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      Dein Dich liebender Sohn Egon.

      P.S. Es sind zweihundert Euro.

      Mit einem tiefen Seufzer ließ Frau Melanie diesen Brief sinken. Sie schalt sich eine schwache Mutter, weil es ihr unmöglich war, dem Sohn ernstlich zu zürnen. Sie sorgte sich um ihn, grollte ihm wohl auch zuweilen – aber böse konnte sie ihm nicht sein.

      War er doch ihr Herzblatt, ihr Goldjunge, ihr Stolz! Freilich – bewusst gab sie keinem ihrer drei Kinder den Vorzug vor den anderen. Dazu war Frau Melanie viel zu gerecht. Aber der Sohn wird dem Herzen der Mutter naturgemäss immer am nächsten stehen. Sie mag es drehen und wenden wie sie will: er ist es, an dem sie mit ganzem Herzen und ganzer Seele hängt.

      Zweihundert Euro! Und wieder Spielschulden! Und was schrieb er über den Vater?

      Papa ist sehr gut, aber auch sehr eigensinnig. Und: Vielleicht wäre ich ja längst nach Bornhagen zurückgekehrt, wenn ich nicht wüsste, was mich dort erwartet.

      So ein Frechdachs!

      *

      Baron Born durchschritt den weiträumigen Flur und stieg über die Treppe in das obere Stockwerk empor, wo die Mädchen ihre Zimmer hatten.

      An Ditschas Tür klopfte er, rasch und hart, und trat unmittelbar darauf ein.

      In ihm lebte noch der alte, patriarchalische Grundsatz, dass Kinder vor ihren Eltern keine Geheimnisse haben durften. Also wartete er Ditschas Aufforderung, einzutreten, erst gar nicht ab.

      Ditscha blickte von dem Buch auf, aus dem sie gelernt hatte.

      Zwischen ihren Brauen erschien eine feine Falte. Überfälle liebte Ditscha gar nicht. Sie klappte das Buch zu und erhob sich.

      »Du wünschst, Papa?«, fragte sie beherrscht.

      »Schon wieder über den Büchern?« Born trat näher und las den Titel. »Der gallische Krieg. Was ist das? Was soll das? Ist das die passende Lektüre für ein junges Mädchen?«

      »Es ist jedenfalls interessanter als die Bücher, die wir in der Pension zu lesen bekamen«, antwortete Ditscha kühl.

      »Interessant!«, wiederholte Born in abfälligem Ton. »Du solltest dich lieber auf deinen Beruf als Frau und Mutter vorbereiten, statt deinen Kopf mit unverdaulichem Zeug vollzustopfen! Das hier ist etwas für Jungen.«

      »Warum?« Ditscha warf die Lippen auf. »Warum bloß für Jungen? Ich kenne Jungen, die im Gymnasium immer gerade nur mit knapper Not durchrutschen! Egon zum Beispiel! Wir Mädchen sind nicht dümmer als die Jungen. Man traut uns nur leider nicht zu, dass wir ebenso viel oder mehr zu leisten vermögen!«

      Born lief rot an. »Weißt du, wie du redest? Wie diese grässlichen englischen Weiber – wie nennt man sie nur?«

      »Suffragetten, Papa«, antwortete Ditscha ruhig. »Ich finde sie übrigens nicht so grässlich, sondern ganz vernünftig. Sie wollen das Unrecht abschaffen, das uns, den Frauen, seit Jahrhunderten angetan wird.«

      »Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Born starrte die Tochter an, die in kämpferischer Haltung vor ihm stand und ihm unerschrocken die Stirn bot. »Du redest dieser Bewegung das Wort, die nur darauf abzielt, die alten Grundfesten der Familie, Zucht und Ordnung, zu erschüttern. Schämst du dich nicht?«

      »Nein, Papa!«, entgegnete Ditscha fest. »Aber du brauchst nicht zu fürchten, dass ich auf die Barrikaden steige. Ich beanspruche für mich nur das Recht, das du mir nicht verweigern würdest, wenn ich ein Junge wäre: mich mit dem zu beschäftigen, was mich interessiert und wofür ich begabt bin. Egon durfte Soldat werden. Warum erlaubst du mir nicht, dass ich mich weiterbilde?«

      »Warum? Warum?« Born schlug mit der Hand auf den Tisch. »Weil es einer Frau nicht wohl ansteht, ihre ureigenste Aufgabe zu vernachlässigen und sich statt dessen in gelehrten Kram zu verbohren! Ein Mann will keine Schulmeisterin heiraten, sondern eine Frau, die seinem Haus vorsteht und seinen Kindern Mutter ist.«

