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lässt kaum einen Topos der klassischen Reiseliteratur aus – aber er macht aus allen Topoi etwas, was Neues und Überraschendes zumeist. Etwa aus der schönen Vorstellung von der Wüste als einem Ort göttlicher Offenbarung zur Läuterung und Reinigung des inneren Menschen, die Uwe Lindemann kürzlich in einer umfangreichen Untersuchung näher erläutert hat (Die Wüste. Terra incognita – Erlebnis – Symbol. Eine Genealogie der abendländischen Wüstenvorstellungen in der Literatur von der Antike bis zur Gegenwart). Paul begegnet in der Wüste sowohl Tod und Ewigkeit – und, damit einhergehend, der von den Ägyptern auch konkret vorgelebten Relativität von Zeit – als auch dem blühenden Leben, das in seinem Fall Anna heißt, voll Liebreiz ist und den rasch verliebten Reisenden unter anderem christliche Demut lehrt. Dass es in der Oase Baharyya ein Hotel Alpenblick geben soll und einen merkwürdigen Schweizer Geschäftsmann mit dem Lieblingsspruch »S’Glück isch es Vögeli« – das sind zwei kleine Beispiele für Braendles bisweilen skurrile Prosaversatzstücke, die immer ihren unabweisbaren Sinn für das Textganze haben und bei aller Komik niemals als lediglich witzige Dichtergags daherkommen.

      Paul schließt sich einer deutschen Reisegruppe an, die eine Kamelreise ins mehrere Hundert Kilometer entfernte und nahe der libyschen Grenze liegende Siwa plant, und wie er sowohl seinem Kamel als auch der holden Anna näherkommt, das erzählt Braendle derart gekonnt, witzig, bezaubernd und ergreifend, dass es manchem Leser durchaus Tränen in die Augen treiben könnte: »Der Rücken eines Kamels ist großartig für die Seele, sagt er, und ganz grässlich für den Arsch. Hirschtalg hilft, rät Anna und meint, sie habe genug.« Die Zeit verliert langsam ihr Gesicht, Pauls allerwerteste Schmerzen werden allmählich unerträglich, und seine Glückserlebnisse an Annas Seite werden es in gewissem Sinne ebenfalls.

      Von ganz unaufgeregt erzählten unerhörten Begebenheiten ist die Rede, krude Touristenwirklichkeit, religiös-spirituelle Erfahrungen und eine überbordende dichterische Fantasie vermischen und verweben sich, bis die Kamele schließlich den Jeeps weichen müssen. »Die Wüste hat uns hergegeben, sagt Paul, aber wer weiß, ob wir noch die Gleichen sind?« Ohne Anna in El-Alamein und Alexandria, übers Fernsehen konfrontiert mit dem balkanischen Kriegsgeschehen des letzten Jahres, und ohne Anna in Luxor und auf dem Nil: Paul, dem Zauber dieses einzigartigen Ägypten längst erlegen, bleibt ein Liebender, und um Frieden, Liebe und Glück kreisen die Gedanken und Empfindungen, die ihn umtreiben. Am Ende steht eine Vision, die Paul in einem Brief an Doktor Renner so formuliert: »Man muss mit dem Herzen denken, dachte ich, oder mit der Leber, dem Magen, mit der Milz … Und dann dachte ich mit dem Herzen; und ich begriff« – das Weltbild der Pharaonen nämlich. Der Brief – und damit fast die ganze Novelle – endet mit der schlüssigen, wenn auch vielleicht größenwahnsinnigen Frage: »Wird mir ewiges Wissen beschieden sein, während Sie, Renner, nicht einmal den Unterschied zwischen einem Engel erkennen?«

      Was immer man von Engeln hält – Braendles Novelle ist keineswegs nur ein schmales Ägyptenbuch, das für eine Handvoll Orientfans von Interesse wäre und ins übliche Reiseliteraturregal gehörte. Hier ist kein eifrig protokollierender Reisereporter am Werk, und für die wohlfeilen Insidertipps und Freizeitinfos sind andere Bücher zuständig. Dass Christoph Braendle seine nüchtern romantische Liebeserklärung an Ägypten – und weit darüber hinaus: an den fragilen Zauber irdischen Daseins überhaupt – in der genannten Buchreihe veröffentlicht, ist für die Picus Lesereisen ein unschätzbarer Gewinn. Für den Autor mag darin auch eine Gefahr liegen – die nämlich, als eminenter Prosadichter und Stilist von hohen Graden weiterhin zu wenig bekannt zu sein und zu wenig geschätzt zu werden. Und das hat dieser Schweizer aus Wien nicht verdient, gerade nach diesem eindrucksvollen kleinen Buch nicht. Man sollte es lesen. Oder wenigstens verschenken. Oder beides.

      Christoph Braendle: Liebe, Freud und schöner Tod. Wiener Sonaten. Wien 1998: Picus Verlag. 131 S.

      Christoph Braendle: Der Unterschied zwischen einem Engel – Ägyptische Novelle. Wien 2000: Picus Verlag. 129 S.

