ТОП просматриваемых книг сайта:
Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer. Markus Maeder
Читать онлайн.Название Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer
Год выпуска 0
isbn 9783037635186
Автор произведения Markus Maeder
Жанр Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Издательство Bookwire
Die fünf Tatratrans-Fahrzeuge stellen endlich ihre Motoren ab. Markus stiftet noch mal einen Schokoriegel und holt ein zweites Bier aus dem Kühlschrank. Es fühlt sich sehr kalt an und weckt noch einmal die Lebensgeister. »Stell dir vor, im Service-Center am Highway im San Bernardo Valley in Kalifornien stehen tausendeinhundert Plätze bereit. Für Autos, von denen wir nur träumen können. Die Zugmaschinen sind fahrende Einfamilienhäuser. Diese langen Kabinen hinter den langen Motorhauben mit dem vielen Chromstahl und den Auspuffs, die wie die Kamine von Dampflokomotiven in den Himmel ragen, mit diesem Deckelchen drauf, das unermüdlich auf und ab hüpft, solange das Triebwerk läuft. Aber diese Einfamilienhäuser sind nur in Amerika möglich, weil dort nicht die Fahrzeuglänge, sondern nur die Länge des Aufliegers begrenzt ist. Das sollte auch bei uns erlaubt sein. Allein schon aus Sicherheitsgründen. Ein Meter Knautschzone vor dem Kopf reicht einfach nicht aus. Aber seit ich meinen Sohn Christoph im Silicon Valley besucht habe, will ich nicht mehr nach Amerika. Habe ich es nötig, mir die Fingerabdrücke nehmen zu lassen, meine Iris vermessen und Hunde an mir rumschnüffeln zu lassen, um das Land als Gast zu betreten?«
»Wenn du wählen könntest, wohin würdest du fahren?«
»Hier, im guten alten Europa, hinunter in die Toskana, oder ins Burgund und weiter zu den Châteaux von Bordeaux, um Wein nach Hause zu bringen. Am liebsten aus Spanien. Aus dem Rioja. Aber Transfood wird nicht erlauben, für Dritte zu fahren, solange der Auflieger nicht mir gehört. Wäre es mein eigener, ich hätte ihn schon lange litrieren lassen. Denn anders als alle anderen Flüssigkeiten, die nach Gewicht transportiert werden, reist Wein per Liter. Und dafür braucht es eine geeichte Skala im Tank. Ja, Weinfährtchen bleiben ein Traum. Aber auch von Fahrten in den Norden träume ich hie und da. Schweden wäre schön. Oder der ganz hohe Norden. Finnland. Diese endlos langen Strecken durch die Wälder, wenn die Sonne um Mitternacht schräg zwischen den Stämmen durchblitzt. Aber dieses Geschäft haben baltische Spediteure an sich gezogen. Zu konkurrenzlosen Preisen. Ja, Finnland bleibt mein Traum. Aus Nostalgie.«
Ich halte mein Bier, bis es warm wird, in der Hand. Markus sagt: »Vor vielen Jahren, ich war noch Schüler, verbrachte ich einen Sommer in einem Austauschprogramm auf einer Insel vor Helsinki. Es gab kein Wasser, keinen Strom, aber Batterien brachten ein Grammofon und einen Lautsprecher zum Lärmen. Es war gerade die Zeit, als die Beatles mit Michelle, ma Belle und I Wanna Hold Your Hand die Welt verzauberten. Nachts kam die Jugend des Camps in einer Lichtung am Strand zum Tanzen zusammen. Das heißt, die Mädchen kamen in Scharen. Die Boys waren zu faul, um Händchen zu halten, und die Mädchen nur allzu begierig, gehalten zu werden. So tanzten die Mädchen untereinander. Elfengleiche Geschöpfe von strohblond bis rabenschwarz. I wanna be your man. Alle sangen mit. Auch ich sang es jeder herzhaft entgegen: I wanna be your man. Nach Finnland möchte ich noch einmal, auf meine alten Tage. Finnland ist fast schon das Paradies. Auf einem siebenachsigen Sechzigtönner diesen zahllosen Seen entlang, wo die Elche mit ihren Geweihen am Straßenrand stehen, als wären sie ausgestopft und hätten schon immer genau so gestanden.«
Markus sagt nichts mehr. Ich schaue zu, wie seine Zigarette aufglimmt und wieder erlischt. Aufglimmt und erlischt. Als sie zu Ende ist, lassen wir die Sitze und die Lehnen nach vorne fahren, um etwas Raum vor den Kajütenpritschen zu schaffen, räumen unsere Reisetaschen und anderen Klimbim beiseite und breiten die Schlafsäcke aus. Einer steigt raus ins Freie, während der andere sich umzieht, und umgekehrt, nicht aus Scham, bewahre, sondern um uns nicht ins Gehege zu kommen. Die Kabine hat zwar Stehhöhe zwischen den Sitzen, aber für zwei bleibt nicht genügend Bewegungsfreiheit.
