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ihr und uneingeschränkte Chefin des Sekretariats, nahm die Sache ganz gelassen. »Lasst uns froh sein, dass wir in diesen Zeiten einen krisensicheren Job haben«, war ihr einziger Kommentar gewesen. Ganz falsch lag sie damit nicht.

      Filippos würde mehr Verantwortung übernehmen müssen, nicht nur die Aufgaben von Takis, auch was sie selbst betraf, sollte er in naher Zukunft eine neue Position ausfüllen. Und das bald, damit sie sich etwas mehr Zeit freischaufeln konnte. Da kamen die Zeichen von ihrem Liebsten gerade recht. Zu lange hatte sie sich in sicherem Fahrwasser gewähnt, erste Signale verdrängt, jetzt war sie in Alarmbereitschaft. Erst vor ein paar Tagen hatte sie Dawid vorsichtig gefragt, was mit ihm los sei, und ängstlich auf eine Antwort gewartet. Er hatte sie zunächst nur angesehen, so als käme diese Frage völlig überraschend für ihn. »Du fragst mich, was mit mir los ist?«, hatte er schließlich geantwortet und der vorwurfsvolle Unterton in seiner Stimme traf sie tief in ihrem Innersten. Hilflos war sie seinem Blick ausgewichen, die Traurigkeit in seiner Stimme hatte sie angesprungen wie ein lauerndes Tier. »Ich habe das Gefühl, die meiste Zeit in unserem Leben auf dich zu warten«, hatte er noch hinzugefügt, war aufgestanden und in seine Werkstatt gefahren. Lange hatte sie darüber nachgedacht und ihr war klar geworden, dass sie ihr Leben dringend ändern musste, wollte sie diesen wunderbaren Menschen nicht auch noch verlieren. Bereits ihre erste Ehe war maßgeblich daran zerbrochen, dass sie mehr mit ihrem Beruf als mit ihrem Mann verheiratet gewesen war.

      Schon länger wartete sie auf eine geeignete Situation, um mit Filippos seine zukünftigen Aufgaben zu besprechen. Im Moment war er zu sehr mit der Einrichtung seines neuen Hauses beschäftigt. Außerdem stand ein großes Fest bevor, bei dem auch die Kommissarin nicht ganz unbeteiligt sein würde. Dimitris, der erste Sohn von Filippos und seiner Frau Irini, war nun gut ein Jahr alt und die Vorbereitungen für seine Taufe liefen auf Hochtouren. Der junge Vater konnte es kaum erwarten. Katharina, als die ehemalige »Koumpára« »Trauzeugin« der beiden, sowie Sewastos, der zweite Trauzeuge des jungen Paares, würden die Patenschaft übernehmen. Sie hatten sich schon mehrfach getroffen, um alle Details zu besprechen. Den Namen des Kindes hatte Filippos ihnen erst neulich verraten, für die beiden Trauzeugen war es aber keine sonderliche Überraschung gewesen. Gemäß der griechischen Tradition erfolgte die Namensgebung nach den Großeltern des Kindes, in diesem Falle nach Filippos Vater. Dimitris sollte es heißen. Viel mehr hatte Katharina gewundert, dass die jungen Eltern fast ein ganzes Jahr nur von ihrem »Baby« gesprochen hatten, ohne einen Namen zu benennen. Ein Brauch, wie er früher in Griechenland üblich war, und wie sie nun erkennen musste, immer noch angewandt wurde. Das »Baby« würde offiziell erst bei der Taufe seinen Namen erhalten.

      Katharina schälte sich aus dem Bett und schloss das Fenster, in der Ferne hörte sie das anhaltende Bellen eines Hundes. Mit verschlafenen Augen stieg sie die Treppe zu ihrer Küche hinunter, Dawid hatte den Frühstückstisch gedeckt. Schade, dass sie den Start in den Tag nicht gemeinsam genießen konnten. Aber ab jetzt würden sich wieder mehr Gelegenheiten dazu ergeben, zumindest an den Wochenenden der stillen Jahreszeit.

      Karl, ihr Kater, strich ihr unentwegt um die Beine und forderte ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit, fast wäre sie über ihn gestolpert. Mittlerweile hatte er sich an das raue Katzenleben auf Paros gewöhnt, nach dem Umzug aus Athen hatte der verwöhnte Stadtkater einiges einstecken müssen. Jetzt aber, belohnte er ihr Streicheln mit einem vergnügten Schnurren.

      Katharina öffnete die Tür zu ihrer Terrasse und warf einen Blick nach draußen. Der Wind hatte loses Blattwerk zuhauf in die Ecken getrieben, sie konnte das Durcheinander kaum ertragen. Das plätschernde Geräusch des Bewässerungssystems drang an ihre Ohren, zu ihrem Glück wurde es von Dawid schon vor Jahren installiert, ansonsten würde sie jetzt in eine vertrocknete Einöde blicken. Was den Garten betraf hatten sie eine klare Absprache getroffen, er kümmerte sich um die Technik, die Pflege der Pflanzen oblag ganz den Händen Katharinas. Gut, dass wenigstens Dawid seinen Job anständig erledigt hatte.

      Sie brauchte jetzt dringend einen starken Kaffee, einen Ellinikó-varí-kafé, um in Schwung zu kommen. Genüsslich löffelte sie sich Kaffeemehl und etwas Zucker in ihr antikes Briki. Das Erbstück, von ihrer längst verstorbenen Großmutter, zog sie jedem modernen Kaffeeautomaten vor.

