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      »Mittwochs gehen wir doch immer«, erwiderte Vivian. Sie wollte nicht einmal vor ihrer kleinen Tochter zugeben, dass sie hoffte, den Jungen und vor allem seinen Vater wiederzutreffen.

      »Glaubst du, der Bub kommt auch wieder?«

      »Ich weiß es nicht«, erwiderte Vivian etwas genervt. »Aber jetzt trinke endlich deinen Kakao aus, sonst komme ich zu spät in die Praxis.«

      »Hat der Papi von dem Buben nichts gesagt?«, bohrte Rosali unbeirrt weiter.

      »Sobald du deinen Becher leer getrunken hast, sage ich es dir. Das Brot kannst du im Wagen essen.«

      Das wirkte. Rosali trank den Becher aus und wischte sich brav ihren Schokoladenschnurrbart ab.

      »Kommen sie bestimmt?«

      »Das kann ich dir nicht versprechen«, erwiderte Vivian, die es fast genauso hoffte wie ihre Tochter. »Das hängt davon ab, ob der Papi von Stefan Zeit hat. Weißt du, er hat einen Beruf, in dem man oft auch am Abend arbeiten muss.« Sie zog Rosali ihre Jacke über und hängte ihr das Täschchen mit dem Pausenbrot um. »Beiß ab!«, ermahnte sie sie, und Rosali folgte, weil sie noch mehr hören wollte.

      »Findest du nicht, dass so ein Beruf unpraktisch ist?«, mampfte sie.

      Vivian lachte.

      »Jeder Beruf ist manchmal unpraktisch. Aber ohne Beruf ist es viel schlimmer. Hast du dich angeschnallt?«

      »Habe ich«, war die ungeduldige Antwort. »Mami, findest du den Buben auch nett?«

      »Sehr nett«, sagte Vivian und lächelte, weil in ihren Gedanken vor ihr das Gesicht seines Vaters erschien. »Hast du vergessen, er heißt Stefan.«

      »Und sein Papi?«, wollte Rosali wissen.

      »Ernst, Ernst Weidner. Seinem Vater gehört die Fahrschule gegenüber von dem Spielplatz.«

      »Das ist praktisch!«, fand Rosali. »Dann können wir hingehen und ihn abholen, wenn er noch nicht da ist!«

      »Warten wir es ab«, meinte Vivian und ermahnte sich selbst, vorsichtig und geduldig zu sein. Mit Kindern war alles komplizierter und schwieriger. Besonders, wenn beide Kinder offensichtlich ziemlich verwöhnt waren. Und daran gewöhnt, der Mittelpunkt für die Eltern zu sein. Zumindest bei Rosali traf das zu.

      *

      »Wie hat dir das kleine Mädchen gefallen?«, fragte Ernst seinen Sohn, als er ihn zum Kindergarten brachte.

      »Geht schon«, gab sich Stefan uninteressiert.

      »Möchtest du sie heute vielleicht wieder treffen, um mit ihr zu spielen?«

      Stefan saß hinter ihm im Wagen. Er sah, wie er mit den Schultern zuckte.

      »Vielleicht.«

      »Aber es ist doch lustiger, wenn ihr zu zweit spielt, als wenn kein anderes Kind da ist.«

      »Ein Bub wäre besser«, fand Stefan.

      »Tja, da kann man nichts machen«, erwiderte sein Vater und grinste. »Später wirst du deine Meinung diesbezüglich ändern!«

      »Das glaube ich nicht!«, erwiderte sein Sohn im Brustton der Überzeugung.

      Ernst lachte nur.

      »Also, bis fünf Uhr! Ich hole dich wieder ab!«,

      »Okay. Aber ich mag nur auf den Spielplatz mit der Rutsche!«, erinnerte ihn Stefan.

      »Klaro!«, sagte sein Vater und sah ihm nach, wie er über den Vorplatz lief und auf dem Weg bereits einige Freunde begrüßte. Er wartete, bis er ihm Haus verschwunden war.

      Hoffentlich kam der hübschen Mutter des kleinen hübschen Mädchens nicht etwas dazwischen. Sie schien keine Familie zu haben, die das Kind einmal übernehmen konnte. Ob sie darauf einging, wenn er anbot, dass seine Mutter auf beide Kinder aufpassen könnte, wenn sie einmal ins Kino gehen oder sonst etwas unternehmen wollten?

      Oder ob es seiner Mutter zu viel wurde? Sie klagte inzwischen manchmal, dass Stefan so anstrengend würde. Frech war er auch gelegentlich. Beim Opa getraute er sich nicht – aber von der Oma erwartete er, dass sie ihm aufs Wort folgte.

