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Molden wird im April 1924 in Wien geboren und wächst im 19. Bezirk auf, im vornehmen Döbling. Er wächst hinein in eine »wilde Epoche«, die »Stoff für manchen Roman« böte, heißt es in einer der vielen Protokollreflexionen, die den prallen Stoff ordnen und zusammenfassen. Von dieser Epoche – von der Mitte der Zwanzigerjahre bis zu Hitlers Einmarsch in Österreich – und vom wertkonservativen Döblinger Milieu, in dem weder die einstige Größe des Habsburger Imperiums noch dessen letzter Kaiser ganz vergessen sind, erzählt die Romanbiografie spannend und anschaulich. Im Zentrum steht naturgemäß der junge Held – und seine Familie. Der Vater ist ein bekannter Journalist und einflussreicher Redakteur, der die landesweit bekannte Molden-Dynastie selbstbewusst verkörpert, die Mutter Paula ist eine viel gelesene Dichterin, und der Bruder Otto wird schon als Gymnasiast zum aktiven Nazigegner. »Die Molden waren im Kaiserreich das Sprachrohr der Macht. Sie waren in der Republik das Sprachrohr und im Ständestaat. Dafür verlangen die Nazis einen Preis. Papa wird Österreich verlassen müssen. Otto ist schon jetzt in ernster Gefahr.« Bald tobt der Krieg, und die Brüder, zu jungen Männern herangewachsen, sind plötzlich bei der Wehrmacht. »Fritz ist zeit seines Kriegseintritts durch eine Hochschaubahn der Gefühle gerast, die ihn von den östlichen Sümpfen über Paris und Berlin an die Front trug und von dort stracks in die Vogelfreiheit hinein.« Denn Fritz schleicht sich aus seiner in Italien stationierten Einheit, was nicht ohne Gefahren und Abenteuer von sich geht, und rettet sich vorerst in die Schweiz – um sich dort zu fragen, ob es einen österreichischen Widerstand gegen Hitler gibt und was er, Fritz Molden, dafür tun kann. Und dass er sich dann dazu entschließt, unter größten Gefahren von Zürich nach Wien zu gehen, um den dortigen Widerstand zu organisieren und seine Pläne für ein Österreich nach Hitler voranzutreiben, wird zum »Grundstein seines künftigen Rufes … als Held, weil er handelt, und als österreichischer Held, weil er den Teufel besiegt«. Der Krieg geht zu Ende, die Zeiten sind hart und hoch politisiert – doch Fritz ist nun einmal kein Realpolitiker. Er ist zu ungeduldig, zu wenig ausdauernd, zu undiszipliniert, ein bald als gefragter Zeitungsreporter arbeitender Abenteurertyp, der für die Befreiung des Landes mehr getan hat als alle nun plötzlich auftauchenden Realpolitiker zusammen. »Wo Fritz verkehrt, da ist Prominenz. Fritz redet und diskutiert und erzählt und belehrt und merkt doch, dass irgendetwas mit ihm nicht richtig ist. Er reist hektisch und säuft und hurt und prahlt und spielt, wie nur der Fritz es kann. Es hilft alles nichts. Ihm ist fad.« Er meint, dass die Sowjets sein Wien, womöglich das ganze Österreich, am liebsten zur Diktatur umgestaltet sähen, und dass die größte Gefahr dabei von der KPÖ ausgehe. Jetzt geht es also gegen die Kommunisten, und Fritz, der inzwischen über ein »Pressehaus« verfügt, ist der kälteste aller Kalten Krieger. Doch dieser zeittypische Konservative, der sich gern auf die angeblich ewigen Werte des christlichen Abendlandes beruft, ist so zeittypisch nun auch wieder nicht: Ein maßloser Genussmensch ist er, eine Ausnahmeerscheinung, ein Siegertyp, geschäftig, erfolgshungrig, ehrgeizig.

      Noch mehr Ruhm erwirbt sich der allmählich nicht mehr ganz junge Molden weniger als Sünder wider die von ihm selbst unablässig propagierten christlichen Tugenden, sondern als Geschäftsmann mit weltanschaulicher Mission, vor allem als erfolgreicher und mächtiger Buchverleger – anlässlich des Todes von Hildegard Knef erinnerte er sich öffentlich an deren Erfolgsbuch Der geschenkte Gaul, das natürlich bei Molden erschienen war. Wie viele seiner Zeitgenossen übersieht er den »kulturellen Paradigmenwechsel« der Jahre um 1968 und bekämpft diejenigen, »die er instinktiv als antireligiös empfindet«. Doch der Zeitgeschmack wandelt sich, und er geht weg von den Molden-Büchern und weg von Gestalten wie Fritz Molden. Die »Sturmwolken« kommen näher, die »Haarrisse« häufen sich – von nun an, um Hildegard Knef zu paraphrasieren, ging’s bergab. Braendles Held »merkt nicht, in welchen Abgrund er mit Vollgas rast«, und so nimmt die Katastrophe ihren Lauf und macht Fritz Molden von einem sehr reichen zu einem sehr armen Mann. Doch sogar als Hauptfigur einer der größten Verlagspleiten der letzten Jahrzehnte bleibt er im Bewusstsein vieler Österreicher der charmante Tausendsassa aus dem offenbar unsterblichen Arsenal der typischen Wiener Originale, denen man einfach nicht wirklich böse sein kann. Allerdings macht ihm doch zu schaffen, dass viele Jüngere Österreich als Täter- und nicht nur als Opferland zu sehen beginnen – denn dadurch gerät seine Lebensleistung als anti-totalitaristischer Kämpfer in die Gefahr des Uminterpretiert- oder gar Vergessenwerdens.

