Скачать книгу

das war gedankenlos von mir, daß ich sie wegfliegen ließ. Kann ich dich aber nicht dahin begleiten, wo du zu Hause bist?« sagte sie, die Märchen zu dichten pflegte, und nun nicht wenig erstaunt war, so unvermutet mit einem der Männlein in Unterhaltung gekommen zu sein. Aber eigentlich war sie gar nicht einmal so erstaunt. Es war, als habe sie die ganze Zeit, während sie hier im Mondschein vor ihrer alten Heimat auf und nieder gegangen war, erwartet, daß sie etwas Merkwürdiges erleben würde.

      »Eigentlich hatte ich gedacht, die Nacht hier auf dem Hofe zu bleiben,« sagte der Kleine. »Wenn Sie mir nur einen sichern Platz zum Schlafen zeigen könnten, würde ich nicht vor Tagesanbruch nach dem Walde zurückkehren.« – »Soll ich dir einen Platz zum Schlafen zeigen«? Wohnst du denn nicht hier?« – »Ich kann mir denken, daß Sie mich für ein Heinzelmännchen halten!« sagte das Männlein jetzt. »Aber ich bin ein Mensch, so wie Sie; ich bin nur von einem Heinzelmännchen verwandelt worden.« – »Das ist doch das Sonderbarste, was ich je im Leben gehört habe. Kannst du mir nicht erzählen, wie sich das zugetragen hat?«

      Niels Holgersen hatte nichts dagegen, seine Abenteuer zu erzählen, und seine Zuhörerin wurde, je weiter die Erzählung fortschritt, immer erstaunter und erfreuter. »Nein, welch ein Glück, daß ich hier jemand treffe, der auf einem Gänserücken durch ganz Schweden gereist ist!« dachte sie. »Alles, was er da erzählt, kann ich ja in mein Buch schreiben. Jetzt brauche ich mir deswegen keine Sorge mehr zu machen. Es war wirklich gut, daß ich nach Hause gereist bin! Wenn ich bedenke, daß die Hilfe da war, sobald ich nach dem alten Hof kam!« sagte sie zu sich selbst.

      Im selben Augenblick durchzuckte sie ein Gedanke, den zu Ende zu denken sie kaum den Mut hatte. Sie hatte ihrem Vater durch die Tauben sagen lassen, daß sie Heimweh nach dem alten Hause habe, und gleich darauf war die Hilfe für das gekommen, worüber sie schon so lange nachgegrübelt hatte. Konnte das die Antwort ihres Vaters auf ihre Bitte sein?

      XLIX. Das Gold auf der Schäre

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem Wege nach dem Meer.

       Freitag, 7. Oktober.

      Die Wildgänse waren, seit sie ihre Herbstreise angetreten hatten, beständig geradeswegs gen Süden geflogen; aber als sie Fryksdalen verließen, schlugen sie eine andere Richtung ein und flogen über das westliche Värmland und Dalsland auf Bohuslän zu. Das wurde eine vergnügliche Reise. Die jungen Gänse hatten nun so gute Übung im Fliegen bekommen, daß sie nicht mehr über Müdigkeit klagten, und Niels Holgersen gewann allmählich seine gute Laune wieder. Er war froh, daß er mit einem Menschen gesprochen hatte, denn es hatte ihn aufgemuntert, daß die Schriftstellerin zu ihm gesagt hatte, wenn er nur so wie bisher fortfahre, gut gegen alle zu sein, könne es ihm nicht schlecht ergehen. Wie er seine rechte Gestalt wieder erlangen würde, das konnte sie ihm nicht sagen, aber sie hatte ihm einen guten Teil von seiner alten Hoffnung und seinem Vertrauen wiedergegeben und das bewirkte sicher, daß er jetzt ausfindig gemacht hatte, wie er den großen Weißen von der Rückkehr in die Heimat abhalten konnte.

      »Weißt du was, Gänserich Martin,« sagte er, während sie hoch oben in der Lust dahinflogen, »es wird doch gewiß recht langweilig für uns, wenn wir den ganzen Winter zu Hause bleiben sollen, jetzt, wo wir eine solche Reise mitgemacht haben. Ich überlege gerade, ob wir nicht mit den Wildgänsen ins Ausland reisen sollten.«

      »Das kann doch nicht dein Ernst sein,« sagte der Gänserich und erschrak sehr, denn jetzt, wo er gezeigt hatte, daß er imstande war, mit den Wildgänsen ganz bis nach Lappland hinaufzufliegen, hatte er nichts mehr dagegen, sich wieder in der Gänsebucht in Niels Holgersens Kuhstall zur Ruhe zu setzen.

