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      Sie, Renate, wüsste es schon: ein Steuerberater! So jemand verdiente doch super! Sie würde den nicht so ohne Weiteres laufen lassen, nur, weil der verzogene Balg nicht mit ihm auskam! Außerdem sah er gut aus. Bestimmt wäre es von Vivian vernünftiger gewesen, wenn sie sich damals von seinem Vorgänger die Abtreibung hätte bezahlen lassen. Aber sie hatte ja so altmodische Ansichten.

      »Wir können heute Abend zusammen ins Kino gehen«, schlug sie freundschaftlich vor.

      »Das geht doch nicht! Ich kann Rosali doch nicht allein lassen!«,

      Was sollte man da sagen? Eigentlich war es erstaunlich, dass dieser Steuerberater es so lange mit ihr ausgehalten hatte.

      »Jetzt höre auf zu weinen. In ein paar Jahren ist Rosali alt genug, um allein in der Wohnung zu bleiben!« Und als Vivian weiterweinte, schloss sie etwas ungeduldig: »Tut mir leid, aber ich muss mit Sir John noch um die Ecke gehen, wenn er heute Abend allein in der Wohnung bleiben muss.«

      Sir John war ihr Dackel. Renate liebte ihn sehr, schließlich verdankte sie ihm schon viele nette Bekanntschaften mit tierlieben Herren. Sie behandelte ihn wirklich gut, und verglichen mit dem Tierheim war es das reinste Paradies, fand auch Sir John.

      »Grüß ihn von uns«, erwiderte Vivian traurig. »Vielleicht habt ihr beide einmal Lust, mit uns in den Tierpark zu gehen?«

      »Warum nicht«, war die vage Antwort. »Aber jetzt muss ich wirklich Schluss machen. Kopf hoch! Wir sehen uns morgen!« Und damit legte sie auf. »Uff!« Eigentlich hatte sie keine Lust, allein ins Kino zu gehen. Aber runter mit Sir John musste sie, er schaute sie schon so vorwurfsvoll an. Dackel konnten das fabelhaft!

      »Ja, ja, gleich!« Sie schleuderte gekonnt ihre Pantoffel von den Füßen und schlüpfte in ein Paar schicke Pumps. Man wusste ja nie, und hohe Absätze machten einfach mehr her.

      Da läutete es an der Wohnungstür.

      Sie machte die Tür auf und: »Ach«, sagte sie perplex, »ich habe gerade mit Vivian telefoniert! Komm doch herein.« Sir John musste warten.

      »Entschuldige, dass ich so hereinplatze«, begann Arnold Weisgruber, der sie natürlich kannte. Man war gelegentlich zu viert ausgegangen. Er küsste sie rechts und links auf die Wangen. »Hm, du riechst gut!«

      »Danke!«, gab sie kokett zur Antwort. Schließlich war er jetzt frei!

      Er schien es nicht weiter zu bemerken, denn er fuhr fort: »Ich hatte gerade einen fürchterlichen Auftritt mit Vivian. Es geht immer um ihre Tochter! Die ist für sie der Mittelpunkt der Welt! Und frech ist das Gör jetzt schon, mit gerade vier!«

      »Ich weiß«, erwiderte Renate sanft, »ich habe ihr schon oft gesagt, dass sie sich keinen Gefallen tut, wenn sie Rosali alles durchgehen lässt.« Geduldig hörte sie sich die ganze Geschichte noch einmal aus Arnolds Sicht an. »Ich wollte mit ihr ins Kino gehen. Zum Trost. Na ja, nun muss ich mir eben den ›Teufelsgeiger‹ allein ansehen!«

      Arnold beobachtete sie genauer, während sie von ihren vergeblichen, freundschaftlichen Trostversuchen berichtete.

      »In den Zoo will sie! Natürlich mit Rosali!«, erzählte Renate weiter. »Aber dazu habe ich wirklich keine Lust!« Sie sah ihn abwartend an.

      Attraktiv war sie eigentlich auch. Ein bisschen handfester, aber das war nur von Vorteil! Sie hatte die bessere Stellung, erinnerte Arnold sich, dass Vivian einmal erzählt hatte. Und vor allem: Sie hatte kein Kind!

      »Ja, der Zoo! Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir im Zoo waren!«, antwortete Arnold schnell. »Aber kannst du denn mit dem Hund ins Kino gehen?«

      Sie kicherte.

