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hatten viel gemein. Ihr leichter Hang zur Melancholie und die Verbundenheit zum Meer hatte Maria als Grund für das innige Verhältnis der beiden ausgemacht. Christos hätte gerne mehr Kinder gehabt, aber Maria war nach einer Fehlgeburt zwei Jahre nach Stellas Geburt nicht mehr in der Lage gewesen, weitere Kinder zu bekommen.

      Er genoss die anbrechende Dunkelheit und zündete sich im Schutz seiner Jacke eine Zigarette an, nur das monotone Schlagen eines Fischers drang an sein Ohr. Schon seit geraumer Zeit schlug dieser einen Oktopus auf einen großen Stein, um das zum größten Teil aus Eiweiß bestehende Gewebe des Tieres aufzubrechen. Nur so war sichergestellt, dass er nach der Zubereitung zu einem butterzarten Erlebnis wurde und nicht wie ein zähes Stück Leder daherkam. Ein immer wieder gerne fotografiertes Ritual, das Touristen aus aller Herren Länder mit ihren Kameras festhielten. Auch Christos ging häufig auf die Jagd nach den beliebten Meeresbewohnern, bekleidet mit einem dicken Neoprenanzug und einer Harpune fuhr er mit seiner Stella zu ein paar Fangplätzen raus, die ihm fast immer eine gute Beute bescherten. Christos liebte Oktopus, besonders als Stifado zubereitet – ein Gericht, das er in der Sommerzeit auch seinen Gästen anbot.

      Er schaute auf die Uhr, es wurde Zeit nach Náoussa aufzubrechen und in seinem Laden nach dem Rechten zu sehen. Nun, da die Touristenströme abebbten, konnten sie den Laden früher schließen und es musste längst nicht mehr so viel Ware angeliefert werden wie in den vergangenen Wochen. Der Laden der Kentaris hatte es in einige Reiseführer geschafft und es kam häufig vor, dass Segel Crews bei ihm vorbeischauten, um ihren Bordbestand an frischem Obst und Gemüse aufzufüllen. Er hoffte, dass die Leute auch in Zukunft vorbeikommen würden, da erst im letzten Jahr zwei neue, moderne Supermärkte an der Ortsumgehung mit viel Tam Tam eröffnet worden waren.

      Christos überlegte schon seit geraumer Zeit, wie er sich dieser Entwicklung stellen konnte, eine zufriedenstellende Lösung war ihm bislang noch nicht eingefallen. Solche Gedanken hätte er sich noch vor einigen Jahren nicht gemacht, mittlerweile nahmen sie einen großen Teil seines Tages ein. Häufig lag er nächtelang wach und grübelte darüber nach, wie sehr sich die Welt verändert hatte. Zum Glück hatte er sich auf Kapern spezialisiert, eine Investition, die sich schon länger auszahlte. Sie waren sein wichtigstes Produkt, das viele Touristen in seinen Laden trieb. Stella hatte bei ihrem letzten Besuch eine gute Idee gehabt, die ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging.

      »Deine Gäste wollen mehr, sie wollen nicht nur ein Glas Kapern aus Paros mit nach Hause nehmen«, hatte sie begonnen, nachdem sie ihm mühsam seine Sorgen aus der Nase gezogen hatte. »Sie wollen wissen, woher die Kapern kommen, wie sie angebaut werden und vor allem, wie man sie zubereitet«.

      »Du meinst, wir sollten ihnen unseren Garten zeigen?«

      »Warum nicht? Eine kleine Führung mit all deinem Fachwissen zu der für die meisten Nordeuropäer exotischen Pflanze.«

      Christos hatte sie eine Weile ungläubig angestarrt. Fremde Menschen in seinem Heiligtum! Da brauchte es Zeit und Muße, darüber nachzudenken.

      »Und ich veranstalte einen kleinen Kochkurs.« Maria war sofort Feuer und Flamme gewesen, nachdem sie das Gespräch der beiden mit verfolgt hatte. Auch sie konnte sich durchaus mehr Werbung für ihren Gemüseladen vorstellen.

      »Genau, das spricht sich rum und ihr seid dann nicht nur irgendwelche Pensionsbesitzer in Ambelás. Nein, ihr bringt den Urlaubern ein Stück unserer Heimat näher!«

      Christos hatte abgewunken: »Nun mal langsam, unsere Gäste haben sich bisher auch ohne diesen Zirkus bei uns wohlgefühlt.«

      »Klar doch, aber das Angebot ist größer geworden und die Ansprüche der Urlauber auch. Ihr müsst euch von den vielfältigen Offerten absetzen. Zimmer vermieten kann jeder. « Stella hatte ihre Eltern herausfordernd angeschaut. »Das nennt man Marketing, ohne Werbung läuft heute nichts mehr.« Zärtlich hatte sie danach ihren Vater in den Arm genommen.

      »Hast dich ganz schön verändert, seitdem du in dieser Bank in Athen arbeitest.«

      »Das ist mein Job, warum sollten wir das nicht auch hier auf Paros anwenden? Ich erstelle euch ein Konzept«, hatte Stella geantwortet, so als wäre das bereits beschlossene Sache.

