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denkt kurz nach: »Meinst du vielleicht Tortona?«

      Walo windet sich. Die Verwechslung ist ihm peinlich: »Dieser Hafen macht mich konfus.«

      Walo lädt ab

      Walo und ich setzen uns auf zwei rostige Poller am Quai, während Markus wieder mit Papieren von Schalter zu Schalter unterwegs ist. »Der Markus ist spitze«, sagt Walo unvermittelt ins Blaue des Wassers hinaus, »er hat das so richtig angenommen von uns, das, hm, Proletarische. Absolut solidarisch. Echt.« Walo sagt oft »echt«, obwohl er keinen Verdacht der Unechtheit erweckt. Aber wenn es um Markus geht, fühlt er sich zu Nachdruck verpflichtet: »Markus ist wie wir. Sogar noch mehr. Er ist einer von uns – und die Respektsperson, die kühl und unbestechlich zwischen den Parteien vermittelt. In seiner ruhigen Art holt er für uns immer wieder mal was heraus: beim Spediteur, beim Verband, bei der Polizei, beim Zoll. Einer wie er ist Gold wert für uns. Und wir – wir sind ja fast, das kann man schon sagen, Geächtete, Aussätzige, am Rand der Städte, wir stinken nach Pisse, nach Scheiße und Diesel, denkt mancher, ohne uns näher zu kennen. Wir haben herzuhalten als Sündenböcke für Staus, für die Verstopfung der Straßen, für den Klimawandel … Einfach für alles. Man hält uns für die Parias der Gesellschaft, die Aussätzigen, die an den Rand der Städte in Dauerquarantäne gehören. Einunddreißig Jahre auf dem Bock sind genug, jetzt höre ich auf, bevor ich nicht mehr sitzen kann.«

      Markus hat mich gewarnt, dass Walo stets vom Aufhören redet, obwohl er weiß, wie schwierig es ist, sich von einer so langen Gewohnheit zu trennen, auch wenn er sie als schlechte Gewohnheit, ja fast als chronische Krankheit bezeichnet. Irgendwie versteht er es, seinen Frust zur Freude an der bunten Vielfalt des wirklichen Lebens zu verdichten. Er sieht mir wohl an, dass ich seinen Ausbruch für einen Ausdruck von momentanem Verleider und sein Schimpfen und Klagen eher für ein Stilmittel der Unterhaltung halte.

      Walo sagt: »Die Politiker treten auf uns herum, wir werden schikaniert und zur Kasse gebeten, auf Gedeih und Verderb. Ich geb dir ein Beispiel. Mit Sensoren quer über die Straße messen sie deinen Achsdruck.«

      »Meinen waaas?«, frage ich.

      »Deinen Achsdruck. Jede Achse messen sie einzeln.« »Sie« erweist sich als gängiges Synonym für die Polizei oder die Polizisten. »Nach der nächsten Kurve stoppen sie dich. Ich war in Deutschland mit meiner Schweizer Nummer unterwegs. Sie dachten, den nehmen wir, der kommt nicht aus der EU. Die hintere Achse der Zugmaschine hatte 1,4 Tonnen zu viel. Das fällt bei vierzig Tonnen kaum ins Gewicht. Man verschätzt sich leicht, weil die Waagen an den Ladestellen nur das Gesamtgewicht wägen, nicht aber den Achsdruck. Sie knöpften mir zweitausendeinhundert Euro ab für mein Vergehen. Schwupps, waren ein paar Tage Einkommen weg. Direkt von der Kreditkarte. Das nur als Beispiel, keine drei Wochen ists her. Sollen wir wieder mal streiken? Es ist bewiesen. Die Welt hat ein Dieselherz. Diesel pumpt die Waren in den Wirtschaftskreislauf. Per Container von Kontinent zu Kontinent, auf der Straße, den Kapillaren des Systems, bis an die Rampen der Fabriken und weiter in die Gestelle der Supermärkte, in Hongkong, in Java, in Chile und Schanghai.«

      Die Reminiszenz an Melina Mercouris Lied passt in den Hafen, in dem wir stehen, und Walo freut sich, dass ich lache. »Ohne uns geht gar nichts«, sagt er, stell dir vor, ich fahre mit Frischmilch, Salat oder lebenden Tieren. Und stell dir vor, wir fahren alle zur gleichen Stunde nicht mehr. Bleiben einfach stehen, basta. Nach zwei bis drei Tagen Lieferstopp beginnt die Welt stillzustehen. Zugegeben, ob wir unbedingt Milch aus Neuseeland brauchen und ob wir deutsche Kartoffeln nach Süditalien karren müssen, um sie auf EU-Normgröße zu hobeln, ist eine andere Frage. Aber ändern können wir auf unseren Böcken das genauso wenig wie die Abhängigkeit der Milch von der Kuh und der Kuh vom Heu, das sie frisst. Die Milch wächst nun mal nicht im Supermarkt, das Benzin kommt nicht durch die Röhren der Wasserversorgung ins Haus. Jemand muss die Dinge holen und bringen. Den Kreislauf in Gang halten. Ist das so schwer zu begreifen? Die Tankstelle liegt nicht am Bahnhof. Der Bauernhof hat keinen Gleisanschluss.«