      »Und wer sagt dir, dass ich Lust habe, einen Mann zu heiraten, der so gering von der Frau denkt, dass er sie in Küche und Kinderstube verbannt und ihr kein freies geistiges Leben zu führen erlauben wird?« Hochaufgerichtet stand das Mädchen vor dem Vater. Ihre Augen blitzten, und ihre Wangen brannten. »Nie – hörst du: nie! – werde ich eine solche Ehe eingehen! Wenn ich überhaupt je heirate, dann nur einen Mann, der in mir nicht die Sklavin, sondern die gleichgestellte Gefährtin sieht.«

      »Du dummes, unreifes Ding!«, wetterte Born. »Sieh deine Mutter an, dieses Vorbild wahrer Weiblichkeit! Willst du etwa behaupten, dass sie ein Sklavendasein führt?«

      »Hast du Mama jemals eine freie Meinung zugestanden?«, fragte Ditscha zurück. »Sie lebt doch gar nicht ihr Leben, sondern unseres, das deine und das ihrer Kinder. Was weißt du überhaupt von ihr, von ihren geheimen Gedanken, Wünschen und Sehnsüchten?«

      »Du Grünschnabel!«, wetterte Born. »Du wagst es, an die Ehe deiner Eltern zu rühren? Ist dir denn nichts heilig? Ich sehe schon, dass ich dich bisher viel zu sanft angefasst habe. Aber künftig werden andere Seiten aufgezogen! Ab morgen wirst du dich mehr um die Wirtschaft und weniger um gedrucktes Zeug kümmern, verstanden? Ich werde mit deiner Mutter beraten, was zu deiner hausfraulichen Weiterbildung zu geschehen hat. Die alte Christel soll dich in die Lehre nehmen, damit du dich endlich mit vernünftigen Dingen zu beschäftigen lernst. Und wenn du mir noch einmal so frech entgegentrittst, stecke ich dich in eine Haushaltungsschule, damit dir die Mucken ausgetrieben werden!«

      Born verließ das Zimmer. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss.

      Nun war es auch um Ditschas Beherrschung geschehen. Sie sank auf den Sessel und barg das Gesicht in den Händen. Schluchzen schüttelte ihren Körper.

      »Warum – warum bin ich nur als Mädchen auf die Welt gekommen?« Sie stieß es wütend hervor. »Wäre ich doch ein Junge! Dann wüsste ich, was ich zu tun hätte.«

      *

      »Kochen soll ich lernen!« Ditscha rief es mit dem Ausdruck abgrundtiefer Verzweiflung. »Kochen! Was sagen Sie dazu, Axel?«

      Der junge Mann verbiss sich das Lachen. Bei allem aufrichtigen Mitgefühl, das er für Ditscha empfand, war doch sein Sinn für Humor stark genug entwickelt, um ihn den drolligen Beiklang aus Ditschas Ausdruck heraushören zu lassen.

      »Was ich dazu sage, Fräulein Ditscha? Ja nun – dass es auch für eine Jüngerin Äskulaps nicht von Nachteil ist, wenn sie die edle Kochkunst beherrschen lernt«, erwiderte er launig. »Und dass ich mich schon jetzt darauf freue, die erste Probe Ihrer Kunst zu verkosten! Ich bin nämlich durchaus kein reiner Geist, Fräulein Ditscha, sondern den leiblichen Genüssen rechtschaffen zugetan. Wenn es wahr ist, dass ein voller Bauch nicht gern studiert, dann ist es ebenso wahr, dass auch ein knurrender Magen kein guter Lehrmeister ist. Kochen Sie immerhin, Fräulein Ditscha, kochen Sie! Ich werde schon dafür sorgen, dass die Wissenschaft darüber nicht zu kurz kommt.«

      Ditscha stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ach, Axel!«, sagte sie. »Was täte ich ohne Sie? Sie verstehen es, allem die beste Seite abzugewinnen! Als ich herkam, war ich so verzweifelt, und nun ist …«

      »Verzweifelt – wegen des Kochens? Aber, Fräulein Ditscha!«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Nicht nur deshalb! Für so dumm müssen Sie mich nicht halten, Axel! Aber dass Vater so wenig Verständnis für mich hat, so wenig Einfühlungsvermögen …«

      »Er stammt aus einer anderen Zeit, Fräulein Ditscha.«

      »Ihr Vater auch, Axel, und doch … Er hätte Ihnen gewiss nichts in den Weg gelegt, wenn es Ihr Wunsch gewesen wäre, Jurist oder Ingenieur zu werden oder auch Künstler. Er denkt zuerst an Ihr Glück. Aber Papa …«

      »Fräulein Ditscha!«, mahnte Axel Lowitz. »Sie werden doch nicht Gericht halten über Ihren Vater?«

      Ditscha errötete tief.

      »Sie haben Recht, Axel!«, gab sie zu. »Ich sage so häßliche

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