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mußte Xaver Zlotogor meine Anerkennung ausdrücken, er hatte tapfer für den Esel gekämpft. Ich kannte den Magnetiseur noch gar nicht, er trat nicht jeden Tag, sondern nur am Sonntag auf oder bei besonderen Anlässen, und sehr oft reiste er »selbständig« durch kleine und größere Städte und gab Vorstellungen.

      Er wohnt im Hotel Savoy im dritten Stock. Er kann es sich leisten. Xaver Zlotogor ist ein weitgereister Mann, den Westen Europas kennt er und Indien. Dort hat er seine Kunst von Fakiren gelernt, wie er erzählt. Er mag wohl an die vierzig alt sein, aber man merkt ihm kein Alter an, so gut beherrscht er Gesicht und Bewegungen.

      Manchmal glaube ich, er wäre müde, während wir so gehen, ich glaube, seine Knie seien leise geknickt, und weil der Weg weit ist und ich nicht mehr frisch bin, will ich vorschlagen, daß wir uns ein bißchen auf einen Stein setzen. Aber siehe: Xaver Zlotogor springt mit hochgezogenen Knien über den Stein und ein gut Stück darüber in die Luft wie ein vierzehnjähriger Knabe. Er hat in diesem Augenblick ein Knabengesicht, ein olivengrünes, jüdisches Knabengesicht mit schelmischen Augen. Eine Minute später trägt er einen müden Mund mit hängender Unterlippe, und es ist, als lastete sein Kinn schwer, er muß es auf der Brust stützen.

      Xaver Zlotogor wandelt sich so schnell in kurzen Zeiträumen, daß er mir unsympathisch wird, ja, ich muß denken, daß seine ganze edle Geschichte mit dem Esel eine gemeine Komödie war, und es scheint mir, daß dieser Xaver Zlotogor nicht immer so geheißen, daß er vielleicht – der Name taucht plötzlich in mir auf – Salomon Goldenberg geheißen hat in seiner kleinen galizischen Heimat. Merkwürdig, daß sein Einfall, den Esel auf den Friedhof zu führen, mich hatte vergessen lassen, daß er Magnetiseur ist, ein schnöder Zauberer, ein Mann, der das indische Fakirtum für Geld verriet und von den Geheimnissen einer fremden Welt nur so viel wußte, als die Zauberkunststückchen erforderten. Und Gott ließ ihn leben und strafte ihn nicht.

      »Herr Zlotogor«, sage ich, »ich muß Sie leider allein lassen, ich habe eine wichtige Unterredung.«

      »Mit Herrn Phöbus Böhlaug?« fragt Zlotogor.

      Ich war verblüfft und wollte fragen: Woher wissen Sie – aber ich unterdrückte diese Frage und sagte »nein« und gleich darauf »Guten Abend«, obwohl es noch gar nicht dämmerte und die Sonne Lust hatte, noch eine geraume Weile am Himmel zu bleiben.

      Ich schritt rasch in die entgegengesetzte Richtung, ich sah wohl, daß ich mich nicht der Stadt näherte, hörte, daß mir Zlotogor etwas nachrief, aber wandte mich nicht um.

      Bündel gemähten Heus dufteten stark, Grunzen kam aus einem Schweinekoben, Baracken standen verstreut hinter den Hütten, und ihre Dächer aus Weißblech glühten wie schmelzendes Blei. Ich wollte bis zum Abend allein sein. Ich dachte an viele Dinge, alles, Wichtiges und Nebensachen, ging mir durch den Kopf, die Gedanken kamen wie fremde Vögel und flogen wieder davon.

      Spät am Abend kehrte ich heim, die Felder und Wege lagen im Dunkel, und die Grillen zirpten. Gelbe Lichter brannten in den Dorfhäusern, und Glocken schlugen.

      Das Hotel Savoy schien mir leer. Santschin war nicht mehr da. Zweimal nur war ich in seinem Zimmer gewesen. Aber mir war, als hätte ich einen lieben guten Freund verloren. Was wußte ich von Santschin? Er war ein Clown im Theater und zu Hause traurig, warm und grob, er erstickte im Wäschedunst, jahrelang hatte er den Duft schmutziger fremder Wäsche geatmet – wenn nicht in diesem Hotel Savoy, so doch in andern. In allen Städten der Welt gibt es kleinere oder größere Savoys, und überall in den höchsten Stockwerken wohnen die Santschins und ersticken am Dunst fremder Wäsche.

      Das Hotel Savoy war noch voll besetzt – von allen 864 Zimmern stand nicht ein einziges leer, nur ein Mensch fehlte, der einzige Wladimir Santschin.

      Ich saß unten im Fünf-Uhr-Saal. Der Doktor lächelte mir zu, als wollte er sagen: Siehst du, wie recht ich hatte, als ich Santschin den Tod prophezeite? Er lächelte, als wäre er die medizinische Wissenschaft und feierte nun seinen Triumph. Ich trank einen Wodka und sah Ignatz an – war er der Tod, oder war er nur ein alter Liftknabe? Was glotzte er mit seinen gelben Bieraugen?

