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nächsten Halt steigt jemand hinzu und setzt sich auf der anderen Seite des Zuges ans Fenster. Ein großer, kräftig gebauter Mann mit Halbglatze. Sein Schnaufen verrät, dass er jederzeit an einem Herzinfarkt sterben könnte und nichts dagegen unternimmt. Ansonsten wirkt er sauber und gepflegt. Seine hohe Stirn deutet auf überdurchschnittliche Intelligenz hin, der Blick aus seinen grün-grauen Augen, mit dem er mich auszieht, auf libidinöse Veranlagung.

      Na toll.

      Er hat eine Aktentasche dabei, die er neben sich stellt, nachdem er ein dickes Buch daraus hervorgezogen hat. Nach einem zweiten, abschätzenden Blick auf mich beginnt er zu lesen.

      Ich betrachte mich in der Scheibe, die mich spiegelt. Was zum Teufel ist an mir im Moment so sexy? Ich trage ein kariertes Holzfällerhemd aus Omars Fundus, dazu die unsäglichen Jeans und Sportschuhe. Okay, mindestens zwei Knöpfe sind offen, möglicherweise kann er von der Seite meine linke Brust sehen. Aber dann muss er schon unglaublich gute Augen haben. Und nochmal okay, die Haare sind zwar zum Pferdeschwanz gebunden, aber das offene Gesicht ist halt nicht hässlich. Ich weiß es, wurde mir ja oft genug erzählt. Kann nicht beurteilen, ob das stimmt, bin voreingenommen. Mir gefällt eher der Typ, den Katharina repräsentiert, die vollen Lippen, die großen, blauen Augen, das Gesicht nicht so schmal. Okay, okay, ich mag meinen Mund, vor allem diesen leicht spöttischen Ausdruck, den ich häufig habe, wenn ich die Lippen leicht öffne und den linken Mundwinkel ansatzweise hochziehe. Manche nennen das süß, aber sie haben nur keine Ahnung, was ich dabei denke.

      Und das ist auch besser so. Meistens.

      Also gut, mein Gesicht und der Blick unter mein Hemd könnten den Kerl auf falsche Gedanken gebracht haben. Aber bis jetzt scheint das keine Konsequenzen zu haben, was mich echt froh macht.

      Zu früh gefreut.

      „Haben Sie es weit?“

      Ich sehe ihn an, er sieht mich an, mit dem Buch in der Hand, die ausgestreckten Beine an den Knöcheln gekreuzt.

      „Ungefähr bis zu meinem Ziel“, erwidere ich nach einer Weile.

      Er lacht. „Eine gute Antwort. Demnach ist es ein Geheimnis.“

      „Manchmal weiß man im Leben selbst nicht so genau, wo man aussteigt.“

      „Das ist wohl wahr. Ich gedenke, noch lange im Zug des Lebens mitzufahren. In meinem Job verdient man gut und kommt viel herum.“

      Ich tue ihm den Gefallen: „Was haben Sie denn für einen Job?“

      „Ich prüfe, ob sich alle schön an die Vorschriften für Abrechnungen halten. Ich glaube übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Hyaki Jomuo.“

      Oh mein Gott! Das heißt, oh mein Drol! Ein Betriebsprüfer!

      „Und das macht Spaß?“

      „Ich glaube, für ein junges Mädchen wie Sie wäre das eher nichts, aber ich liebe die Zahlen. Und man lernt viele Leute kennen.“

      Die du ungestraft vollquatschen darfst. Idiot.

      „Haben die nicht alle Angst vor Ihnen?“

      „Oh, so schrecklich bin ich ja nun nicht. Wer sich an die Vorschriften hält, hat nichts zu befürchten.“

      Doppelt Idiot.

      „Na ja, aber macht nicht jeder mal etwas anders, als es die Vorschriften verlangen?“

      „Na, bei Kleinigkeiten, die niemandem schaden, bin ich nicht so pingelig. Bin ja kein Unmensch!“

      Und wenn es um eine attraktive Blondine geht, dann sowieso nicht. Und wenn diejenige sich von dir ficken lässt, dann bist du auch bei größeren Sachen nicht pingelig, nicht wahr? Arschloch.

      „Jeder geht mal bei Rot über die Straße.“

      „Bitte? Wie meinen Sie das?“

      Ich muss kurz überlegen, was für ein Problem er schon wieder hat, dann wird mir klar, dass er vermutlich weder rote Ampeln noch Straßen kennt. Ich beiße mir auf die Unterlippe.