      Weiter hinten im Hafen hebt ein giraffenähnlicher Laufkran Stück für Stück Container wie Legoklötze aus einem Schiffsbauch und schichtet sie zu einer gigantischen Mauer auf. Walo hat das wohl schon tausendmal gesehen, er nimmt es kaum wahr. Er sagt: »Womit haben wir die Schikanen und die ganze schlechte Behandlung verdient, wofür verachtet man uns? Um die Welt zu versorgen, das hinterste Dorf, die letzte Fabrik am Ende der Welt, reißen wir uns täglich den Arsch auf der Straße auf. Warum? Nein, ich will keinen Dank, aber ich will meinen Lohn und einen gewissen Respekt. Das wäre nicht mehr als Anstand. Wir sind nicht der Dreck, für den man uns hält.«

      Ich habe Mühe, Walo zu verstehen, nicht weil er undeutlich spricht, sondern weil ein Abbruchbagger in der Nähe beim Rückwärtsmanövrieren unermüdlich schrill piepst und auch weil mir seine Truckerwelt noch zu wenig vertraut ist. »Die meisten von uns haben etwas gelernt. Markus sowieso. Aber auch ich zum Beispiel, ich bin Automechaniker und habe erst kurz vor dem Abitur die Schule geschmissen. Bin ich etwa nicht konversationsfähig? Sind wir etwa dumm, bloß weil man uns nicht denken sieht und reden hört, hoch oben hinter dem Blech der Kabine. Gut. Klar, dumm ist es schon, dreißig Jahre lang dranzubleiben, Autobahn auf und Autobahn ab durch Europa. Sag mir ein Land der EU, in dem ich nicht war. Und dann? ›Nach so langer Zeit können die nicht mal unsere Sprache‹, wirft man uns vor. Wie sollten wir auch. Das ist gar nicht möglich. Französisch, Italienisch, Polnisch, Finnisch, Rumänisch … Wie denn? Wer spricht denn so viele Sprachen? Nicht einmal Markus. Frag ihn mal etwas auf Serbokroatisch.«

      Ich schaue dem Abbruchbagger zu, der bei jedem Richtungswechsel aufheult und eine schwarze Dieselwolke ausstößt. Walo folgt seinen Gedanken weiter: »Wenn ich heute noch fahre, fahre ich einzig fürs Geld. Und das ist kaum mehr zu verdienen. Als ich anfing, war ich einundzwanzig und meine Freundin schwanger. Die Entscheidung, auf die Straße zu gehen, fiel rasch. Als Fahrer kriegte ich das Doppelte eines Mechanikers. Dann bin ich hängen geblieben, obwohl mir heute kaum mehr halb so viel bleibt wie damals. Doch was soll ich tun?«

      Während Walo spricht, geht mir immer die gleiche Frage durch den Kopf. Markus, Markus, warum tust du das? Warum tust du dir das an?

      Walo hat noch andere Zeiten erlebt. Er kommt fast ins Schwärmen: »Angefangen habe ich auf einem Scania. Die Kabine war eine enge Zelle ohne jeden Komfort. Rechts neben dem Sitz lag der Motor in einem Tunnel; der wurde so heiß, dass wir Spiegeleier brieten darauf. Die ›schwedische Folterkammer‹ hieß der Scania damals im Truckervolksmund. Die Achsen hatten sechzehn Blattfedern aus hartem schwedischem Stahl. Das Einzige, was federte, war die Luft in den Reifen. Wir saßen auf Scherensitzen. Wenn die Mechanik ausgeleiert war, schlug sie durch. Wir fielen ungedämpft auf den Asphalt – und fühlten uns wie rohe Eier im freien Fall. Humpty Dumpty, du weißt schon. Ja, so fing das an. Ich habs überlebt, mit einem Bandscheibenschaden.

      Die Scherensitze haben mich unters Messer gebracht. Als man mir sagte, was mich auf dem Schragen erwartete, wurde mir heiß und kalt und so schlecht wie noch nie. Das Rückgrat liegt hinter dem Bauch, eben im Rücken, aber damit ich wieder geradeauf sitzen konnte, musste der Chirurg den Bauch von vorne aufschlitzen, die Innereien beiseiteräumen und dann mit Säge und Skalpell die Nerven freilegen. Freilich pennte ich, als ich meine offene Bauchhöhle dem Werkzeug darbot. Die Operation dauerte fünf Stunden. Zwei Bandscheiben wurden miteinander verschraubt, damit sie nicht mehr aneinanderscheuern können. Als mir der Chirurg im Nachhinein erzählte, dass eine Schwester die Sehnen mit einer Pinzette festhalten musste, wurde mir grad noch einmal schlecht. Gewiss, es kam wieder gut, wie jedermann sieht. Bloß, nach wie viel Zeit. Anderthalb Jahre ging ich am Stock. Kururlaub, Physiotherapie, liegen, liegen, liegen. Oft dachte ich da: Weshalb haben sie mich nicht wie einen Sportwagen etwas tiefer gelegt. Am besten gleich einen Meter achtzig.«

      Markus, der unterdessen triumphierend mit den Papieren winkend vom Parcours durch die Schalter zurückgekommen ist, meint: »Du hättest mit dem Eingriff noch ein paar Jahre zuwarten sollen.«

      »Bei Schmerzen wie von einer glühenden Zange im Rücken?«

      »Du wurdest noch nach der alten Methode operiert. Heute, mit dem Endoskop, bräuchte es nicht mehr als drei schmale Schnittchen.

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