      Der Junge saß eine Weile schweigend da und sah auf Värmland hinab, wo alle Birkenwälder und Haine und Gärten in herbstlich gelben und roten Farben prangten, und wo die langen Seen dunkelblau zwischen den gelben Ufern lagen. »Ich glaube, ich habe die Erde noch nie so schön unter uns liegen sehen wie heute,« sagte er. »Die Seen sind rein lichtblaue Seide, und die Ufer wie breite goldene Bänder. Findest du nicht auch, daß es ein Jammer wäre, wenn wir uns in Vester Vemmenhög niederließen und nicht noch mehr von der Welt zu sehen bekämen?«

      »Ich glaubte, du wolltest nach Hause zu deinem Vater und deiner Mutter und ihnen zeigen, was für ein tüchtiger Junge du geworden bist,« entgegnete der Gänserich. Den ganzen Sommer hindurch hatte er davon geträumt, welch stolzer Augenblick es sein würde, wenn er sich vor Holger Nielsens Haus auf dem Hofplatz niederlassen und den Gänsen und den Hühnern und den Kühen und der Katze und Mutter Nielsen selbst seine Daunenfein und die sechs Jungen zeigen würde! Daher war er nicht sonderlich froh über den Vorschlag des Jungen.

      Die Wildgänse hielten an diesem Tage mehrmals längere Rast, denn überall fanden sie so herrliche Stoppelfelder, daß sie sich kaum entschließen konnten, sie zu verlassen, und so erreichten sie Dalsland erst um Sonnenuntergang. Sie flogen über den nordwestlichen Teil der Landschaft, und da war es noch schöner als in Värmland. Es war da so voller Seen, daß das Land wie kleine spitze Hügel dazwischen lag. Der Boden war nicht zum Kornbau geeignet, um so besser aber gediehen die Bäume, und die steilen Talwände lagen wie wunderschöne Gärten da. In der Luft oder im Wasser mußte irgend etwas sein, was das Sonnenlicht festhielt, nachdem die Sonne schon hinter den Bergrücken hinabgesunken war. Goldige Streifen schimmerten über dem dunklen, blanken Wasserspiegel und über der Erde zitterte ein heller, rosenroter Schein, aus dem gelblichweiße Birken, hellrote Eschen und rotgelbe Vogelbeerbäume aufragten.

      »Findest du nicht auch, Gänserich Martin, daß es langweilig sein wird, wenn wir nie wieder etwas so Schönes zu sehen bekommen?« fragte der Junge. – »Ich mag lieber die fetten, flachen Felder in Schonen sehen als diese mageren Waldhügel,« antwortete der Gänserich. »Aber du kannst dir doch denken, daß, wenn du die Reise durchaus fortsetzen willst, ich mich nicht von dir trennen werde.« – »Die Antwort habe ich von dir erwartet,« sagte der Junge, und man konnte es seiner Stimme deutlich anhören, daß ihm ein schwerer Stein vom Herzen fiel.

      Als sie dann über Bohuslän dahinflogen, sah der Junge, daß die Hochebenen zusammenhängender wurden; die Täler lagen da wie schmale Schluchten, die in den Grund der Berge gesprengt waren, und die langen Seen auf dem Talboden waren so schwarz, als kämen sie aus der Tiefe der Erde. Auch dies war eine herrliche Landschaft, und so wie der Junge sie jetzt sah, bald mit einem kleinen Sonnenstreif darüber, bald im Schatten liegend, fand er, daß sie etwas Wildes und Eigentümliches hatte. Er wußte nicht, woher es kam, aber es fiel ihm ein, daß hier in alten Zeiten starke und tapfere Recken gelebt haben mußten, die viele gefährliche und kühne Abenteuer in diesen geheimnisvollen Gegenden ausgeführt hatten. Die alte Lust, etwas Merkwürdiges zu erleben, erwachte in ihm. »Es ist nicht unmöglich, daß mir die Spannung, jeden, oder doch jeden zweiten Tag in Lebensgefahr zu schweben, fehlen wird,« dachte er. » Es ist gewiß am besten, wenn ich damit zufrieden bin, wie es nun einmal ist.«

      Davon sagte er jedoch nichts zu dem großen Weißen, denn die Gänse flogen mit der größten Geschwindigkeit, die ihnen möglich war, über Bohuslän dahin, und der Gänserich war so außer Atem, daß er kein Wort hervorbringen konnte. Die Sonne stand unten am Horizont, und hin und wieder verschwand sie hinter einer Bergspitze, aber die Wildgänse flogen so schnell, daß sie sie immer von neuem wiedersahen.

      Endlich gewahrten sie im Westen einen blanken Streifen, der mit jedem Flügelschlag wuchs und breiter wurde. Es war das Meer, das milchweiß dalag, mit rosenroten und himmelblauen Streifen, und als sie an den Klippen am Strande vorüberflogen, erblickten sie abermals die Sonne, die jetzt groß und rot am Himmelsrand hing, bereit in die Wellen hinabzutauchen.

      Aber als der Junge das freie, unendliche Meer sah und die rote Abendsonne, die mit einem so milden Glanz schimmerte, daß er gerade in sie hineinsehen konnte, da zogen Friede und Sicherheit in seine Seele ein. »Es hat gar keinen Zweck, betrübt zu sein, Niels Holgersen,« sagte die Sonne. »Es ist herrlich, auf der Welt zu leben, für Große wie für Kleine. Es ist auch gut, frei und frank zu sein

Скачать книгу