      Nun fühlte ich, wie Haß in mir aufstieg gegen das Hotel Savoy, in dem die einen lebten und die andern starben, in dem Ignatz Koffer pfändete und die Mädchen sich nackt ausziehen mußten vor Fabrikanten und Häusermaklern. Ignatz war wie ein lebendiges Gesetz dieses Hauses, Tod und Liftknabe. Ich werde mich nicht durch Stasia verlocken lassen hierzubleiben, denke ich.

      Für drei Tage reicht meine Barschaft, weil ich durch Glanz’ Hilfe Geld gewonnen habe. Dann wird man mich, wenn ich verhungere, genauso begraben wie den armen Santschin, weit draußen auf dem Jenseits des Friedhofs, in einer lehmigen Regenwürmergrube. Jetzt kriechen die Würmer und Schlangen schon über Santschins Sarg, drei Tage noch, acht oder zehn, und das Holz wird verfaulen und der schwarze, alte Anzug, den ihm jemand geschenkt hat und der schon längst fadenscheinig war.

      Hier steht Ignatz mit seinen gelben Bieraugen und fährt hinauf und hinunter mit dem Fahrstuhl und hat auch Santschin zum letztenmal hinuntergefahren.

      In dieser Nacht betrat ich mein Zimmer nur noch mit großer Überwindung. Ich haßte das Nachtkästchen, den Lampenschirm, den Druckknopf, ich schmiß einen Sessel um, daß es laut polterte, ich hätte gern den Zettel des Kaleguropulos, der höhnisch an der Tür hing, abgerissen, und ich ging furchtsam ins Bett und ließ die ganze Nacht die Lampen brennen.

      Santschin erschien mir im Traum: Ich sehe, wie er in seiner lehmigen Grube aufsteht und sich rasiert – ich reiche ihm einen Wasserkübel, er nimmt Lehm dazu und streicht sein Gesicht mit Lehm an, als wäre es Rasierseife. »Das kann ich«, sagt er und: »Sehen Sie mir nicht zu!«, und ich starre beschämt auf seinen Sarg, der in der Ecke steht.

      Dann klatscht Santschin in die Hände, und es erhebt sich ein lautes Beifallsklatschen, das ganze Hotel Savoy klatscht, Kanner und Neuner und Siegmund Fink und Frau Jetti Kupfer.

      Vorne steht mein Onkel Phöbus Böhlaug und flüstert mir zu: »Weit hast du’s gebracht! Du bist nicht mehr wert als dein Vater! Du Taugenichts!«

      XI

       Inhaltsverzeichnis

      Ich wollte gerade das Hotel verlassen, da stieß ich mit Alexanderl Böhlaug zusammen, der einen hellen Filzhut trug. Solch einen schönen Filzhut habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen, es ist ein Gedicht, ein Hut von einer zartgetönten hellen, unbestimmbaren Farbe, in der Mitte sorgfältig zusammengekniffen. Wenn ich diesen Hut trüge, ich hütete mich wohl zu grüßen, und ich verzeihe es auch, daß Alexanderl nicht grüßt, sondern nur mit dem Zeigefinger an den Hut tippt, salutierend wie ein Offizier, wenn er den Gruß eines Militärkochs erwidert.

      Dabei bewundere ich Alexanderls kanariengelbe Handschuhe ebenso wie den Hut – wenn man diesen Menschen sieht, kann man nicht zweifeln, daß er schnurstracks aus Paris kommt, dorther, wo es am stärksten Paris ist.

      »Guten Morgen!« sagt Alexanderl, schläfrig und lächelnd. »Was macht Stasia, Fräulein Stasia?«

      »Ich weiß nicht!«

      »Sie wissen es nicht? Sind Sie aber lustig! Gestern sind Sie mit der Dame hinter dem Sarg einhergegangen, als wären Sie ihr Cousin.«

      »Die Geschichte mit dem Esel ist köstlich«, sagt Alexanderl, zieht einen Handschuh aus und wedelt mit ihm.

      Ich schweige.

      »Hören Sie, Vetter«, sagt Alexanderl, »ich möchte ein Absteigquartier mieten – im Hotel Savoy. Zu Hause fühle ich mich nicht frei. Manchmal –«

      Oh, ich verstehe – Alexanderl legte seine Hand auf meine Schulter und schob mich ins Hotel. Das war mir unangenehm, ich bin abergläubisch und kehre nicht gerne wieder ins Hotel zurück, das ich kaum verlassen habe.

      Ich habe keinen Grund, Alexanderl nicht zu folgen, und ich bin neugierig, welche Nummer mein Vetter bekommen wird. Ich überlege, die Zimmer links und rechts von Stasia sind bewohnt.

      Es

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