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Kevin erneut zu schreien. Sie setzte sich auf und stöhnte leise. Doch dann biss sie sich auf die Lippen, um ein Schluchzen herunterzuschlucken. Sie war müde und hegte ihrem Kind gegenüber zum ersten Mal unfaire Gedanken.

      „Schon wieder?“, sagte Ellington fast fluchend. Er stand auf, stolperte aus dem Bett und ging zur Krippe.

      „Ich mach schon“, sagte Mackenzie.

      „Nein … du warst schon vier Mal auf. Und das weiß ich, weil ich bei jedem Mal selbst aufgewacht bin.“

      Sie wusste nicht, warum (vermutlich lag es am Schlafmangel, dachte sie träge), aber sein Kommentar machte sie wütend. Sie hechtete fast aus dem Bett, um zuerst bei ihrem schreienden Kind zu sein. Sie rammte ihre Schulter etwas härter als nötig in seine und nahm Kevin auf den Arm. „Oh, tut mir leid. Habe ich dich geweckt?“

      „Mac, du weißt, was ich meine.“

      „Das tue ich. Aber mein Gott, du könntest wirklich mehr mithelfen.“

      „Ich muss morgen früh raus“, sagte er. „Ich kann nicht einfach nur …“

      „Oh bitte, beende diesen Satz.“

      „Nein. Es tut mir leid. Es ist nur …“

      „Geh zurück ins Bett“, keifte Mackenzie. „Kevin und ich kommen schon klar.“

      „Mac …“

      „Halt die Klappe, geh zurück ins Bett und schlafe.“

      „Das kann ich nicht.“

      „Ist das Baby zu laut? Dann geh aufs Sofa!“

      „Mac, du …“

      „Geh!“

      Mittlerweile weinte auch sie. Mit Kevin im Arm machte sie es sich im Bett bequem. Er weinte noch immer, sein Sodbrennen schien ihm leichte Schmerzen zu bereiten. Sie wusste, dass sie ihn wieder aufrecht halten müssen würde und beim Gedanken daran wollte sie noch lauter weinen. Doch sie gab ihr Bestes, sich zurückhalten, während Ellington aus dem Zimmer stürmte. Er murmelte leise etwas vor sich hin und sie war froh, ihn nicht verstehen zu können. Sie suchte nach einem Grund, zu explodieren, ihn zu beschimpfen und – ehrlich gesagt – einfach Frust abzulassen.

      Sie lehnte sich an das Kopfteil des Betts und hielt den kleinen Kevin so ruhig und aufrecht wie möglich. Würde ihr Leben je wieder so sein wie früher?

      ***

      Irgendwie, trotz mitternächtlichen Streitereien und Schlafmangel, brauchte die neue Familie weniger als eine Woche um ihren Rhythmus zu finden. Mackenzie und Ellington überstanden eine Woche des Sodbrennens mit praktischem Herumprobieren und danach schien alles ganz gut zu laufen. Medikamente linderten die Beschwerden und es wurde einfacher, damit umzugehen. Wenn Kevin weinte, holte Ellington ihn aus seinem Bett, wechselte die Windel und übergab dann an Mackenzie zum Stillen. Für ein Baby schlief er gut, die ersten Wochen nach dem Sodbrennen meistens drei oder vier Stunden am Stück und beschwerte sich kaum.

      Es war auch Kevin, der ihnen die Augen öffnete, wie kaputt ihre eigenen Familien gewesen waren. Ellingtons Mutter kam zwei Tage nach der Geburt zu Besuch und blieb für etwa zwei Stunden. Mackenzie war höflich und leistete ihr Gesellschaft, bis sie es für angebracht hielt, sich zurückzuziehen. Sie ging ins Schlafzimmer, um sich auszuruhen, während Kevin von seinem Vater und seiner Großmutter beschäftigt wurde. Doch Mackenzie konnte nicht schlafen. Sie lauschte der Unterhaltung zwischen Ellington und seiner Mutter und war überrascht, einen Versuch der Versöhnung mitanzuhören. Mrs. Nancy Ellington verabschiedete sich zwei Stunden später und auch durch die Schlafzimmertür konnte Mackenzie die zurückbleibende Anspannung spüren.

      Doch sie hatte Kevin ein Geschenk mitgebracht und sogar nach Ellingtons Vater gefragt – ein Thema, das sie für gewöhnlich immer zu meiden suchte.