      Draußen war es mittlerweile hell geworden, sie zog sich an und suchte nach ihren Gartenhandschuhen, als sie hörte wie sich Schritte ihrer Haustür näherten.

      JULIA MORETTI

      HAMBURG, DEUTSCHLAND, SEPTEMBER 2016

      Julia Moretti hatte sich genervt in ihr Büro zurückgezogen. Sie wollte einen Moment alleine sein, um sich wieder zu beruhigen und die weitere Vorgehensweise zu überdenken. Obwohl sie und ihr Team unter enormen Zeitdruck standen, konnten sie sich nicht auf eine gemeinsame Headline einigen, aber so langsam lief ihnen die Zeit davon. Seit mehreren Stunden diskutierten sie nun schon über die beiden finalen Vorschläge, aber die Fronten waren verhärtet und kein Verfechter des jeweiligen Favoritentitels war bereit einzulenken. Sie goss sich ein Glas Wasser ein und holte tief Luft. Der Artikel musste heute noch raus. Sie würde wohl ein Machtwort sprechen müssen. Ihr Team in der Redaktion des Hamburger Verlags bestand aus drei Redakteurinnen und einem Redakteur, von Anfang an hatten sich zwei Parteien gebildet, mittlerweile ging es nicht mehr um den Titel, es ging nur noch ums Prinzip. Sie persönlich hatte sich bereits für eine Schlagzeile entschieden, die würde sie jetzt durchsetzen. Seit mehreren Wochen war sie schon mit der Reportage beschäftigt, eine Bestandsaufnahme über Frauen in Führungspositionen in Italien, und sie selbst hatte da viel Energie reingesteckt. Daher durfte die ganze Arbeit nicht durch eine schwache Überschrift geschmälert werden. Ihr Entschluss stand fest, der Vorschlag des reinen Frauenteams war besser für den Artikel geeignet, von Anfang an hatte sie dieser Titel neugierig gemacht. Der zweite Entwurf würde heute das Nachsehen haben.

      Julia Moretti war so schnell nicht aus der Ruhe zu bringen und sie bemühte sich, stets wichtige Entscheidungen gemeinsam zu erlangen. Heute waren alle Vermittlungsversuche gescheitert. Jetzt war ihr Durchsetzungsvermögen als Chefredakteurin gefordert. Die Chefin spielte sie recht selten und sie tat es ungern. Es widersprach ihrem Führungsstil und ihrer inneren Überzeugung, aber manchmal kam sie um derartige Maßnahmen nicht herum. Früher hatte sie in Situationen, die einer dringenden Entscheidung bedurften, einfach ihren Vater angerufen, der hatte immer einen Ratschlag für sie bereitgehalten. Für Personen, die Julia nicht kannten, wirkte sie auf den ersten Blick geheimnisvoll, unnahbar und auch ein wenig scheu. Ihr graziles Äußeres, ihr dunkler Teint und die glatten, schwarzen Haare verliehen ihr etwas Zerbrechliches. Doch wer sich auf diesen ersten Eindruck verließ, wurde eines Besseren belehrt. In Julia Moretti schlummerte viel Temperament, welches sie von ihrem Vater geerbt hatte, einem stolzen Italiener aus Neapel, der leider viel zu früh verstorben war. Von ihm hatte sie auch eine gehörige Portion Hartnäckigkeit mitbekommen, die sie in vielen Lebenssituationen geschickt zu nutzen wusste. Mit ihren 31 Jahren blickte sie auf eine beachtliche berufliche Laufbahn zurück. Die Position der Chefredakteurin hatte sie sich hart erkämpft. Selbst zwei große Entlassungswellen, ausgelöst durch die nicht aufzuhaltende Digitalisierung in ihrer Branche, hatte Julia souverän überstanden. Jetzt war sie da, wo sie immer hinwollte.

      Erschrocken schaute sie auf die Uhr, trank mit einem Schluck den Rest des Wassers aus und ging entschlossen zurück in den Besprechungsraum. Als sie den Meetingraum betrat schaute sie in acht erwartungsvolle Augen. Jeder wusste, dass jetzt eine Entscheidung fällig war und hoffte, zu den Gewinnern zu gehören. Ohne lange zu fackeln, präsentierte sie ihren Siegertitel, eine erneut aufkommende Diskussion erstickte sie im Keim, indem sie ihren Entschluss sorgfältig begründete. Sie verabschiedete ihre Mannschaft in den Feierabend und suchte nochmals ihr Büro auf. Es war schon nach acht, hätte sie früher eingelenkt, wäre sie längst zuhause gewesen und hätte endlich mit dem Ausräumen der letzten Umzugskartons weitermachen können. Julia Moretti war erst vor drei Wochen umgezogen, in ihrer neuen schicken Altbauwohnung im Stadtteil Winterhude sah es seitdem chaotisch aus und sie befürchtete, dass dieser Zustand noch ein paar weitere Wochen andauern sollte. In der letzten Zeit war sie für ihre aktuelle Reportage viel unterwegs gewesen, darunter mehrere Tage in Italien, und sie würde lügen, wenn sie sagen würde, dass es ihr nicht gefallen hätte. Der Umzug war dabei auf der Strecke

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