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Namen zu nennen – verwahrlost. Um es in Ordnung zu bringen, werden Sie eine Menge Geld hineinstecken müssen, mein gnädiges Fräulein.«

      »Das ist vorhanden«, erklärte Frauke kurz. »Jedenfalls soviel, um die größten Schäden zu beheben. Alles andere wird nach und nach erfolgen.«

      »Das freut mich«, atmete der Mann sichtlich auf. »Denn das Anwesen war immer ein Schandfleck unseres schmuc­ken Dorfes, das jährlich immer mehr Sommergäste anzieht. Ein Glück, daß dieses – na ja – nicht im Mittelpunkt, sondern an der Grenze liegt.«

      »So daß die Dörfler es verleugnen können«, warf Frauke trocken ein, was den Mann verlegen machte. »Hat mein Onkel wenigstens ein anständiges Begräbnis gehabt?«

      »Aber gewiß, gnädiges Fräulein«, beeilte er sich zu versichern. »Der Herr Professor hatte ja eigens dafür eine Summe bestimmt, die wir in einem versiegelten Umschlag auf dem Schreibtisch fanden. Ich habe alle Ausgaben gewissenhaft vermerkt und die Rechnungen beigefügt.«

      Er stand auf und trat an den Geldschrank, dem er einen versiegelten Umschlag nebst einigen Schlüsseln entnahm. Mit einer Verbeugung überreichte er es Frauke, die es in die Handtasche gleiten ließ.

      »Ich danke Ihnen, Herr Gemeindevorsteher, für die Mühe, die Sie mit meinem Onkel gehabt haben.«

      »Aber bitte, gnädiges Fräulein, ich tat nur meine Pflicht. Wenn Sie meine Hilfe benötigen sollten, ich stehe Ihnen gern zu Diensten.«

      »Danke. Welchen Weg müssen wir einschlagen, um zu dem Anwesen zu gelangen?«

      »Über den Marktplatz, dann rechts ab und immer die Straße entlang bis zum letzten Haus linker Hand. Nun möchte ich die Damen in unserm grünen Dorf willkommen heißen und Ihnen alles Gute wünschen.«

      »Phrasen«, sagte Frauke verächtlich, nachdem sie mit ihren Begleiterinnen das Amtszimmer verlassen hatte. »Der Mann machte so den Eindruck, als hätte er uns gern abgeschoben. Nichts da, mein Lieber, wir bleiben. Doch zuerst gehen wir in die ›Grüne Gans‹, um unseren Hunger zu stillen.«

      *

      Der Raum, den sie gleich darauf betraten, war niedrig und langgestreckt. Alles darin blitzte vor Sauberkeit. Sie nahmen an einem der breiten Fenster Platz, von dem aus sie den Marktplatz übersehen konnten. Und schon watschelte ein Dicker auf seine einzigen Gäste zu.

      »Guten Tag, die Damen. Was ist gefällig?«

      »Ein gutes und reichliches Mahl, Herr Wirt.«

      »Die Damen werden zufrieden sein«, reichte er ihnen dienernd die Speisekarte hin. »Bitte zu wählen.«

      Sie wählten alle drei dasselbe, das sich als reichlich und schmackhaft erwies. Kalbsschnitzel mit gemischtem Salat und als Dessert eingeweckte Kirschen. So richtig gesättigt legten sie sich in die bequemen Polsterstühle zurück, und Frauke griff zur Zigarette. Ein Laster, dem sie allerdings nur als sogenannte Sonntagsraucherin frönte. Hulda rauchte natürlich nicht und Ortrun als bisheriger Internatszögling schon gar nicht.«

      »Nun laßt uns mal beraten, was wir beginnen sollen«, sprach Frauke leise, um von den gespitzten Ohren des Wirtes hinter Theke nicht gehört zu werden. »Am besten ist, wir belegen hier Zimmer. Denn in dem verwahrlosten Haus, wie es der Gemeindevorsteher so liebenswürdig betitelte, werden wir vorerst wohl nicht übernachten können. Was meint ihr zu meinem Vorschlag?«

      »Für ein oder auch zwei Nächte ist er annehmbar«, brummte Hulda. »Aber länger nicht. Bedenke, daß so ein Hotel sündhaft teuer ist und daß wir sparen müssen. Denn nach den Andeutungen des Gemeindevorstehers zu schließen, muß deine ererbte Villa ja ein richtiges – na ja – sein, dessen Instandsetzung dein Portemonnaie auffressen wird.«

      »Ganz Hulda«, lachte Frauke hell auf, was dem Wirt ein Schmunzeln entlockte. Na, die konnte vielleicht lachen! War überhaupt ein blitzsauberes Frauenzimmerchen, schien was Besseres zu sein.

      Und die andere? Olala! Die war wie ein Mairöslein, so taufrisch und duftig. Augen so blau wie der Frühlingshimmel, Haare wie Sonnenstrahlen und ein Figürchen wie ein Elflein so zart und fein.

