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zum Kotzen.

      Katharina sitzt neben mir und wirkt auch etwas mitgenommen.

      „Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf unsere alten Tage wirklich militante Tierschützer werden sollten“, bemerkt sie nach einer Weile.

      Ich werfe einen Blick auf Loiker, der aus dem Vagy kommt, vermutlich von der Toilette.

      „Es wäre vermutlich nicht zielführend“, erwidere ich schließlich. „Letzten Endes wissen wir tatsächlich nicht, ob sie Schmerzen haben.“

      „Genau. Wir sollten uns einfach auf unsere Suche konzentrieren.“

      „Du hast recht.“ Ich wende mich an Roakan, der in der Nähe auf einer anderen Bank sitzt. Er sieht aus, als würde er nicht verstehen, was unser Problem ist. Wahrscheinlich ist es ja auch so. „Welche Möglichkeiten gibt es, auf den Zao-Skeg zu kommen?“

      „Für uns gar keine.“

      „Danach habe ich nicht gefragt! Ich verliere langsam wirklich die Geduld mit dir. Kann man von der Brücke, die verkleidet ist, auf den Skeg gelangen? Und vom Skonkan?“

      „Nein, die Brücke führt direkt auf den Skeg danach. Mit dem Skonkan ja, aber die Haltestelle wird sehr streng bewacht.“

      „Dann gibt es keine Möglichkeit, zu Fuß auf den Skeg zu kommen?“

      Roakan schweigt und seine Augenlider flattern kurz. Katharina springt auf, setzt sich neben ihn, packt seine rechte Hand und biegt seinen Mittelfinger solange zurück, bis er mit einem deutlich hörbaren Knackgeräusch bricht. Gleichzeitig hält sie ihm den Mund zu. Nur seine fast herausspringenden Augen verraten, dass die Behandlung nicht wirklich angenehm ist.

      „Für jede falsche oder nicht erfolgende Antwort ist ein Finger dran“, sagt sie ruhig. „Und damit du mir das glaubst, habe ich schon mal angefangen. Außerdem hast du gerade eine Frage nicht beantwortet. Falls die Finger nicht reichen, mache ich mit den Zehen weiter. Reichen die auch nicht, sind die Zähne dran. Ist das angekommen?“

      Als er heftig nickt, lässt sie seinen Mund los. „Falls du schreist, ist auch ein Finger dran. Auch verstanden?“

      Er nickt wieder und starrt sie an.

      „Gut. Ist es möglich, zu Fuß auf den Zao-Skeg zu kommen?“

      „Ja“, antwortet Roakan gepresst. „Es gibt eine Brücke, aber sie wird bewacht und nur bei Bedarf ausgefahren.“

      „Bei Bedarf ausgefahren? Und wie fährt dann der Skonkan durch?“

      „Nur der begehbare Teil der Brücke wird eingefahren.“

      „Ich verstehe.“ Ich blicke mich um. Es sind wenige Leute hier unterwegs, die uns zwar neugierig ansehen, aber sonst nichts Verdächtiges tun. Vermutlich liegt das auch an Roakan, den man als Oberster Lustwächter lieber in Ruhe lässt.

      Außer von anderen Lustwächtern.

      „Was ist mit dem Aufzug? Wie funktioniert der? Elektrisch?“

      „Nein. Er wird von Hand bedient, mit einer Kurbel, die über Seilwinde den Aufzug bewegen kann. Normalerweise ist die Kabine oben.“

      „Okay. Irgendwie sogar nachvollziehbar. Das heißt, unten leben nur Lustlose?“

      „Nein.“

      „Nein?“

      „In den Lustlagern gibt es auch andere.“

      „Roakan, du machst mich gerade etwas nervös. Nach wie vielen gebrochenen Fingern würdest du einsehen, dass ich vernünftige, umfassende Antworten von dir haben will? Sollen wir es ausprobieren? Katharina bricht dir solange Finger, bis du alles, was ich wissen will, erzählst, und zwar ohne dass ich auch nur eine einzige Frage stelle. Einverstanden?“

      Als Katharina seinen rechten Ringfinger packt, sagt er hastig: „Das ist nicht nötig! Lustlager sind Einrichtungen, in denen einige Lustlose die Möglichkeit erhalten, zu Lustvollen zu werden und nach oben zurückzukehren. Lustvolle, die sich bereit erklären, Lustlosen etwas von ihrer Lust abzugeben. Das Projekt heißt Lustspende.“

      Katharina und ich sehen uns entgeistert an.