Als wir im Trainer dastehen, greift Markus nach dem Baseballschläger hinter dem Sitz und sagt: »Nur für den Fall. Die Tage im Auto sind lang, die Nächte kurz, der Schlaf tief, und wie die Straße zählt auch ein Parkplatz zur Risikozone.« Ich wiege den Schläger in der Hand und versuche mir vorzustellen, wie es sich anfühlt, wenn er einen Schädel zertrümmert. Markus sagt: »Ja, man muss schon aufpassen, dass niemand die Kabine mit Narkosegas füllt und einen ausplündert. Man hört immer wieder solche Geschichten. Am besten übernachtet man zu zweit oder zu dritt und passt aufeinander auf. So kann man auch an exponierten Plätzen mal vom Auto weggehen. Wo es irgendwie brenzelt, in schäbigen Quartieren, auf einsamen, unübersichtlichen Plätzen oder so, ziehe ich zwischen den inneren Türgriffen Spanngurten quer durch die Kabine. Die reißt einer nicht so leicht entzwei.«
»Da brauchst du den Baseballschläger gar nicht.«
»Schön wärs, zum Glück ist mir bis jetzt noch nie was passiert.«
Mir kommt es seltsam vor, einen Koloss von vierzig Tonnen Stahl mit einem Baseballschläger zu verteidigen. Markus ist um die Details bekümmert: »Musst ihn wieder passgenau in die Ecke legen, sonst verklemmt er die Kühlschranktür hinter dem Stehplatz.« Danach bilden wir ein Duett sanft schnarchender Baritone.
Hie und da klettert einer von uns über die Sitze, die Tritte runter und schifft ins Gras.
Dienstag
San Bernardino
Wenn wir gestern Abend schon in Lugano stecken geblieben sind, soll es heute wenigstens bis zum Bodensee reichen. Über den San Bernardino hinüber nach Graubünden, und von dort dem Rhein entlang bis ans Ziel. Wir haben Walo versprochen, auf ihn zu warten, bis heute Morgen um acht. Wir könnten also ausnahmsweise ausschlafen – bis um sechs Uhr früh die fünf Sattelschlepper von Tatratrans aus Ungarn, die neben uns auf dem Gelände übernachtet haben, die Motoren aufbrummen lassen. Eine ganze Stunde lang. Besser als schlafen ist umladen. Einer unserer drei Tanks muss leer gepumpt und mit einer anderen Sorte Sonnenblumenöl wieder voll gepumpt werden. Los. Was zögern wir noch.
Danach gehen wir in die Tankstellenbar zu einem Cappuccino. Dass die Latzhosenmänner, ohne es zu merken, noch einmal in der gestrigen »Gazzetta dello Sport« blättern, behaupte ich nicht aus voller Überzeugung, aber es sieht ganz danach aus. Vielleicht sind es ja auch andere Latzhosenmänner.
Walo trudelt pünktlicher ein, als er es sich wohl selbst zugetraut hätte. Wie frisch geduscht. Der Star des Morgens. Aber Markus ist schon wieder einen Schritt weiter: »Ich setze jetzt auf meiner Scheibe eine Stunde Arbeitszeit ein.«
»Hm?«, fragt Walo und schaut weiterhin gleichgültig dem Girl an der Bar hinterher.
Markus sagt mit seinem klaren, ehrlichen Blick: »Ja, ich bin schließlich dran, einen Tank voll Sonnenblumenöl abzuladen und wieder Sonnenblumenöl aufzuladen.«
»Hm?«
»Ja. Einen Teil von dem, was ich über den San Bernardino schleppe, lade ich gerade hier und jetzt in Lugano.«
Walo fragt: »Schummelst du ein bisschen?«
»Aber nein«, sagt Markus. »Ich kann ja nichts dafür, dass ich umladen darf.«
Plötzlich erhellt sich Walos Gesicht: »Das S. Weil du umlädst, darfst du mit einem S über den San Bernardino.«
»So ist das.«
»Das möchte ich auch.« Er denkt einen Augenblick nach. »Kann ich nicht meinen Auftrag neu formulieren?«
»Kannst du schon«, sagt Markus. »Gilt aber als Urkundenfälschung.«
»Was solls. Ich machs.« Walo geht fast im Stechschritt zum Auto, stellt sich einen neuen Lieferschein aus und manipuliert seine Scheibe, um den Modus Arbeitszeit einzustellen. Dann hängt er wie Markus ein Täfelchen mit einem gelben S auf rotem Quadrat ans Heck.
Die strategische, ja fast philosophische Bedeutung von Walos Modifikation sollte mir erst am Fuß des Bernardino klar werden. Die Welt ist eine Scheibe. Diese bestimmt ein Truckerleben auf die Minute genau. Wehe dem, der sich nicht daran hält. So klein oder so groß wie eine CD, lässt die Tachograf-Scheibe keinen Raum für ein Alibi. Jeder Tag beginnt