      Und die dritte? Knochen wie ein Kürassierpferd und ein Gesicht wie eine bissige Dogge.

      Diese Betrachtungen unterbrach ein Herr, der soeben eintrat. Wie Jung-Siegfried anzuschaun, so groß, so sehnig und so blond. Blaue Augen blitzten in einem kantigen Gesicht. Er trug eine Reithose, Stiefel und eine grüne Joppe, die ihm vorzüglich stand. Als er die drei Gäste bemerkte, stutzte er. Das waren doch seine Mitreisenden aus dem D-Zug. Wahrscheinlich die ersten Feriengäste.

      »Guten Tag, Herr Doktor«, grüßte der Wirt wohlwollend. »Ein Bierchen gefällig?«

      »Jawohl. Und ein kräftiges Mittagessen dazu«, entgegnete eine tiefe, wohllautende Stimme. »Bei meiner Wirtin bekomme ich heute nichts, die sitzt beim Zahnarzt.«

      »Um sich den Speilzahn ziehen zu lassen?«

      »Werden Sie hier nicht boshaft«, lachte der Gast, indem er Platz nahm. Der Wirt jedoch kugelte ab. Bestellte durch ein Klappfenster das Essen, füllte ein Seidel mit Bier, das er vor den Herrn stellte. Gern hätte er noch mit ihm ein Schwätzchen gemacht, doch dazu ließen ihm die Mittagsgäste keine Zeit, die rasch hintereinander eintraten. Frauke gelang gerade noch, für die Nacht Zimmer zu bestellen, dann tauchte der Wirt zwischen den Tischen unter, und die drei weiblichen Gäste entfleuchten.

      »Puh!« Frauke blies draußen die Backen auf. »Es war das reinste Spießrutenlaufen durch das besetzte Lokal. Und alles Mannsleut. So viele auf einem Haufen hab ich schon lange nicht mehr gesehen. Und nun kommt, damit wir den Schandfleck des grünen Dorfes in Augenschein nehmen.«

      Hurtig schritten sie fürbaß. Die Köfferchen hatten sie mitgenommen, weil sich darin auch Schürzen befanden, die Hulda vorsorglich eingepackt hatte. Und wie notwendig die waren, sollte sich bald herausstellen.

      Nachdem sie eine Strecke zurückgelegt hatten, bog die Straße in scharfer Kurve links ab und ein Schloß wurde sichtbar, das sich wie ein Wahrzeichen auf einer Anhöhe erhob, auf der saftiges Weidegras wuchs, das weithin leuchtete in seinem jungen Grün. Auf ebenem Grund jedoch standen Bäume so dicht, daß es von weitem aussah, als wären ihre Kronen zusammengewachsen.

      »Wenn das da man nicht der Park ist, der unsere Villa umschließt«, brummte Hulda ahnungsvoll, und Frauke nickte bang.

      »Scheint mir auch so. Na, machen wir uns auf alles gefaßt. Ärger als arg wird’s schon nicht werden.«

      Und dann standen sie vor einem Anwesen, das man nicht nur mit verwahrlost sondern auch mit düster bezeichnen konnte. Hinter dem wackligen Zaun wucherten Bäume, durch die man sich schlängeln mußte, um zum Wohnhaus zu gelangen, das grau und böse dastand.

      Wie drohend blickten die verschmutzten, gardinenlosen Fenster, deren Rahmen kaum noch Farbe aufwiesen. Schief hingen die Laden in den Angeln. Ein unheimliches Haus, an dem nur die feste Tür in Ordnung war, deren gutgeöltes Schloß sofort nachgab, als Frauke den großen Schlüs­sel herumdrehte.

      Als sie den Vorraum betraten, schlug es ihnen wie Grabesluft entgegen, so kalt und feucht. Laut hallten ihre Schritte auf dem Steinboden wider.

      »Scheußlich!« schauerte Frauke zusammen. »Wie in einer Gruft. Hast du Angst, Ortrun?«

      »Warum denn, Frauke?« fragte sie verwundert zurück, und Hulda brummte:

      »Vor dem Dreck natürlich. Der klebt an den Scheiben so dick, daß kein Sonnenstrahl durchbrechen kann. Und die Möbel erst. Die erkennt man vor Staub kaum. Sind die Flügeltüren nun schwarz oder weiß?«

      »Das werden wir feststellen, wenn du sie mit Bürste und Seife geschrubbt hast«, lachte Frauke, obwohl ihr zum Lachen nicht zumute war. »Fassen wir uns ein Herz und gehen wir weiter.«

      Langsam durchschritten sie die drei Räume, die alle möbliert, aber wahrscheinlich schon lange nicht mehr benutzt worden waren. Gut, daß die Polster Schonbezüge trugen und es stark nach Mottenpulver roch. Sonst hätten die Schädlinge gute Beute gehabt.

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