkeit ihrer Eltern, Gefühle anzusprechen. Konflikte wurden in Julies Familie auf einfachste Weise gelöst: Sie