      Wer ist schon ein Held? Christoph Braendles Romanbiografie über Fritz Molden

      Christoph Braendle ist ein ungewöhnlich vielseitiger Autor. Er schreibt Theaterstücke und Erzählungen, Essays und Reportagen, er verfasst auch glänzende Reiseprosa, und nun überrascht er seine Lesergemeinde mit einem längeren Text, der mit einem echten Leben und den Erinnerungen daran spielt und den er »Romanbiografie« nennt. Das ist per se ein mehr als heikles Genre. »Ich warne ausdrücklich davor, die in diesem Buch genannten Ereignisse unkritisch und ohne Überprüfung als Tatsachen zu werten«, schreibt der Autor denn auch in seinem kurzen Nachwort. Außerdem heißt der Mann, um den sich alles dreht, auch noch Fritz Molden, eine Institution weit über Wien hinaus und eine lebendige Legende nicht nur in Österreich. Als ob dies alles zusammen nicht schon genug wäre, trägt das Buch den Untertitel Ein österreichischer Held, ohne Fragezeichen wohlgemerkt, und auf seinen letzten fünf Seiten liest man nicht ohne Staunen »Anmerkungen von Fritz Molden zu Christoph Braendles Romanbiografie«. Diese Anmerkungen sollen, so möchte es der reale Fritz Molden, dem Leser »als Entscheidungshilfe im Wettstreit zwischen Biografie, romanhafter Fantasie, kritischer Meinung des Autors und meiner eigenen Wahrnehmung bzw. Überzeugung dienen«.

      Verwirrend? Skurril! Was ist denn das für ein merkwürdiges Werk? Literatur? Ohne Zweifel – das ist bei diesem Autor gar nicht anders möglich. Ein Roman? Man kann es so nennen, aber man darf auch von einer längeren Erzählung sprechen. Ein Sachbuch? Gewiss auch, und zwar ein hervorragendes zur Landeskunde der Republik Österreich. Eine Biografie? Eigentlich nicht, denn Historiker können ihr nicht trauen – aber irgendwie doch, denn erzählt wird in der Hauptsache das Leben einer historisch gewordenen und immer noch weiter werdenden Person der Zeitgeschichte. Wohin also mit diesem Buch? Genau in dieser Frage übrigens liegt auch eine gewisse Gefahr verborgen – die nämlich, dass Braendle einmal mehr durch die herkömmlichen Raster des Literaturbetriebs und der Feuilletons fallen könnte. Und auch durch die der politischen Lager, zumal in Österreich: den Konservativen zu kritisch, den Linken zu eigensinnig. Das aber hätte er nicht verdient, und sein jüngstes Buch erst recht nicht.

      »Der Mann ist alt, traurig und von der Erschöpfung grau im Gesicht. Er hat geredet. Einen Tag und eine Nacht lang hat er pausenlos geredet und mir die lange Geschichte eines langen Lebens erzählt, das voll der Höhepunkte und Freuden war. Jetzt ist die Kraft verbraucht.« Mit diesen Sätzen beginnt Braendles Buch, und weil es ein Roman sein soll, taucht gleich ein »Arbeitgeber« des fiktiven Ichs auf, der einen Bildband namens »Helden des 20. Jahrhunderts« plane und jenem Ich-Erzähler befohlen habe, nach Wien zu fahren und diesen Fritz Molden zu besuchen. Was tut der Erzähler? »Ich höre den Geschichten zu, ich mache Notizen, frage nach und maße mir trotzdem nicht an, ein Urteil zu fällen, weil es einen unzulässigen Eingriff in die Bewertungen meines Arbeitgebers bedeutete, und weil ich dafür bekannt bin, dass meine Meinung hin und her schwankt wie Schilf im Wind. Ich muss anfügen, dass ich Schweizer bin. Für einen Schweizer ist dieses Schwanken typisch und wird im Allgemeinen nicht verachtet, sondern im Gegenteil hoch geschätzt als Unabhängigkeit und als neutraler Sinn.« Der Erzähler also wird ein Protokoll verfassen, übrigens eines, das sich zunehmend von ihm emanzipiert und zu einer eigenen Instanz mausert, und erst der Leser – pardon, der Arbeitgeber – wird entscheiden, ob Fritz Molden das ist, »was man vermutet, nämlich ein österreichischer Held«. Das klingt ein wenig kompliziert und sogar ein bisschen hölzern, und das ist es auch immer mal wieder, bei Passagen nämlich, in denen sich das Protokoll ein bisschen zu oft in die so spannende wie lehrreiche Geschichte des Helden einmischt. Man muss sich erst einmal gewöhnen an die Erzählbrüche, die Braendles Konstruktion mit sich bringt. Aber keine Sorge – das gelingt zumindest dem literarisch erfahrenen Leser bald, und dafür wird er auch reichlich belohnt. Denn was hier erzählt wird, erreicht das Niveau der allerbesten Unterhaltungsliteratur und das der nachdenkenswertesten Essayistik zugleich. Es wird äußerst feinfühlig und scharfsinnig dargeboten, ist mit höchster sprachlicher Souveränität verdichtet – poetische Passagen fehlen nicht – und weist all die Eigenschaften auf, die auf die Werkstatt eines Könners schließen lassen. Weil das so ist, liest man oft atemlos immer weiter und wird bisweilen schwindelig vor einer solchen Fülle von Lebensstoff. Und vor dem Ernst und der Tiefe vieler philosophischer Reflexionen über Ethik und Moral, die das Protokoll

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