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in die weiche Nacht. Über mir höre ich Schritte, behutsame, sanfte, unaufhörliche, es müssen Frauenschritte sein – ging jene Kleine aus dem siebenten Stock so rastlos auf und ab? Was hatte sie? Ich sah hinauf zur Decke, weil mir plötzlich der Einfall kam, daß die Decke durchsichtig geworden war. Man sah vielleicht die zierlichen Fußsohlen des graugekleideten Mädchens. Ging sie barfuß oder in Pantoffeln? Oder in grauen Strümpfen aus Halbseide? Ich erinnerte mich, wie sehnsüchtig ich und viele Kameraden einen Urlaub erwartet hatten, der den Wunsch nach einem wildledernen Halbschuh erfüllen konnte. Gesunde Bauernmädchenbeine durfte man streicheln, breitsohlige Füße, mit abstehendem großem Zeh, die durch den Schlamm der Felder, durch den Lehm der Landstraße wanderten, Körper, für die die harten Schollen eines gefrorenen Herbstackers ein Liebesbett bildeten. Gesunde Oberschenkel. Minutenschnelle Liebe in der Dunkelheit vor einbrechendem Befehl. Ich entsann mich der ältlichen Lehrerin in einem Etappennest, der einzigen Frau jenes Orts, die vor Krieg und Überfall nicht geflüchtet war. Es war ein spitzes Mädchen, über dreißig, man nannte sie den »Drahtverhau«. Aber es gab nicht einen, der sie nicht umworben hätte. Denn weit und breit, im Umkreis von Kilometern, war sie die einzige Frau mit Halbschuhen und durchbrochenen Strümpfen.

      In diesem Riesenhotel Savoy mit den 864 Zimmern, ja in dieser ganzen Stadt wachten vielleicht nur zwei Menschen, ich und das Mädchen über mir. Man könnte ganz gut beieinander sein, ich, Gabriel, und ein kleines braunes Mädchen mit freundlichem Gesicht, großen, grauen, schwarz bewimperten Augen. Wie dünn mußten die Decken dieses Hauses sein, wenn die Gazellenschritte so deutlich zu hören waren; selbst den Geruch ihres Leibes glaubte ich zu spüren. Ich beschloß nachzusehn, ob diese Schritte wirklich dem Mädchen gehörten. Im Korridor brannte ein dunkelrotes Glühlämpchen; Schuhe, Stiefel, Frauenhalbschuhe standen vor den Zimmertüren, alle ausdrucksvoll wie Menschengesichter. Im siebenten Stockwerk brannte überhaupt keine Lampe, schwaches Licht rann aus geblendeten Glasscheiben. Gelb und dünn floß ein Strahl durch eine Ritze, es ist Zimmer 800 – da muß der rastlose Spaziergänger wohnen. Ich kann durchs Schlüsselloch sehn – es ist das Mädchen. Sie schreitet in einem weißen Gewand – es ist ein Bademantel – auf und ab, bleibt eine Weile am Tisch stehn, sieht in ein Buch und beginnt ihre Wanderung von neuem.

      Ich bemühe mich, ihr Gesicht zu erhaschen – sehe nur die schwache Rundung eines Kinns, das Viertel eines Profils, wenn sie stehenbleibt, ein Büschel Haare, und sooft der Mantel bei einem weiten Schritt sich lüftet, einen Schimmer ihres braunen Fleisches. Irgendwoher kam ein mühsamer Husten, jemand spuckte in einen Kübel, es klatschte laut. Ich kehrte in mein Zimmer zurück. Als ich die Tür schloß, glaubte ich einen Schatten im Korridor zu sehen; ich riß die Tür weit auf, daß das Licht meines Zimmers einen Teil des Ganges erhellte. Aber es war niemand gewesen.

      Oben hörten die Schritte auf. Das Mädchen schlief schon wahrscheinlich. Ich legte mich angekleidet aufs Bett und zog die Gardinen vom Fenster weg. Sanftes Grau des beginnenden Tags legte sich weich auf die Gegenstände des Zimmers.

      Unerbittlichen Morgenanbruch verkündeten eine knallende Tür und der brutale Ruf einer Männerstimme in einer unverständlichen Sprache.

      Ein Zimmerkellner kam – er trug eine grüne Schusterschürze, und die aufgekrempelten Hemdsärmel ließen schwarz-und krausbehaarte muskelreiche Unterarme bis zum Ellbogen sehn. Zimmermädchen gab es offenbar nur in den drei ersten Stockwerken. Der Kaffee war besser, als man erwartet hätte, aber was nutzte das, wenn keine Mädchen da waren in weißen Hauben? Das war eine Enttäuschung, und ich dachte nach, ob denn keine Möglichkeit vorhanden wäre, in den dritten Stock zu übersiedeln.

