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die er seit den frühen siebziger Jahren bewohnte, war Subsubstandard. Denn er hatte nicht nur die obligate Toilette am Gang, sondern auch noch kein Fließwasser in der Wohnung. Wollte er sich auch nur die Hände – in einem erfrischend eisigen Strahl – waschen, mußte er zur Bassena ins Stiegenhaus, wo früher die Hausfrauen ihr frisches Wasser samt dem jüngsten Klatsch eingeholt hatten.

      „Hast übrigens schon g’hört“, hob Hansi Lang in dieser guten alten Tradition an, während Hans das Kaffeewasser in ein Emailreindl fließen ließ, „der Kolbert hat schon wieder eine Neue.“

      „Ich kann mir schon meine Weiber nicht merken, was soll ich da dem Kolbert seine auswendig lernen“, meinte Hans mit einer Spur zuviel Nonchalance. Peter Kolbert war der Schlagzeuger der Company und nicht nur an der Batterie ein As, er schleppte auch immer die besten Hasen ab. Mitunter auch die seiner Freunde.

      „Geh, tu nicht so, wie wenn dir die Groupies die Tür einrennen würden. Kannst froh sein, daß du die Gabie hast.“

      Das Stichwort war etwas ungünstig placiert. Nicht nur, daß neben allen anderen in der Band auch Hans auf Kolberts männliche Unwiderstehlichkeit etwas eifersüchtig war, ihm waren überdies die Blikke nicht entgangen, mit denen der Drummer auch bei seiner Gabie, genannt Chouchou, querzubraten versuchte. Und das ausgerechnet an jenem Tag, als sie auf diesen roten Lack-Highheels dahergetrippelt war – das erste richtige Geschenk, das er je einer Frau gemacht hatte. Der Stolz war ihm wie ein Geschoß in die Schwellkörper gefahren, als sein zartes blondes Mauserl ihren Auftritt hingelegt hatte. Mit den Waffen einer Frau, ganz wie Brigitte Bardot, der sie so ähnlich sah. Nur, daß die lang nicht so gestylt war wie seine Chouchou. Dem Kolbert waren fast die Augen rausgefallen.

      „Kümmer du dich nicht so viel um die Chouchou, Oida“, schnauzte er stellvertretend für den Unmut auf Kolbert nun Lang an und drehte den Wasserhahn ab. Das Häferl war voll.

      Wortlos gingen die beiden in die Wohnung zurück und beschäftigten sich mit dem winzigen Kocher, auf dem das Kaffeewasser heiß werden sollte. Hansi, jedesmal wieder verblüfft von Hans’ Ordnungsliebe, verfolgte immer noch stumm dessen häusliche Anwandlungen. Viel Geschirr besaß er ja nicht in seiner Küche, aber das wenige stand genau dort, wo es hingehörte. Bedächtig wusch Hans die ohnehin sauberen Tassen noch einmal ab, bevor er den Kaffee eingoß. Nur Milch war keine im Haus.

      „Du kochst den Kaffee wie der Wouk Baß spielt“, meinte Hansi noch ganz in Gedanken.

      „Was für a Wouk?“

      „Na, dein Vorgänger bei der Company, der immer so müde war. Weißt nimmer? Der Kärntner, der vorher zehn Jahr’ in einem Polizeiorchester war, und genauso hat er g’spielt. Bong ga ga bong ga.“ Er legte die Parodie eines Bassisten im Koma hin.

      „Ah, der. Da hab’ ich noch beim Umspannwerk auf’geigt. Kommt mir vor, wie wenn’s hundert Jahr’ her wär’.“

      „Was is eigentlich aus dieser Kraxen geworden, mit der du damals herumgeglüht bist? Das war ein wildes Gefährt. A Opel Kadett, oder? Von dem Auto hat ma nix mehr g’sehen, weil riesengroß ‚Umspannwerk‘ draufg’standen is. Ich hab’ mich damals noch g’wundert in Mödling, was der Wickerl mit an Elektriker will.“

      „Jessas, der Gig in Mödling. Beim Stadtfest. Na, das war eine Partie!“ Hans grinste. „Da hamma glaubt, wir sind die Obercoolen.“

      „Ja! Du mit der Baskenhaube und der Inkajacke. Und Santana habt’s nachg’spielt. Vor genau dreiundzwanzig Leut’. Aber du hast dich gebärdet, wie wenn da 50.000 nur wegen dir klatschen täten.“

      „Und dann hab’ ich mich fast ang’macht, wie der Wickerl sagt, ob ich vorspielen will für die Hallucination Company …“

      „Kannst dich noch erinnern an unsern ersten Gig da in der Bernoullistraße? Haus der Begegnung oder was des war …“

      „… a Gewerkschaftsheim …“

      „… eh wurscht. Viele orange Sessel, weißt noch? Die Plastikabteilung, die’s in solche Hütt’n draufhaben, und i hab’ mir ’dacht, na servas, das wird wie wenn de ‚Kiss‘ in an Gemeindekindergarten von die Amish-People auftreten.“