      Ellingtons Vater machte nicht einmal Anstalten, vorbeizukommen. Sie redeten einmal per Video miteinander und obwohl das Gespräch eine Stunde lang andauerte und Ellingtons Vater sogar ein paar Tränen verdrückte, machte er keine Pläne, seinen Enkelsohn zu besuchen. Er hatte vor langer Zeit ein neues Leben begonnen, in dem seine erste Familie keinen Platz hatte. Und daran schien er auch nichts ändern zu wollen. Ja, er hatte im letzten Jahr eine große, finanzielle Geste gemacht und angeboten, für ihre Hochzeit zu bezahlen (ein Angebot, dass sie schließlich abgelehnt hatten), aber all das war Hilfe aus der Entfernung gewesen. Er lebte derzeit mit seiner dritten Frau in London und war scheinbar beruflich ausgelastet.

      Während Mackenzie immer wieder an ihre Mutter und Schwester dachte – ihre einzigen, noch lebenden Familienangehörigen – war die Vorstellung, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, eine schreckliche. Sie wusste, wo ihre Mutter lebte und war sich sicher, mit Hilfe des FBIs auch ihre Nummer herausfinden zu können. Stephanie, ihre kleine Schwester, war vermutlich schwerer zu lokalisieren. Da Stephanie nie lange an einem Ort blieb, hatte Mackenzie keine Ahnung, wo sie sich derzeit aufhielt.

      Traurigerweise war das okay für sie. Ja, ihre Mutter verdiente es, ihr erstes Enkelkind kennenzulernen, aber das bedeutete auch, die Narben zu öffnen, die sie vor über einem Jahr endlich geschlossen hatte, als sie den Mordfall ihres Vaters zu den Akten legte. Mit dem Ende des Falles hatte sie auch die Tür zu diesem Teil ihrer Vergangenheit zugemacht, inklusive der furchtbaren Beziehung, die sie stets zu ihrer Mutter gehabt hatte.

      Es war seltsam, wie oft sie jetzt, wo sie selbst ein Kind hatte, an ihre eigene Mutter dachte. Wann immer sie Kevin im Arm hielt, erinnerte sie sich daran, wie unnahbar ihre Mutter auch schon vor dem Tod ihres Vaters gewesen war. Sie schwor sich, dass Kevin immer wissen würde, wie sehr seine Mutter ihn liebte und dass sie niemals irgendetwas anderes – weder Ellington, ihre Arbeit, noch persönliche Probleme – über ihn stellen würde.

      Daran dachte sie in der zwölften Nacht nachdem sie Kevin nach Hause gebracht hatten. Sie hatte Kevin gerade gestillt, es war etwa halb zwei oder zwei Uhr morgens. Ellington kam zurück ins Zimmer, nachdem er Kevin im Raum nebenan in sein Bettchen gelegt hatte. Es war ursprünglich ein Büro gewesen, wo sie sowohl persönliche als auch berufliche Dokumente aufbewahrt hatten. Die Umgestaltung zum Kinderzimmer war einfach gewesen.

      „Warum bist du noch wach?“, grummelte er in sein Kissen, als er sich wieder hinlegte.

      „Denkst du, dass wir gute Eltern sein werden?“, fragte sie.

      Er stützte schläfrig seinen Kopf ab und zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon. Ich meine, ich weiß, dass du es sein wirst. Aber ich … ich kann mir vorstellen, ihn eines Tages viel zu sehr anzutreiben, wenn es um Sport geht. Das ist etwas, was mein Dad nie gemacht hat und ich hatte immer das Gefühl, etwas verpasst zu haben.“

      „Ich meine es ernst.“

      „Ich weiß. Warum fragst du?“

      „Weil unsere Familien so verkorkst sind. Woher sollen wir wissen, wie man ein Kind richtig erzieht, wo wir doch selbst nur furchtbare Erfahrungen gemacht haben?“

      „Wir werden einfach alles, was unsere Eltern falsch gemacht haben, vermeiden.“

      Er streckte seine Hand in die Dunkelheit und legte sie zuversichtlich auf ihre Schulter. Sie wollte, dass er sie in den Arm nahm und sie an sich zog, aber die Wunden der OP waren noch nicht voll verheilt.

      Also lagen sie nebeneinander, erschöpft und voller Vorfreude auf ihre Zukunft, bis sie beide einschliefen.

      ***

      Mackenzie lief wieder durch das Maisfeld. Die Stängel waren so hoch, dass sie die Spitzen nicht sehen konnte. Die Kolben selbst wirken wie alte, gelbe Zähne. Jeder Maiskolben war fast einen Meter lang; alles war so unglaublich groß, dass sie sich wie ein Insekt fühlte.

      Irgendwo vor ihr weinte ein Baby. Nicht irgendein Baby, ihr Baby - sie kannte Kevins Schreien genau.

      Mackenzie rannte durch die Reihen des Maisfelds, wurde von den Stängeln ins Gesicht geschlagen

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