ТОП просматриваемых книг сайта:
Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band. Gerhard Henschel
Читать онлайн.Название Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9783455005011
Автор произведения Gerhard Henschel
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Weißt Du schon genau, wann Du kommst?
Bis dann, der große Michael!
An den Rand hatte er eine Zeitung gezeichnet, mit der Schlagzeile: »Kind beging Selbstmord – aus Langeweile!« Und darunter: »Scheel im Klo ersoffen«. Und daneben: »Bundesjugendspiele in Koblenz – 11 Tote!«
Von mir kriegte Wiebke zum zehnten Geburtstag einen feuchten Händedruck. Immerhin hatte ich ihr mal ein Eis ausgegeben.
»Ja«, sagte sie, »letzten Sommer!«
Ihre Geburtstagsgäste fielen mir zwar auf die Nerven, aber von der Erbeertorte Marke Renate wollte ich auch was abhaben. Renate, die Küchenfee: Wiebke zu Ehren hatte sie außerdem noch einen dicken Pott Bananenquark und einen glibberigen Götterspeisefisch mit Kirschen und heißer Vanillesoße fabriziert.
»Und wer soll das alles fressen?« Das war Papas Kommentar.
Der bei Kamps bestellte Polo ließ auf sich warten. Mama war schon mehrfach vorstellig geworden, um den Schlafmützen da Feuer unterm Arsch zu machen. Auf die Bude rücken müsse man den Kerlen, sonst rührten die sich nicht. Ein guter Grund mehr, sich kein Auto zu kaufen: Dann brauchte man niemandem einzuheizen und konnte selbst ’ne ruhige Kugel schieben.
»Der Doofkopp hat die halbe Zunge mitbetäubt«, sagte Renate, als sie ihren nächsten Zahnarzttermin überstanden hatte, aber das enträtselten wir erst nach der zweiten Wiederholung. Sogar den sprechenden Hund von Loriot hatte man besser verstehen können.
»Du hörst dich an wie ’n Chinese«, sagte Papa.
Mama hatte sich beim Treppewischen einen Hexenschuß zugelegt und verhielt sich dementsprechend gereizt, wenn man ihr abends in die Entscheidung über das beste Fernsehprogramm reinzureden versuchte.
Dann fuhr Papa Renate zum Krankenhaus, weil sie an mysteriösen Unterleibsschmerzen litt. Ob das der Blinddarm war? Oder ob sie was Falsches gegessen hatte? Aber dann wären wir ja wohl auch nicht verschont geblieben.
Sie hatte eine »Eileiterentzündung« und mußte im Ludmillenstift bleiben. Liegend, und zwar stramm! Zehn Tage Minimum. Voraussichtlich. Eisern liegen und den Bauch mit Eisbeuteln kühlen. Der geringste Leichtsinn in dieser Beziehung könne zur Folge haben, daß Renate eine »Verklebung« behalte und steril werde.
Was die Frauen untenrum so alles für Geschichten haben konnten, darum waren sie nicht zu beneiden. Das gleiche komplizierte Elend wie bei Autos: »Eileiter«, das klang auch nicht viel verlockender als »Zündverteiler«.
Der letzte Spieltag war eine reine Formsache, jedenfalls für die Gladbacher, die ihre Gäste vom 1. FC Köln mit 2:1 wieder nachhause schickten.
Im Spiel gegen Hertha BSC legte Gerd Müller mehr als einen Hattrick hin: Nach einer guten halben Stunde hatte er vier Tore geschossen. Am dramatischsten verlief diese Begegnung in den letzten acht Minuten – 6:2 Detlef Szymanek (82.), 7:2 Gerd Müller (84.), 7:3 Detlef Szymanek (87.), 7:4 Detlef Szymanek (89.). Phantastisch! Sowas wollte man doch sehen, auch wenn einem die Torhüter leidtun konnten, so wie Bernd Franke von Eintracht Braunschweig, der das runde Leder nicht weniger als sechsmal aus dem Netz holen mußte. Einmal hatte Bernd Hölzenbein getroffen, zweimal Bernd Nickel und dreimal Jürgen Grabowski.
Die rote Laterne teilten sich am Tabellenende Hannover 96, Kickers Offenbach und Bayer Uerdingen. Diese bedauernswerte Werksmannschaft hatte sich aus der Bundesliga mit einer 2:0-Niederlage in Duisburg verabschiedet und die Saison mit 28:69 Toren beendet. Es war mir schleierhaft, wie die Fans dieser Mannschaft das aushielten. Als Gladbachfan hatte man bessere Karten.