      Christos hatte sich überrumpelt gefühlt und wollte darüber ein paar Nächte schlafen, doch seine Tochter hatte sich eine Idee in den Kopf gesetzt und er wusste, dass er bei Stellas nächstem Besuch auf der Insel mit einem konkreten Vorschlag rechnen konnte. Und der war bereits weit mehr ausgearbeitet, als sie ihre Eltern wissen ließ. Der Gedanke war ihr vor einigen Wochen gekommen, nachdem sie zufällig eine interne Aktennotiz im Druckerraum ihrer Bank gefunden hatte, versehentlich auf dem Kopierer zurückgelassen von einem Mitarbeiter aus der Personalabteilung. Der Inhalt hatte es in sich. Unter dem Vermerk – Streng Vertraulich – war von einer großen Kündigungswelle die Rede, das Gerücht darüber war schon länger im Umlauf. Stella hatte es anfangs erfolgreich verdrängt. Dabei waren es nicht die ersten Entlassungen, die zur Sanierung des Geldinstitutes durchgeführt wurden. Sie war den ständigen Druck schon lange leid. Wer weiß, vielleicht war sie die Nächste auf der Liste? So war der Gedanke, wieder zurück nach Paros zu gehen, stetig gereift. Nur dazu bedurfte es einer Geschäftsidee, den ersten Stein dafür hatte sie ins Rollen gebracht.

      Christos warf einen letzten Blick auf sein Boot und ging die kurze Strecke zurück zu seinem Wohnhaus. Es wurde Zeit, nach Náoussa aufzubrechen.

      JULIA, MORETTI

      HAMBURG, DEUTSCHLAND, SEPTEMBER 2016

      Julia Moretti war nach dem Telefonat mit der griechischen Kommissarin in sich zusammengesunken. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, verharrte sie in ihrem Büro. Ihr Telefon klingelte unentwegt, erst das heftige Klopfen an der geschlossenen Tür riss sie aus ihrer Lethargie. Eilig griff sie nach einem Taschentuch und wischte sich ihre Tränen weg, da platzte schon eine Mitarbeiterin in ihr Arbeitszimmer.

      »Wo bleibst du? Der Andruck des finalen Artikels ist fertig. Die warten auf die Freigabe«, die Tonlage der Frau klang vorwurfsvoll, Unpünktlichkeit war sie von ihrer Chefin nicht gewohnt.

      »Fangt schon mal an, ich komme gleich.« Julia versuchte, möglichst souverän zu wirken, und vermied es, der Kollegin ins Gesicht zu schauen. Sie wartete bis ihre Mitarbeiterin das Büro verlassen hatte, dann schenkte sie sich ein Glas Wasser ein, kramte in ihrer Tasche nach einem Schminkspiegel und betrachtete ihr verheultes Gesicht. Warum hatte sie so emotional auf das Telefonat mit der Kommissarin reagiert? Die Botschaft vom Tod ihrer Mutter hatte sie völlig unvorbereitet getroffen. Ihre Mutter war ihr aber seit Jahren gleichgültig gewesen, warum hatte die Nachricht aus Griechenland sie dann so umgehauen? Sie hatte keine Antwort darauf, und das nagte an ihr, während sie sich mit gekonnten Handgriffen nachschminkte. Dann holte sie tief Luft und eilte in den Besprechungsraum.

      »Ist alles in Ordnung?«

      Julia Moretti ignorierte die Frage ihrer Mitarbeiterin und ließ sich Seite für Seite die Reportage zeigen. Kein Wort zu der bitteren Meldung, die ihren Tag so abrupt aus dem Takt gebracht hatte. Bis auf zwei kleine Änderungen gab sie schließlich den Artikel frei, für den Rest des Tages sagte sie alle weiteren Besprechungen ab. Eine erneute Frage, ob alles mit ihr in Ordnung sei, wiegelte sie ab und zog sich ohne weitere Erklärungen in ihr Büro zurück. Dann wählte sie die Nummer von Markus. Sie brauchte dringend seinen Rat, wünschte sich nichts mehr, als ihn jetzt an ihrer Seite zu haben. Bange dachte sie über die Frage der Kommissarin nach, wohin ihre Mutter überführt werden sollte, und brach sogleich erneut in Tränen aus. Sie musste eine Beerdigung organisieren, ihre Angehörigen in Italien informieren und, und, und …

      Ihr Herzschlag wurde schneller, je mehr sie darüber nachdachte. Sie musste dringend mit Jemanden reden. Wie schon befürchtet, erreichte sie nur Markus Mailbox. Er war bestimmt in einem Meeting, deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als mit schluchzender Stimme um dringenden Rückruf zu bitten. Dann rief sie in der Personalabteilung an und meldete sich für die nächsten zwei Tage ab, sie müsse in einer wichtigen familiären Angelegenheit weg. Sie hoffte, in zwei Tagen wieder einen klaren Kopf zu haben.

      Erschöpft

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