      »Mit Sir John nicht! Der würde mitsingen, wenn der David Garret loslegt! Aber ich kann ihn schon mal allein zu Hause lassen. Ich muss nur vorher kurz mit ihm in den kleinen Park gegenüber.«

      »Schön: Schauen wir uns den Teufelsgeiger an. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mitkomme, nachdem meine Pläne für den Abend ins Wasser gefallen sind? Wann fängt der Film denn an?«

      »Erst um acht! Wir können hier um die Ecke eine Kleinigkeit essen – da geht Sir John mit. Die kennen uns, und da fällt auch für ihn immer etwas ab.« Wie er schaut, der Geizkragen! »Ich habe nicht mit Besuch gerechnet, und zudem ist es dort billig!«

      »Du bist selbstverständlich mein Gast, wenn du schon so lieb bist, mich zu trösten!«

      »Warten wir ab, wie weit ich dazu bereit bin!«, gab sie wieder kokett zur Antwort.

      Auch Arnold lachte, sagte aber nichts darauf. Er hatte den befriedigenden Eindruck, dass Renate nicht so – kompliziert war wie Vivian. Auch wenn Vivian – ach, was! In seinem Alter wollte man sich amüsieren und nicht mit dem Kind eines fremden Mannes eine Familie gründen!

      *

      Ernst Weidner stand unter lauter Müttern und Großmüttern vor dem Kindergarten und wartete darauf, dass sein Sohn herauskam. Er war ein ansprechend aussehender Mann von Anfang dreißig, und so lächelten ihm nicht nur die Mütter, sondern vor allem die Großmütter wohlwollend zu: wie nett! So ein besorgter Vater!

      Und das war er ja wirklich. Auch, wenn er es sich damals vor gut viereinhalb Jahren nicht hätte träumen lassen.

      Er war Fahrlehrer im Geschäft seines Vaters, seit er vom Bund zurück war. Das Geschäft blühte, denn der damals Vierundzwanzigjährige sah wirklich sehr gut aus: groß, schlank, mit funkelnden braunen Augen, schwarzbraunem lockigem Haar, das er länger trug, seit er nicht mehr beim Bund war, einer energischen Nase und einem Grübchen im Kinn. Außerdem belohnte er die jungen Damen mit einem Kuss auf die Wange, wenn er merkte, dass sie nichts dagegen hätten. Zu mehr war er erst nach der Prüfung bereit – darauf hatte sein Vater energisch bestanden.

      Auf die Weise hatte er auch Irma kennengelernt, die spätere Mutter von Stefan. Doch die war nicht mit Küssen, Schmusen und Kinobesuchen und so weiter zufrieden, sie wollte heiraten! Ernst wollte nicht. Er fand sich mit sechsundzwanzig zu jung, und es gab so viele hübsche Mädchen, warum gleich an einer der ersten hängen bleiben?!

      Als sie schwanger wurde, sagte er ihr auf den Kopf zu, dass sie es darauf angelegt habe und bei ihm damit gar nichts erreiche. Sie glaubte es nicht, steckte sich hinter seine Eltern. Aber da war nichts zu machen. Der Mutter war sie ohnehin nicht ›gut genug‹ für ihren feschen Sohn. Sie war Verkäuferin und hatte keine Familie, jedenfalls keine, mit der sie Kontakt hatte. Man versicherte, die Alimente pünktlich zu bezahlen – aber nicht mehr.

      Dann passierte etwas, woran niemand gedacht hatte: Als die Wehen einsetzten, Irma war allein in ihrem Apartment, stürzte sie auf der Treppe, als sie sich hinunter zum Taxi schleppte. Sie starb im Krankenhaus bei der Geburt eines gesunden Buben, unter Hinterlassung der Adresse von Ernst, als dem Vater.

      Nie würde er den Moment vergessen, als er im Kreißsaal vor der armen, toten Irma stand und ihm die Hebamme das Baby in den Arm drückte.

      Okay, sagte er in Gedanken zu Irma und hoffte, dass sie es hörte, wo immer sie jetzt war, du hast es geschafft: Ich nehme ihn! Er kann ja nichts dafür!

      Seine Eltern waren nicht übermäßig begeistert – aber dass man ihnen nachsagte, sie hätten ihr Enkelkind nicht akzeptiert, das wollten sie auch nicht! Zudem waren alle überzeugt, dass Ernst in absehbarer Zeit eine fesche und tüchtige Person heiraten würde. Es gab ja genug Interessentinnen.

      Aber wie das so ist: Die jungen Frauen, die eventuell infrage gekommen wären, waren nicht an dem kleinen Stefan interessiert. Sie fanden, seine Großmutter könnte weiter für ihn sorgen, wie sie es von Anfang an getan hatte, wenn er beruflich verhindert war.

      Doch da hatten sie nicht mit Ernst gerechnet! Auch wenn er nicht bereit gewesen war, sich durch einen Trick fangen zu lassen – er war ein guter, ja, ein begeisterter Vater! Und je größer Stefan wurde, umso mehr unternahm er mit ihm. Wenn er ein Mädchen kennenlernte, das ihm etwas besser gefiel, dann unternahm er etwas mit ihr – und Stefan. Anfangs schob er den Kinderwagen durch den Park, und sie lief nebenher, später lud er sie ins Kasperltheater

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