      „Keine Ahnung, ist so ein Spruch, habe ich mal in einem Buch gelesen.“

      „Ach so. Versteht man wahrscheinlich nur, wenn man das Buch kennt. Klingt aber nach einem guten Spruch!“ Er lacht.

      Und dann, zu meinem Entsetzen, nimmt er sein Buch und seine Tasche und setzt sich mir gegenüber.

      Spinnst du? Hilfe!

      „Dann brauche ich nicht so zu schreien“, sagt er lächelnd.

      Dann halt doch den Mund! Außerdem habe ich gute Ohren!

      „Sie haben eine etwas ungewöhnliche Art, sich zu kleiden“, fährt er fort. „Aber es hat was.“ Dabei starrt er die offenen Knöpfe von meinem Hemd an.

      „Ich war spät dran und hatte es eilig, habe wohl Sachen von meinem Mann erwischt“, sage ich mit dem süßesten Lächeln, dessen ich im Moment fähig bin. Für einige Sekunden gebe ich mich der Fantasie hin, ihn von hinten mit einem Dildo zu ficken. Aber wenn er bi sein sollte, genießt er das am Ende auch noch.

      „Dann scheint es so, dass Sie immer gut aussehen, egal, was Sie anziehen.“

      Oh mein Drol! Hilf mir! Das wird ja immer plumper! Meine mehrjährige Erfahrung von damals hat mich gelehrt, dass der Sex proportional schlecht zu den Sprüchen eines Mannes ist. Der Kerl hier muss der schlechteste Ficker dieses Universums sein.

      „Ähm … Danke. Ich nehme an, Ihre Frau freut sich auch über den gut bezahlten Job?“

      Er lacht schon wieder. Muss ich ihm die Nase brechen, damit er das sein lässt?

      „Oh, ich war nie verheiratet. Das wollte ich mir nie antun.“

      Wenigstens ist er ehrlich. Außerdem ist es gut, dass er das keiner Frau angetan hat.

      „Ich verstehe. Sie lieben die Jagd.“

      „Genau. Das ist viel spannender. Erspähen, anschleichen, fangen und genießen.“

      Genau so siehst du aus, Arschloch. Ich meine, ich war auch kein Kind von Traurigkeit und will lieber gar nicht erst anfangen zu zählen, wie oft ich in meinem Leben Sex hatte. Aber viel zu oft eben auch schlechten, wegen Leuten wie dir. Es gab bisher nur zwei Männer, mit denen der Sex wirklich gut war: James und Askan. Und einige Frauen. Eigentlich mit allen Frauen, wenn auch unterschiedlich. Anne Marie mit ihrer scheuen Art, Katharina, wie sie auf mich eingeht. Und Sarah ist ein Tier.

      „Und was genießen dabei die Frauen?“, erkundige ich mich.

      „Bei mir alles!“

      „Oh, sagen sie das?“

      „Das brauchen die nicht, so was sehe ich.“

      Oh mein Drol, der Kerl bestätigt ja wirklich alle Klischees und Vorurteile!

      „Jetzt bin ich ja neugierig. Woran sehen Sie das?“

      Er mustert mich kurz, dann erwidert er: „Das lässt sich nicht so gut erklären. Zeigen geht besser.“

      „Ach ja.“ Ich werfe einen Blick auf die Infotafel und sehe, dass der nächste Bahnhof fast schon in Sichtweite ist. „Sorry, aber ich muss jetzt raus. War nett, mit Ihnen zu plaudern.“

      „Ernsthaft? Das glaube ich Ihnen nicht. Sie steigen doch nur wegen mir schon aus. Ich denke, Sie haben einfach nur Angst, mal etwas richtig Geiles zu erleben.“

      Mir fällt fast die Kinnlade herunter. Ich starre ihn kurz an, dann nehme ich meine Tasche und erhebe mich. Erst dann antworte ich: „Ich glaube, ich hatte mehr geilen Sex in meinem Leben, als du gepupst hast. Und so, wie du aussiehst, pupst du ständig. Eine schöne Reise noch.“

      Endlich ist er mal sprachlos. Ich gehe zur Tür und atme tief durch. Keine Ahnung, warum mich solche Typen regelmäßig aufregen. Diesmal war ich ja noch sehr zurückhaltend, weil ich eigentlich nicht auffallen wollte. Aber auch ich habe meine Grenzen.

      Irgendwie

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