In einem Film abends im Ersten spielte Rod Steiger einen griesgrämigen jüdischen Pfandleiher, der in einem Slum in New York sein Dasein fristete und nur noch ans Geld dachte, seit die Nazis seine Frau und seine Kinder umgebracht hatten. In einer Rückblende war zu sehen, wie er in einem überfüllten Viehwaggon auf dem Weg ins KZ seinen Sohn auf den Schultern zu tragen versuchte und dafür irgendwann nicht mehr genug Kraft hatte. Lauter solche grausigen Szenen.
»Das kann man ja verstehen, wenn einem Menschen da die Gefühle absterben«, sagte Mama.
Aber dann wurde ihm bei einem Überfall von jemandem das Leben gerettet, der dabei starb, und in der Erschütterung darüber quetschte der Pfandleiher eine seiner Hände auf den Quittungshalterspieß.
Am Ende schleppte sich der Pfandleiher nach draußen, und man sah ihn irgendwo zwischen den Leuten auf der Straße davonirren.
Als ich Renate im Ludmillenstift besuchte, verriet sie mir im Flüsterton, daß die eine von beiden Frauen neben ihr im Zimmer eine Abtreibung hinter sich habe und die andere eine »Ausschabung«. (Mit einem Spachtel im Uterus? Das wollte ich lieber nicht so genau wissen.)
Von den Ärzten hatte Renate keine hohe Meinung: »Alles widerliche alte Säcke, die an einem rumgrapschen und -tatschen.« Eine Penicillinspritze hätten sie ihr verpaßt, gleich bei der Einlieferung, ohne nach allergischen Reaktionen zu fragen, und jetzt saßen Renate die Arme voller Quaddeln, die schauderbar juckten, und sie bekam Tabletten gegen den Juckreiz verabreicht. »Sowas Blödes! Und von ’ner anderen Spritze hab ich nur ’n schleimigen Mund gekriegt und sonst nichts, und den kodderigen Geschmack muß ich mit Pfefferminzdrops weglutschen!«
Das Semester könne sie abbrechen und die Fahrschule desgleichen. Zehn Fahrstunden hatte sie schon hinter sich.
Wenn das Eis in dem Beutel auf Renates Bauch geschmolzen war, mußte sie klingeln und neues bestellen.
Wir hatten ein Heimspiel, und der Rechtsaußen, den ich zu bewachen hatte, lief in brenzligen Momenten oft zurück bis zum eigenen Strafraum. Ich natürlich hinterher! Die Mittellinie überquerte ich als Manndecker sonst nur zum Abspielen, und bis zum gegnerischen Strafraum kam ich so gut wie nie. Vielleicht rollte mir da ja irgendwie der Ball mal so glücklich vor die Füße, daß ich bloß noch draufzuhalten brauchte, dachte ich. Für das erste Tor in meiner Laufbahn wurd’s ja auch allmählich Zeit.
Und tatsächlich – einen hoch hereingegebenen Eckball faustete der Torhüter genau in meine Richtung! Jetzt das Leder locker und elastisch von der Brust abtropfen lassen und als Dropkick mit Karacho unter die Latte jagen: Das wäre die richtige Reaktion gewesen. Tausendmal trainiert. Allerdings ohne Lampenfieber und rempelnde Gegenspieler, und auch nicht in einem Stadion, das urplötzlich einem Hexenkessel glich.
Von der Seite hörte ich Uli Möller brüllen: »Mach ihn rein!«
Bei der Brustannahme berührte der Ball meine Schulter, und der Schiedsrichter pfiff ab: Handspiel.
Und zurück, marsch-marsch.
Für den Rest der ersten Halbzeit lief ich wie umnebelt übers Feld.
»Den hättest du reinmachen müssen, Martin«, sagte Uli Möller in der Pause.
Unter einer Eileiterentzündung konnte sich auch Hermann nichts Konkretes vorstellen, aber etwas Fieses sei das ganz bestimmt. Eine Erbkrankheit vielleicht. »Wer weiß, was ihr für räudige Vorfahren habt!« In seiner Familie sei noch nie einer krank gewesen. Sein Vater habe in seiner gesamten beruflichen Laufbahn noch keinen einzigen Tag auf der Arbeit gefehlt. »Für uns ist das Krankfeiern unter unserer Würde!«
Nur einmal, aber davon wisse er nur aus Erzählungen, habe sein großer Bruder an einer schweren Krankheit gelitten, mit lebensgefährlichen Fieberschüben, und die Ärzte hätten ihn aufgegeben. »Und dann haben meine Eltern jemanden zu Hilfe geholt, von dem sie gehört hatten, daß er auch in anderen hoffnungslosen Fällen die letzte Rettung gewesen war. Und zwar einen Gesundbeter! Und der kam dann an und hat meinem Bruder irgendwie die Hand aufgelegt und die passenden Gebete gesprochen …«
»Also ein Wunderheiler.«
»Nenn ihn, wie du willst! Der hat seinen Dienst getan, und simsalabim, zwei Tage später war mein Bruder wieder munter und gesund. Obwohl die