      IV

       Inhaltsverzeichnis

      Phöbus Böhlaug sitzt vor einem glänzenden, kupfernen Samowar, ißt ein Rührei mit Schinken und trinkt Tee mit Milch. »Der Doktor hat mir Eier verschrieben«, sagt er, wischt sich mit der Serviette den Schnurrbart und streckt mir vom Stuhl aus sein Gesicht zum Kusse entgegen. Sein Gesicht riecht nach Rasierseife und Kölnischem Wasser, es ist glatt, weich und warm. Er trägt einen weiten Bademantel, muß eben aus der Wanne gestiegen sein, eine Zeitung liegt auf einem Stuhl, und ein herzförmiger Ausschnitt seiner behaarten Brust wird sichtbar, da er noch kein Hemd trägt.

      »Gut siehst du aus!« stellt er fest, für alle Fälle.

      »Wie lange bist du schon da?«

      »Seit gestern!«

      »Warum kommst du heute?«

      »Ich war gestern hier, hörte, daß bei euch Gesellschaft war, und wollte nicht in diesem Anzug –«

      »Ach, was – ein ganz schöner Anzug! Heutzutage schämt man sich nicht. Heute tragen Millionäre auch keinen besseren Anzug! Ich hab’ auch nur drei Anzüge! Ein Anzug kostet ein Vermögen!«

      »Ich wußte nicht, daß es so ist. – Ich komme aus der Kriegsgefangenschaft.«

      »Da ist es dir doch gutgegangen? Alle Menschen sagen, in der Gefangenschaft ist es gut.«

      »Es war manchmal auch schlecht, Onkel Phöbus!«

      »Nun, und jetzt willst du weiterfahren?«

      »Ja, ich brauche Geld!«

      »Geld brauch’ ich auch«, lachte Phöbus Böhlaug. »Wir brauchen alle Geld!«

      »Du hast es ja wahrscheinlich.«

      »Ich hab’? Wie weißt du, daß ich hab’? Man ist von der Flucht zurückgekommen und hat sein Vermögen zusammengeklaubt. Ich hab’ in Wien deinem Vater Geld gegeben – seine Krankheit hat mich ein schönes Geld gekostet, und deiner seligen Mutter hab’ ich einen Grabstein gesetzt, einen schönen Stein – er hat schon damals zwei runde Tausender gekostet.«

      »Mein Vater ist im Siechenhaus gestorben.«

      »Aber die selige Mutter im Sanatorium.«

      »Was schreist du so? Reg dich nicht auf, Phöbus!« sagt Regina. Sie kommt aus dem Schlafzimmer, hält ein Korsett in der Hand, mit baumelnden Strumpfbändern.

      »Das ist Gabriel«, stellt Phöbus vor.

      Regina bekam einen Handkuß. Sie bedauerte mich, meine Leiden in der Gefangenschaft, den Krieg, die Zeiten, die Kinder, den Mann.

      »Alexanderl ist hier, sonst hätten wir Sie gebeten, bei uns zu schlafen«, sagt sie.

      Alexanderl kommt in einem blauen Pyjama, verbeugt sich und scharrt mit den Pantoffeln. Er war im Krieg rechtzeitig von der Kavallerie zum Train gekommen, studiert jetzt in Paris »Export« – wie Phöbus sagt – und feiert seinen Urlaub zu Hause.

      »Sie wohnen im Hotel Savoy?« sagt Alexander mit weltmännischer Sicherheit. »Dort wohnt ein schönes Mädchen« – und er zwinkert mit einem Aug’ gegen seinen Vater. »Sie heißt Stasia und tanzt im Varieté – unnahbar, sag’ ich Ihnen – ich wollte sie nach Paris mitnehmen« – er rückt nahe heran – »aber sie geht allein, wenn sie will, sagt sie mir. – Ein feines Mädchen!«

      Ich blieb zum Mittagessen. Phöbus’ Tochter kam mit dem Mann. Der Schwiegersohn »half im Geschäft«, war ein robuster, gutmütiger, rotblonder, stiernackiger Mensch, löffelte brav seine Suppe, sorgte für Tellersäuberung, schweigsam, unberührt von rollenden Gesprächen.

      »Ich denke grade nach«, sagt Frau Regina, »dein blauer Anzug wird Gabriel passen.«

      »Ich hab’ noch blaue Anzüge?« fragt Phöbus.

      »Ja«, sagt Regina, »ich bring’ ihn.«

      Ich versuchte vergeblich Abwehr. Alexander klopfte mir auf die Schulter, »ganz richtig«, sagte der Schwiegersohn, und Regina brachte den blauen Anzug. Ich probiere ihn in Alexanders Zimmer, vor dem großen Wandspiegel – er paßt.

      Ich sehe ein, sehe die Notwendigkeit eines blauen, »wie neuen« Anzugs ein, die Notwendigkeit braungetupfter Krawatten, einer braunen Weste, und scheide am Nachmittag mit einem Pappkarton in der

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