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den Charakter vieler Frauen veränderte. Er ertrug ihre aggressiven Launen und hoffte darauf, daß, wenn das Kind erst da wäre, sie entspannt, sanft und glücklich sein würde.

      Er jedenfalls konnte es kaum erwarten, endlich ein Kind zu haben.

      »Einen Erben…«, sagte Roswitha. Doch er wollte nicht nur einen Erben, er wollte Kinder.

      Der Arzt hatte ihn vorgewarnt. Die junge Gräfin war sehr schmal gebaut, die Geburt würde nicht leicht werden. Trotzdem wollte Roswitha den ›Erben‹ auf Schloß Sternheim zur Welt bringen. Sie legte sich nicht zwischen irgendwelche gewöhnlichen Weiber in den Kreißsaal eines Krankenhauses.

      Sternheim gab ihr in allem nach und richtete ein Zimmer im Schloß nach Angaben des Arztes ein. Nichts war ihm zu teuer. Und wenn Roswitha erst einmal sah, wie lieb so kleine Kinder waren, würde sie bestimmt auch ihre Meinung ändern und bereit sein, noch ein oder zwei Babys zu bekommen.

      Jetzt nahm ihn der Arzt besorgt zur Seite.

      »Es war keine gute Idee der Gräfin, zu Hause entbinden zu wollen. Es sieht nach Komplikationen aus. In der Klinik wäre man besser darauf eingestellt.«

      Robert Sternheim sah ihn erschrocken an.

      »Das Kind?«

      »Nein, nein, keine Lebensgefahr, aber es könnte sein, daß es bei der Gräfin zu inneren Verletzungen kommt, die…«, er räusperte sich, »… unangenehme Folgen haben könnten.«

      Roswitha hatte die letzten Worte mitbekommen.

      »Was für Folgen?« herrschte sie den Arzt an.

      »Daß Sie keine weiteren Kinder mehr haben können«, gab er ihr, verärgert über ihren Ton, der jetzt nicht mehr mit Schmerzen zu entschuldigen war, da die Anästhesie bereits wirkte, zur Antwort.

      Sie lachte nur auf.

      »Das ist schon in Ordnung. Nochmals mache ich das nicht durch.«

      »Roswitha – wenn ich einen Krankenwagen bestelle –«

      »Kommt nicht in Frage!« fuhr sie ihren Mann an. »Dann kriege ich das Baby womöglich mit Hilfe von ein paar unfähigen Sanitätern.«

      »Da ist keine Gefahr. Durch die Anästhesie verzögert sich die Geburt«, erklärte der Arzt. »Außerdem würden die Hebamme und ich selbstverständlich mitfahren.«

      »Nein«, sagte Roswitha. Und als alle betreten schwiegen, richtete sie sich halb auf und schrie wütend: »Nein, habe ich gesagt!« Dann ließ sie sich zurückfallen und begann, hysterisch zu weinen.

      »Schon gut, Liebling«, sagte Robert Sternheim unglücklich. »Wir machen alles so, wie du es willst.«

      Wieder wechselten der Arzt und die Hebamme einen Blick: Was hatte diesen ruhigen, sympathischen Mann dazu gebracht, diese Frau zu heiraten? Wenn man an die erste Gräfin dachte…

      Am Abend kam das Baby. Es war ein Mädchen.

      Graf Robert hielt es im Arm. In seinen Augen standen Freudentränen. So ein wunderhübsches, kleines Wesen. Der Arzt nahm ihn zur Seite.

      »Ich muß Sie leider darauf aufmerksam machen, Graf: Das linke Bein des Kindes – es ist etwas kürzer. Doch vielleicht verwächst es sich noch.«

      »Sie ist bezaubernd, und ich liebe sie«, war die Antwort des glücklichen Vaters. »Und bestimmt gibt es eine Möglichkeit, dies zu beheben. Und wenn nicht – es ist ja wirklich nur sehr geringfügig. Sehen Sie doch nur, Herr Doktor, was für wunderschöne, große Augen und lange Wimpern sie hat!«

      Der Arzt war gerührt, und sein Mitleid mit dem Grafen wuchs.

      Dieser wandte sich nun seiner Frau zu, die mit steinernem Gesicht dalag.

      »Liebes, willst du nicht deine kleine Tochter sehen?«

      Sie schloß für einen Moment die Augen, bevor sie mit leiser Stimme zu sprechen begann, immer lauter wurde und schließlich in einem haßerfüllten Kreischen endete, so daß ihre Stimme sich überschlug und der Graf unwillkürlich entsetzt einen Schritt zurücktrat.