      Was überlegte er da! So ein Blödsinn! Er wusste ja nicht einmal, ob sie heute überhaupt kam! Vielleicht war ihr Exfreund bereits gestern Abend mit einem Riesenblumenstrauß angerückt und hatte sie um Verzeihung für was auch immer gebeten!

      Ah, da stand seine Fahrschülerin ja schon vor ihrem Haus und wartete. Wie sie sich wieder aufgeputzt hatte – als ginge sie auf eine Party und nicht zur Fahrstunde.

      »Guten Morgen!«, rief er und rutschte auf den Sitz des Fahrlehrers mit den zusätzlich angebrachten Brems-, Kupplungs- und Gaspedalen hinüber. »Hoffentlich haben Sie nicht alles seit der letzten Stunde vergessen!«

      »Nein!«, erwiderte sie eifrig und himmelte ihn an. »Ich habe mit meinem Vater geübt. Aber der ist nicht so geduldig wie Sie!«

      »Ich werde auch bald ungeduldig«, gab er zur Antwort. »Heute ist ihre neunundzwanzigste Stunde. Wahrscheinlich wird es Ihrem Vater zu teuer!«

      »Nein, nein, das ist es nicht«, sagte sie hastig. Sie war ein hübsches Mädchen von noch nicht einmal zwanzig. »Der Führerschein ist doch mein Geschenk zum Schulabschluss!«

      »Trotzdem! Also, jetzt konzentrieren Sie sich, und drehen Sie den Zündschlüssel – Fuß auf der Kupplung! Haben Sie darauf geachtet, ob der Gang heraußen ist?«

      Es knirschte im Getriebe. Ernst ächzte.

      »Nach der Prüfung duzen wir uns, nicht wahr?«

      »Mal sehen! Kupplung! Wenn Sie so weitermachen, kriegen Sie den Führerschein frühestens im nächsten Jahr! Herunterschalten – meine Güte!«

      Ernst fand wieder einmal, dass man für seinen Beruf sehr gute Nerven brauchte. Und dass es leider unmöglich war, nebenbei an etwas anderes zu denken. Zum Beispiel an diese hübsche Vivian Köhler.

      »Jetzt haben sie den Motor schon wieder abgewürgt«, seufzte er. »Also, noch mal von vorn!«

      *

      Renate Bucher hatte ein schlechtes Gewissen.

      Eigentlich gibt es keinen Grund dafür!, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Sie hat Arnold doch hinausgeworfen! Und wirklich geliebt hat er sie auch nicht, sonst wäre er nicht so schnell auf mein Flirten eingegangen! Er sagt auch immer, dass wir beide besser zueinanderpassen. Sie seufzte. Eigentlich war er nicht ohne. Nur geizig war er fürchterlich! Wahrscheinlich hing das mit seinem Beruf zusammen. Anfangs hatte er sie hin und wieder eingeladen, ins Kino oder zum Essen. Aber inzwischen behauptete er immer, es wäre viel gemütlicher bei ihr oder bei ihm zu Hause. Wenn sie zusammen kochten oder einen doofen Krimi im Fernsehen anschauten. Manchmal brachte er auch eine DVD mit, und sie schauten die an – anstelle von Blumen.

      Ja, Blumen: Ein einziges Mal hatte er ihr einen Strauß gebracht!

      Rasend verliebt schien er wirklich nicht in sie zu sein. Sie auch nicht in ihn. Aber im Moment gab es niemand anderen. Und dies schon seit sechs Monaten. Eine lange Zeit, fand Renate. Also blieb sie vorläufig bei ihm, bis jemand anderer auftauchte, der ihr mehr zusagte.

      Trotz dieser nüchternen Überlegungen hatte sie Vivian gegenüber ein schlechtes Gewissen. Vielleicht, wenn sie ihr sagte, dass sie Arnold, hm, übernommen hatte.

      Ja! So würde sie es machen. Sie würde so tun, als wäre die Beziehung noch rein platonisch, und sie fragen, ob sie wirklich nicht mehr an Arnold interessiert wäre. Dann würde sie selbst – vielleicht und so weiter …

      »Hallo, guten Morgen!«, rief Vivian fröhlich, als Renate fünf Minuten vor Sprechstundenbeginn die Praxis betrat. »Hat dich der Bettzipfel wieder nicht losgelassen?«

      »Morgen«, erwiderte Renate und zwang sich zu lächeln. Vivian war in letzter Zeit immer so aufgedreht. Hatte sie jemand anderen? »Ich bin zu Fuß gekommen und habe mich

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