      Hier übrigens haben wir auch den Kern der politischen Brisanz des neuen Braendle-Buches im heutigen Österreich, zu der der Autor vor allem im sechsten Kapitel mit seinen autonomen und eigensinnigen Kommentaren zur Lage im Schüssel-Haider-Land manches beiträgt. Wie immer man seine bedächtig abwägenden Situationsbewertungen beurteilt – am Ende dieser Romanbiografie ist das durch den Konkurs angeknackste Ich des Helden wieder einigermaßen intakt, und Fritz Molden erscheint dem Autor wie dem Leser als ein fast weiser alter Mann, dem der Respekt schwerlich zu versagen ist. »Besuchen Sie mich alsdann, und an Unterhaltung soll es Ihnen gewiss nicht fehlen«, sagt er am Schluss – und dass Braendle für diesen Schluss eben dieses Zitat gewählt hat, ist ein gelungener, weil in vielerlei Hinsicht passender Griff in die Trickkiste. Denn diese Worte stehen auch im letzten Absatz eines Buches, dessen Affinitäten zu Christoph Braendles brillantem neuen Werk das Thema einer germanistischen Magisterarbeit sein könnten. Es heißt: »Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen.« War der eigentlich ein Held?

      Christoph Braendle: Fritz Molden – Ein österreichischer Held. Romanbiografie. Graz/Wien/Köln 2001: Styria Verlag. 207 S.

      Who will stop the rain? Christoph Braendles Roman Der Meermacher

      »When the rain comes / they run and hide their heads«, sangen einst die Beatles. Das war noch relativ harmlos. Wenn es aber immer weiter regnet? »Who will stop the rain?« heißt, nicht mehr ganz so harmlos, ein fast genau so alter Song der heute weithin vergessenen Kultband Creedence Clearwater Revival. Das Regenthema ist natürlich keine Erfindung der Woodstockgeneration. Es ist älter, viel älter auch als das berühmte Weltende (1911) des unglücklichen Dichters Jakob van Hoddis. In seinem Achtzeiler fliegt dem Bürger nicht nur der Hut vom spitzen Kopf, dort heißt es auch: ». Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut / Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken …« Das Thema lautet schlicht und ergreifend: Weltuntergang, Apokalypse, Unterabteilung Sintflut oder auch, etwa im Titel der heute kaum noch aufgeführten Dramen von Max Dauthendey (1893) und Alfred Kubin (1924), Sündflut. Eine der ganz großen mythischen Erzählungen der Menschheit – und damit auch ein weites Feld für die Kunst. Selbst wenn man den Blick auf die deutschsprachige Literatur seit 1945 verengt, findet man Beachtliches: Stefan Andres hat dieses alttestamentarische Riesenthema literarisch gestaltet, Hugo Loetscher, Wolfdietrich Schnurre, Herbert Achternbusch, Urs Widmer, Günter Kunert und noch viele andere Schriftsteller – und jetzt auch Christoph Braendle. Er publizierte, pünktlich zum Beginn der globalen Finanzkrise, einen Roman, in dem es zentral um deren Ursachen geht und der konsequent auf das Sintflutszenario hinausläuft. Fast niemand beachtete ihn. Auch nachdem es in der Zeit eine fast euphorische Besprechung gab, geschah wenig. In einer »zeitlos schwebenden Prosa« verfasst, komme dieser jüngste literarische Weltuntergang direkt »charmant« daher, meinte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Gute Literatur offenbar, dieser Meermacher, aber bisher ohne größere Wirkung. Ob man Braendles außergewöhnliches, packendes und umwerfend geschriebenes Buch erst richtig entdecken und würdigen wird, wenn seine Prophezeiung eingetroffen sein wird? Aber wer sollte dann …?

      »In diesem Moment fielen die ersten Tropfen vom Himmel. Das große Regnen begann.« Ein recht normales Ehepaar mittleren Alters sitzt, nicht gerade vor Glück strahlend, in seinem Einfamilienhaus mit dem schönen Namen »Zur Augenweide«. Es muss doch noch etwas anderes im Leben geben als dieses Haus, diese Siedlung und vielleicht auch diese Ehe, sinniert Gustav. Wenn der anvisierte Südseeurlaub an Gerlindes blöder Flugangst scheitert und man die sagenhaften Korallenriffe niemals zu Gesicht bekommen wird, dann muss man seiner »Lust auf Meer« eben im von Aquarien vollgestellten Postwirt nachgehen. Nebenbei malt sich Gustav dort bei mehreren Schoppen im Detail aus, wie das Meer, das er noch nie gesehen hat und wahrscheinlich nie sehen wird, zu ihm nach Hause kommen könnte. »Was brauchen Sie die Südsee?«, fragt ihn ein Postwirtaquarist.

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