      „Da hamma unser erstes Solo g’sungen. Und ich war ganz fertig, weil der Dolezal für ‚Ohne Maulkorb‘ mitg’filmt hat. Bumm, hab’ ich mir ’dacht, jetzt kummst ins Fernsehen. Jetzt bist wirklich a Musiker.“

      Sie versanken in die Erinnerung an ihre Anfänge, als wäre das alles im vorigen Jahrhundert passiert. Sie hatten viel gemeinsam, die beiden. Einer wie der andere typische Arbeiterkinder, stammten sie aus eher kleinen Verhältnissen, waren in derselben Gegend aufgewachsen, hier rund um den Phorus-Markt. Hans’ Mutter hatte ein paar Häuser weiter ihr Milchgeschäft, Langs Onkel verkaufte früher am Markt Fische. Beide hatten sie nichts im Sinn außer Musik. Und die jugendliche Gewißheit, es einmal ganz nach oben schaffen zu wollen.

      „Wir sind wirklich Musiker, Oida, und bald werden alle anderen das auch ’checkt haben“, versicherte Hansi schließlich. „Wir haben das Zeug dazu, des hab’ i immer schon g’spürt. Bei dir wie bei mir. Mir zwa san ans, Oida, und miteinander ziehn wir das durch, wirst schon sehn.“ Überwältigt von der Aussicht klopften sie sich gegenseitig auf die Schulter. Gerade bevor sie einander auch noch um den Hals gefallen wären, siegte die Verlegenheit über dieses unmännliche Ausmaß ihrer Verbrüderung.

      „Wolltest du mir nicht was vorspielen?“ fragte Hansi möglichst emotionslos, um aus der vor Gefühl triefenden Nummer rauszukommen.

      „Nein“, meinte Hans und hantierte wieder mit dem Kaffee herum, als hinge seine Karriere jetzt ausschließlich davon ab. „Ich wollt’ dir nur was zeigen. A Idee, die ich mir für unser Beatles-Solo überlegt hab’. Was haltst’ davon, wenn ich bei der Stelle …“, er sang, „when I’m home, everything seems to be allright“, „… wenn i da so mach’?“ Er fuhrwerkte Hansi mit beiden Armen ruckartig vorm Gesicht herum, um ihm zuletzt mit einem seiner abgespreizten Finger fast ins Auge zu stechen.

      Hansi zuckte erschrocken zurück, erholte sich aber rasch genug, um zu begreifen, was sein Freund mit der Fuchtelei rüberbringen wollte. „Weil der Wickerl g’meint hat, du sollst so irgendwie auf sophisticated machen, weil dir das liegt?“

      „Genau. Und es stimmt, das liegt mir ja wirklich.“

      „Mach’s noch einmal“, forderte Hansi ihn auf. Hans schob sich die Ärmel seines Pullovers bis zum Ellbogen hinauf und legte los. Er sah aus wie Michael Jackson, als er noch sein eigenes Gesicht und eben die erste Tanzstunde hinter sich hatte.

      „Irgendwas stimmt da no net ganz, Oida.“ Hansi konnte sich kaum noch halten vor Lachen. Schließlich gab er auf und ließ sich brüllend zu Boden fallen. Hans starrte ihn leicht beleidigt an, konnte aber dem Lachkrampf des anderen dann doch nicht standhalten. Gemeinsam wälzten sie sich vor Lachen auf dem Teppich.

      „Gnade, Oida, I halt’s net aus“, brachte Hansi immer noch kudernd heraus, „komm, gemma ins ‚Voom‘ und check ma uns was zum Rauchen.“

      Das „Voom Voom“, neben der legendären „Camera“ eine der ersten progressiven Discos Wiens, war nicht nur das Stammlokal sämtlicher ansässiger Musiker, es war sowas wie die Vorratskammer für die rasch wachsende Gemeinde der Freunde bewußtseinserweiternder Substanzen. Ein Hort des kollektiven Friedens, stets untermalt von psychodelischen Klängen zum Beispiel von Pink Floyd, Iron Butterfly und vor allem den Doors. Dröhnland vom Feinsten eben.

      „Geh du“, winkte Hans, der sich auch langsam wieder erholte, ab, „i hab’ jetzt kan Bock auf die ganzen G’sichter dort.“

      Als Hansi wieder in die Ziegelofengasse zurückkam, fand er seinen Freund in doppelter Ausfertigung. Völlig vertieft in sein Spiegelbild probierte Hans unermüdlich immer noch dieselbe Pose, die er Lang zuvor vorgeführt hatte. Doch jetzt bereits in fast schon perfekter Abfolge seiner abgehackten Bewegungen.

      „Mach a Pause, Oida“, unterbrach ihn Hansi, „schau lieber, was i aufg’stellt hab’.“ Er hielt ein ansehnliches Stück Haschisch

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