      »Ich will es nicht sehen! Ein Mädchen! Kein Erbe für den Namen und Besitz! Und dazu – ein Krüppel! Ein häßlicher Krüppel! Weg! Mir ekelt vor ihr! Weg!«

      »Tut mir leid, Frau Gräfin«, die Hebamme war empört und dachte nicht daran, nachzugeben, »wir müssen das Kleine anlegen, damit die Milch bei Ihnen einschießt.«

      Roswitha lachte höhnisch auf.

      »Das können Sie sich sparen. Ich denke nicht daran, diesen Wechselbalg zu stillen. Weg, sage ich!«

      Hilfesuchend sah der Graf den Arzt an. Der hob die Schultern. Um den Vater zu trösten, sagte er schließlich:

      »Bis auf diesen kleinen, bedauerlichen Fehler ist es ein besonders hübsches Kind. Vielleicht, nachdem die Wöchnerinnendepression sich gelegt hat…«

      »Ich habe keine Depressionen – ich will dieses verkrüppelte Kind nur nicht stillen!« schrie Roswitha.

      »Was soll man tun?« fragte Sternheim verzweifelt.

      »Ich kenne eine ausgezeichnete Kinderschwester, die wird sich um die Kleine kümmern. Heute kann man Gott sei Dank Kinder auch ohne Muttermilch aufziehen. In diesem Fall ist es bestimmt besser«, erklärte der Arzt und warf einen Blick voller Abneigung zur Gräfin hin.

      Sternheim nickte bekümmert. Vielleicht würde ja noch alles gut werden…

      *

      Doch es wurde nicht gut.

      Wie der Arzt befürchtet hatte, waren durch die Geburt bei Gräfin Roswitha innere Verletzungen aufgetreten, die eine weitere Schwangerschaft unmöglich machten. Der Graf versuchte sie zu beruhigen, doch sie war voller Vorwürfe gegen ihn und das kleine Mädchen. Sie beide wären schuld daran! Niemand konnte sie vom Gegenteil überzeugen. Ihrem Mann gegenüber nahm sie sich noch zusammen, schließlich hatte er das Geld. Um sie freundlicher zu stimmen, überschüttete er sie mit Geschenken und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Doch ihre Dankbarkeit und Freude über seine Großzügigkeit hielt nie lange an.

      Das kleine Mädchen jedoch durfte ihr nicht einmal unter die Augen kommen. Sie haßte es und fand es widerlich und abstoßend. Oft sah sie es wochenlang überhaupt nicht. Die kleine Angelina, wie ihr Vater sie voller Zärtlichkeit genannt hatte, wuchs bei Kinderfrauen auf.

      Sosehr Robert sein einziges Kind auch liebte, er wagte kaum, es zu zeigen. Nur, wenn er mit ihr allein war, küßte und streichelte er das kleine Mädchen und erzählte ihm Geschichten. Angelina betete ihren schwachen Vater an – und fürchtete ihre Mutter, wie die schönen Prinzessinnen im Märchen ihre Stiefmütter fürchteten. Im Innersten war sie fest davon überzeugt, daß Roswitha nicht ihre leibliche Mutter war!

      Als sie sechs wurde, erklärte die Gräfin, nicht länger den Anblick des behinderten Kindes ertragen zu können.

      »Wenn ich schon ihren unregelmäßigen Schritt höre, möchte ich wahnsinnig werden«, behauptete sie und bestand darauf, daß Angelina in eine Klosterschule kam.

      Graf Robert gab nach, wie er um des lieben Friedens willen immer nachgab. Er selbst brachte Angelina zu den Schwestern. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn sie hier unter Kindern aufwuchs, tröstete er sich und sie. Die Schwestern waren unvoreingenommen, während zu Hause das Personal, um sich mit der Herrin gut zu stellen, auf der armen Angelina herumhackte und ihr immer wieder zu verstehen gab, daß sie nicht nur ein Krüppel, sondern auch bloß ein Mädchen sei – kein Erbe für den armen Grafen und die arme Gräfin.

      Kein Wunder, daß der Kleinen von Anfang an Minderwertigkeitskomplexe eingeimpft wurden.

      Dabei war Angelina, bis auf ihr kleines Gebrechen, ein wunderschönes Kind. Sie sah aus wie Schneewittchen mit einer zarten weißen Haut, schwarzen üppigen Locken und großen veilchenblauen Augen, umrahmt von dichten, langen dunklen Wimpern. Ihr feines Gesichtchen war etwas schmal für ein Kind ihres Alters. Und sie war ernst und schüchtern.

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