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Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann
Читать онлайн.Название Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie
Год выпуска 0
isbn 4064066112783
Автор произведения Nina Hoffmann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das Verhör, bei welchem er auf die Frage des Untersuchungsrichters, in was für Beziehungen er zu Butaschewitsch-Petraschewsky stehe, ganz naiv die Gegenfrage stellt: „Petraschewsky kenne ich nicht, und wer ist denn der zweite?“ bringt seine Unschuld an den Tag, und man hält ihn nur noch zurück, damit er in der Stadt nicht mit Leuten zusammen komme, „die er nicht zu treffen habe“. Es stellt sich heraus, dass man auf den Richtigen gekommen war, auf den Bruder Michael Dostojewsky, den man am 5. Mai arretiert, worauf man Andreas am 6. frei gibt. Eine Stelle aus einem Briefe Theodor Michailowitschs an den Bruder Andreas drückt noch, nach einem Zeitraum von 13 Jahren, seine Freude darüber aus, dass dieser das Missverständnis nicht früher aufgeklärt habe. „Ich erinnere mich daran,“ sagt er, „du mein Teurer, erinnere mich, wie wir einander, es war wohl das letzte Mal, im weissen Saale begegneten. Es kostete dich damals nur ein Wort, das du an betreffender Stelle hättest sagen können, und du wärst sofort, als irrtümlich statt des älteren Bruders festgenommen, frei gelassen worden. Aber du folgtest meinen Vorstellungen und Bitten, du gingst grossmütig in die Thatsache ein, dass der Bruder in sehr engen Verhältnissen lebe, dass seine Frau eben erst in den Wochen gewesen sei und sich noch gar nicht erholt habe — du begriffst das alles und bliebst im Gefängnis, um den Bruder Zeit zu lassen, seine Frau vorzubereiten und sie nach Möglichkeit für eine vielleicht lange Zeit seiner Abwesenheit sicherzustellen.[4]
„Wenn du einmal so grossmütig und ehrenhaft gehandelt hast“, fährt Dostojewsky fort, „so konnte ich dich ja auch nicht vergessen und musste ich ja deiner, als eines ehrenhaften und guten Menschen, gedenken.“
Zum Verlauf der Untersuchung zurückkehrend, erzählt Orest Miller, dass der General Rostowzew Dostojewsky nahe gelegt habe, „alles zu erzählen“. Dieser beantwortete aber alle Fragen der Kommission ablehnend. Da wendete sich Rostowzew mit den Worten an ihn: „Ich kann nicht glauben, dass ein Mensch, welcher „Arme Leute“ geschrieben hat, mit diesen lasterhaften Menschen gemeinsame Sache machen könne. Das ist unmöglich. Sie sind nicht sehr in die Sache verwickelt und ich bin im Namen des Kaisers bevollmächtigt, Sie zu begnadigen, wenn Sie die ganze Sache erzählen.“ Ich schwieg, erzählte Theodor Michailowitsch. Darauf bemerkte General-Lieutenant Dubelt, einer der Untersuchungsrichter, gegen Rostowzew gewendet lächelnd: „Ich habe es Ihnen ja gesagt“, worauf dieser schrie: „Ich kann Dostojewsky nicht mehr sehen“, in die nächste Stube lief und von da heraus rief: „Ist Dostojewsky schon hinausgegangen? Sagt mir, wenn er hinausgeht, ich kann ihn nicht sehen“. Dies alles schien Dostojewsky sehr übertrieben zu sein.
Aus den Protokollen in den Archiven der dritten Abteilung entnehmen wir, dass am 23. April eine Untersuchungs-Kommission unter Vorsitz des General-Adjutanten Nabokow eingesetzt wurde, welche der Prüfung dieser Sache vom 26. April bis zum 17. September 1849 neunzig Sitzungen widmete. Die Kapitalanklage gegen Petraschewsky lautete auf: „Verbrecherische Versuche, die bestehende Staats-Verfassung in Russland zu stürzen, Heranziehung von Leuten verschiedenen Berufs und jugendlichen Alters zu den bei ihm abgehaltenen Zusammenkünften, Verbreitung schädlicher Ideen über die Religion, Erweckung von Hass gegen die Obrigkeit, und endlich Versuch, eine geheime Gesellschaft zur Erreichung dieser verbrecherischen Ziele zu gründen“.
