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und der jüdische Holocaustüberlebende aus Czernowitz, die sich im Mai 1948 in Wien kennenlernten, eine für ihre Literatur eminent folgenreiche Liebesbeziehung zu gestalten versuchten, die letztlich in Verzweiflung, Verstummen und Tod endete, weiß man seit Langem. Dokumentiert wird diese nicht nur poetische Korrespondenz in dem Band Herzzeit, und sie wird so gut dokumentiert, wie das durch Briefe und Gedichte, Kommentare und Nachworte überhaupt möglich ist. Gedichte? Mit In Ägypten, entstanden im Juni 1948 und »Ingeborg« gewidmet, beginnt Herzzeit. Der Titel des Bandes stammt aus dem Celan-Poem Köln, Am Hof, das nach dem Wiederaufleben der Liebesbeziehung im Herbst 1957 entstand. Beide Gedichte gehören zu den 196 in Herzzeit versammelten und ausführlichst kommentierten Dokumenten aus etwa zwanzig Jahren. Das Herausgeberteam hat ganze Arbeit geleistet, und entsprechend begeistert zeigten sich die Experten – wenn auch der eine oder andere Einwand gegenüber manchem Detail nicht ausblieb. Die Briefe, Postkarten, Widmungen und Grußtelegramme enthüllten ein »existenzielles Ringen um die deutsche Sprache im Angesicht der historischen Katastrophe« und offenbarten zudem »einen verzweifelten Kampf um private Verständigung und poetisches Verstehen«, schreibt der Kritiker Hubert Spiegel, der den »Kampf gegen das Verstummen, die Überwindung des Schweigens« als zentrales Thema der Briefe bezeichnet. Was unbedingt richtig ist, durch alles Auf und Ab dieses immer höchst gefährdeten Verhältnisses hindurch. Die junge Frau aus Klagenfurt wird zu einer erfolgreichen Dichterin, die Kritiker und Kollegen der Gruppe 47 im Sturm für sich einnimmt, während Celan mit seiner heute weltberühmten Todesfuge beim Gruppentreffen in Niendorf (1952) kopfschüttelnd abgetan wurde. Schon 1951 hatte der nach Paris gegangene Dichter seine spätere Frau Gisèle Lestrange kennengelernt. Bachmann war dem Komponisten Hans Werner Henze begegnet, und im Mai 1958, wenige Monate nach dem Wiederaufleben ihrer Liebesbeziehung zu Paul Celan, traf sie zum ersten Mal den Schweizer Schriftsteller Max Frisch, mit dem sie sich bald darauf zusammentat. Die Briefe zwischen Celan und Frisch, die man in Herzzeit aufgenommen hat, sind zum Verständnis der Konstellation ebenso wichtig wie die zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Auch sie bestätigen, was man ahnen konnte: Paul Celan, dessen Kosmos durch die sogenannte Goll-Affäre und durch eine als antisemitisch empfundene Kritik seines Sprachgitter-Bandes verdüstert wurde, war im Grunde auf Erden nicht zu helfen. Weder der Büchnerpreis konnte sein Gefühl tilgen, verraten worden zu sein, noch vermochten das die Hilfs- und Tröstversuche seiner Freunde – Ingeborg Bachmann an erster Stelle. Nichts und niemand konnte verhindern, dass der Mann, der die Dichtung in deutscher Sprache um eine ganze Dimension atemberaubend neuer lyrischer Ausdrucksmittel bereichert hat, 1970 seinem Leben ein Ende setzte. Drei Jahre später starb Ingeborg Bachmann an den Folgen eines Brandunfalls in Rom.

      Muss man Herzzeit gelesen haben? Nein, das muss man nicht. Wer die literarischen Werke der Briefpartner nicht kennt, wird von der Lektüre nur wenig haben. Der für die Celan- und die Bachmann-Forschung äußerst wichtige Band könnte allerdings ein Anlass sein, sich den heute nicht mehr allgemein präsenten Texten zweier großer Poeten des 20. Jahrhunderts zuzuwenden. In Bachmanns Spätwerk, speziell in Drei Wege zum See und im Malina-Roman, kann man auch mehr über ihre unglückliche Liebe zum Autor der Todesfuge erfahren. Die Gedichte und Prosastücke aber, für die Ingeborg Bachmann und Paul Celan zu Recht berühmt geworden sind, ruhen meistens, oft lange nicht mehr gelesen, in den Regalen. Sie sollte man hervorholen und mit neuen Augen lesen. Sie sind das Primäre. Ihnen sollte man sich widmen. Und das geht zur Not auch ohne den beeindruckenden und aufschlussreichen Herzzeit-Band.

      Ingeborg Bachmann / Paul Celan: Herzzeit. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Frankfurt am Main 2008: Suhrkamp Verlag. 399 S.