      „Glaubst du den Schwachsinn?“, frage ich sie dann.

      Sie schüttelt den Kopf.

      „Es ist aber wahr!“, ruft Roakan. „Ihr könnt das nachprüfen!“

      „Wozu soll das gut sein?“

      „Wir wollen Unruhen verhindern, die möglicherweise zum Schaden aller wären.“

      „Ihr gebt denen Hoffnung, damit sie stillhalten?“

      „Ja, so könnte man es auch ausdrücken.“

      „Das ist ziemlich pervers“, stelle ich fest.

      „Aber leider glaubwürdig, wenn ich so an einige geschichtliche Ereignisse denke“, erwidert Katharina. „Mir fällt zum Beispiel Lebensborn ein.“

      „Hm. Ich habe den Begriff schon mal gehört, aber ich komme nicht darauf, was es ist.“

      „Von den Nazis betriebene Zuchtstationen.“

      Jetzt erinnere ich mich wieder, obwohl Katharinas Umschreibung etwas zynisch ist. Eigentlich passend, denn diese Einrichtungen waren an sich zynisch. Andererseits, was an der Ideologie der Nazis war nicht zynisch?

      „Okay, ich gebe zu, so gesehen ist so ein Projekt gar nicht mal unglaubwürdig. Trotzdem zum Kotzen.“

      „Da gebe ich dir ja recht. Bringt uns aber nicht weiter.“

      Ich nicke schlechtgelaunt. Diese ganze Moralscheiße bringt uns gar nicht weiter. Ich meine, war ich nicht diejenige, die fast schon mit Freude zugesehen hat, wie ein gefühlloser Kindermörder mit der Garrotte langsam erstickt und geköpft wurde? Wie einem anderen Killer sämtliche Knochen im Leib gebrochen wurden und er nicht die Gnade eines schnellen Todes gewährt bekam? Auf meinen Befehl hin?

      Oder habe nicht ich dem Zauberer in die Augen gesehen, während er langsam das Bewusstsein und das Leben verlor, und empfand ich dabei nicht sogar eine Art von Befriedigung? Rache ist unmoralisch, und das war Rache pur.

      Ich blicke Katharina an, die mich lächelnd beobachtet.

      „Was?“

      „Du warst wieder weg und ich habe einfach mal abgewartet, ob und wann du wiederkommst.“

      „Ich habe nachgedacht.“

      „Das ist mir inzwischen auch klar, darum habe ich abgewartet.“

      Mir kommt eine Idee. Ich bitte Loiker, auf Roakan aufzupassen. Er setzt sich mit übereinander geschlagenen Beinen an seine linke Seite, hält mit der Linken das Schwert fest und legt den rechten Arm um seine Schulter. Dann lächelt er uns an.

      Ich nehme Katharinas Hand und ziehe sie mit mir neben eins dieser an Gräber erinnernden Gebilden, weit genug, dass weder Loiker noch Roakan uns hören können.

      Sie legt ihre Hände auf meine Hüften, ich meine Unterarme auf ihre Schultern.

      „Ich höre“, sagt sie dann.

      „Wir bringen Loiker auf Enskeg. Dort kann er sich für eine Weile verstecken und müsste genug zum Essen haben. Roakan bleibt bei ihm, für den Fall der Fälle.“

      „Sie werden ihn suchen.“

      „Auf Enskeg auch?“

      „Hm.“ Sie denkt kurz nach. „Wenn ich mich richtig erinnere, ist da nichts außer Wald. Und der Hügel.“

      „Und der Tempel.“

      „Wir müssten den Skonkan vorher verlassen und zu Fuß gehen.“

      „Hm.“

      „Warum lassen wir die beiden nicht hier? Wenn ich das richtig sehe, gibt es hier nichts außer der Zuchtstation.“

      „Das

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