Die Anklage gegen Dostojewsky lautete: „dass er ebenfalls (gleich Durow) an diesen verbrecherischen Plänen teilgenommen, dass er einen Brief Belinskys an Gogol verbreitet habe, der voll frecher Ausdrücke gegen die rechtgläubige Kirche und die Obrigkeit gewesen sei, und dass er den Versuch gemacht habe, zur Verbreitung von Schriften gegen die Obrigkeit im Verein mit anderen eine geheime Lithographie herzustellen.“
Dostojewskys nervöser Zustand, der schon vor der Arretierung ihm sehr beschwerlich gewesen war, wurde nach seiner acht Monate währenden Untersuchungshaft bedeutend schlimmer durch die wiederholten Verhöre und das eindringliche Zureden, er möge in seinen mündlichen und schriftlichen Antworten die Genossen angeben, so dass er endlich, dessen müde, sich selbst einen bedeutend grösseren Anteil bei der Sache vindicierte, als er in der That daran genommen hatte, und so hoffte, dieselben Qualen des Verhörs von den Mitangeklagten abzulenken.
Seine eingehendste schriftliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen lassen wir hier in getreuer Übersetzung des Original-Manuskripts folgen. Oberflächlichen Kennern Dostojewskys, welche jedoch über die Thatsachen dieses Prozesses vortrefflich unterrichtet sind, ist der Inhalt dieser, im August 1898 in der „N. Fr. Presse“ durch uns veröffentlichten Verteidigungsschrift lediglich ein „advokatorisches Meisterstück“. Wer des Dichters Grundnatur und seinen inneren Entwickelungsgang näher kennt, wird dies nicht schlankweg annehmen. So sehr auch Dostojewsky „das Zeug zum Verschwörer“ haben mochte, wie man von ihm sagte, und so oft er selbst von einer „Umkehr“ spricht, lag doch der slavisch-mystische Wesenskeim zu tief in seiner Natur, um nicht bei der ersten Erschütterung seiner revolutionären Anwandelungen entschieden und endgiltig in seine Rechte zu treten. Ja, der Atheismus, welchem er sicher um jene Zeit gehuldigt haben muss, und der sich dreissig Jahre später im herrlichen Kapitel „Der Grossinquisitor“ wiederspiegelt, dieser Atheismus ist nichts als die Kehrseite eines heissen Gottesdurstes und hat nichts gemein mit dem kühlen Indifferentismus in Glaubenssachen, wie er das endgiltige Merkmal des echten Revolutionärs ist. Wenn wir hier diesen Standpunkt festhalten, wenn wir darauf hinweisen, dass in dieser Verteidigungsschrift bei aller Gewandtheit und berechnenden Wahrheitskühnheit auch viel wirkliche Wahrheit enthalten ist, namentlich an jener Stelle, wo Dostojewsky die bekannte Aksakowsche Geschichts-Anschauung entwickelt, wenn wir sogar gegen seinen eigenen Ausspruch über sich protestieren, so geschieht dies nicht, um ihn „rein zu waschen“ oder „päpstlicher als der Papst“ zu sein, sondern um den Wendungen und Windungen dieser höchst komplizierten Natur nachzugehen, die sich oft „zur Wahrheit durchlog“, mit der Wahrheit spielte und der es doch heiliger Ernst und Wahrheit war, womit der ewig bewegte Geist nicht anders als spielen konnte. Die Verteidigungsrede lautet wie folgt:
Th. M. Dostojewskys Rechtfertigungsschrift im Prozesse Petraschewsky, verlesen in der 42. Sitzung der Untersuchungs-Kommission unter dem Vorsitze des General-Adjutanten Nabokow am 20. Juni 1849.
„Man verlangt von mir, dass ich alles, was ich über Petraschewsky und über jene Leute, welche seine Freitags-Abende besuchten, weiss, aussagen soll, das heisst, man verlangt meine Aussage über Fakten und meine persönliche Meinung über diese Fakten.
Wenn ich die heutigen Fragen mit dem ersten Verhöre zusammenhalte, so schliesse ich, dass man von mir eine genaue Antwort auf folgende Punkte fordert:
1. Darauf, was für einen Charakter Petraschewsky als Mensch im allgemeinen und als Politiker im besonderen hatte.
2. Was an jenen Abenden, welchen ich beiwohnte, bei Petraschewsky vorging, sowie meine Meinung über diese Abende.
3. Ob nicht irgend ein geheimes, verborgenes Ziel der Gesellschaft Petraschewsky zu Grunde lag? Ob Petraschewsky selbst ein für die Gesellschaft schädlicher Mensch und in welchem Grade er es war.
Ich bin niemals in sehr nahen Beziehungen zu Petraschewsky gestanden, obwohl ich an Freitags-Abenden zu ihm kam und auch er mich besuchte.
Dies ist eine jener Bekanntschaften, an denen mir nicht allzu viel gelegen war, da ich weder im Charakter noch in vielen Anschauungen mit Petraschewsky übereinstimmte. Darum erhielt ich diese Beziehung nur insoweit, als es die Höflichkeit verlangte, das heisst, ich besuchte ihn etwa jeden Monat einmal, manchmal auch seltener. Ihn aber vollständig aufzugeben, hatte ich keinerlei Ursache; überdies war es mir manchmal interessant, seine Freitage zu besuchen.
Mich