      Aphoristik als Moralistik. Elazar Benyoëtz – Dichtung und Weisheit

      Der wunderbaren Buchreihe Profile, die sich im Untertitel als Magazin des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek entpuppt, können in Deutschland wohl nur einige Marbacher Kataloge das Wasser reichen. Wunderschön aufgemacht, mit zahlreichen Fotos und Faksimiles aus dem Vorlass oder dem Privatbesitz des Dichters, ist kürzlich ein stattlicher Band über Elazar Benyoëtz erschienen: Korrespondenzen. Der 1937 als Paul Koppel in Wiener Neustadt geborene und Ende 1939 mit den Eltern nach Palästina gelangte Dichter, der in hebräischer Sprache debütierte und seit 1969 meistens auf Deutsch schreibt, ist nach wie vor einer der am wenigsten bekannten Chamisso-Preisträger. Schon 1988 hat er den Preis erhalten, und seitdem ist sein Werk ungeheuer angewachsen – Gedichte und Prosa, Essays und Briefe, vor allem aber Aphorismen. Benyoëtz schreibe »Aphoristik als Moralistik«, hat Harald Weinrich einmal gesagt – Korrespondenzen enthält auch eine kluge Auswahl aus seinem Briefwechsel mit dem Dichter. Aphorismenbände jedoch, und seien sie noch so brillant, kaufen die Leute selten.

      Fast fünfzig Seiten umfasst die Einleitung, die die Überschrift »Folgenichtig. Oder: Ich unterschreibe nicht« trägt und von Elazar Benyoëtz selbst stammt. »Ich habe keine deutsche Umwelt, kein Deutsch um die Ohren, ich muss mein eigenes Herz essen«, heißt es in dieser autobiografischen Melange. Genauso fundamental: »Auschwitz und Deutsch sind unzertrennlich, Hebräisch und Auschwitz sind unvereinbar … Als ich ins Deutsche geriet, sah ich seinen großen Vorzug ein: in jeder anderen Sprache wäre es leichter, Jude zu sein.« Warum diese Collage aus Gedicht- und Prosazeilen, Aphorismen, Briefstellen und Zitaten? Weil man dem Poeten damit wohl am nächsten kommt, und er selbst sich vielleicht auch: »Das Hohelied der Fälscher läuft unter ›Memoiren‹.« Ein Fälscher will Benyoëtz nicht sein – er spricht als Dichter, immer. Und als religiöser Mensch: »Wenn ich etwas über Gott und die Dichtung sagen möchte, will ich nicht gezwungen werden, mein Urteil über Arafat oder Sharon abzugeben. Mit Fragen solcher Art wird die Poesie öffentlich ausgepeitscht.« Das Problem dabei: Wer hört noch zu? »Welche Blumen sind es noch, durch die man heute sprechen könnte?«

      Um diesen eminenten Dichter zu entdecken oder genauer kennenzulernen, kommen diese Korrespondenzen gerade recht. Zwölf Experten, darunter der Schriftstellerkollege Robert Menasse und die profilierte Wiener Kritikerin Daniela Strigl, beleuchten und deuten sein Werk, und die von Michael Hansel zusammengestellte »Korrespondenz in Bildern und Texten« liefert aufschlussreiche Fotos. Zum Beispiel eins von Benyoëtz und SAID (Stuttgart 1998), auf dem im Hintergrund deutlich ein Schriftzug zu erkennen ist: »Viele Kulturen – eine Sprache.«

      Elazar Benyoëtz, Korrespondenzen. Herausgegeben von Bernhard Fetz, Michael Hansel und Gerhard Langer (= Profile 21). Wien 2014: Zsolnay Verlag. 269 S.

      Fremde Denkräume. Elazar Benyoëtz zum achtzigsten Geburtstag

      Der in Wiener Neustadt geborene und in Palästina aufgewachsene Elazar Benyoëtz, der mit dem literarischen Schreiben in seiner »Muttersprache Hebräisch« angefangen hat und seit 1969 meistens in seiner »Vatersprache Deutsch« publiziert, ist inzwischen einer der am wenigsten bekannten Chamisso-Preisträger. Das liegt natürlich daran, dass er Israel nur noch selten verlässt und im hiesigen Literaturbetrieb so gut wie nicht präsent ist. Es liegt aber mit Sicherheit auch daran, dass seine Art des Dichtens und Denkens völlig quer steht zu einem Zeitgeist, dem das möglichst mühelose und möglichst unterhaltsame Konsumieren von Medien aller Art den Zugang zu einer Weisheit blockiert, deren gedankenreiche Widerständigkeit ohne Reflexion und Empathie nicht zu haben ist.

      In seinem 2001 erschienenen Band Allerwegsdahin hat Elazar Benyoëtz seinen Weg als Jude und Israeli ins Deutsche, wie der sich an Jakob Wassermann anlehnende Untertitel lautet, erläutert: »Deutsch schreibend, nehme ich Anteil an dem vergossenen, an dem verflossenen Leben und verschreibe mich der Zukunft alles buchstäblich Vergänglichen … Vergänglichkeit wird begangen, und sie erstreckt sich weithin, weitaus. Niemand würde aus meinen Texten entnehmen, dass ich in Tel Aviv fast geboren und daselbst Strand- und Straßenkind war.« Am 29. Oktober 1981 schrieb der Dichter an Harald Weinrich: »Deutsch war mir nie eine Fremdsprache, auf einem dürftigen Niveau begleitet sie mein Gehör fast unaufhörlich.« Das Niveau blieb natürlich nicht sehr lange dürftig: »Ich

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