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da sagte: Blinder, tu die Augen

      auf, Heirat ist kein Pferdekauf.

      *

      Geschickt lenkte der Tierarzt seinen schmucken Wagen von dem Privatweg in die Dorfstraße und fuhr langsam an dem vom Herrn Gemeindevorsteher verächtlich bezeichneten Haus vorbei, das jetzt ein gepflegter Vorgarten von der Straße trennte. Gunder war in den vergangenen Wochen hier nicht vorbeigekommen. War, wenn er ins Schloß wollte, die andere Straße gefahren, weil er immer dort in der Nähe zu tun hatte. Nun staunte er nicht wenig, was aus dem düsteren, verwahrlosten Anwesen geworden war. Es sah direkt einladend aus. Schien dem Beschauer zu winken: Komm, tritt ein, bei mir wohnt der Frohsinn und das Lachen.

      Und das stimmte, es wurde hier viel und herzlich gelacht. Warum auch nicht? Sie hatten ja nichts auszustehen, die hier wohnten. Hatten ein schönes Zuhause, ein gutes Auskommen, waren gesund und harmonierten prächtig miteinander. Aus der scheuen, verschlossenen Ortrun Danz war ein frischfröhliches Menschenkind geworden, das sich ein schöneres Leben gar nicht denken konnte.

      Daher traf es sie wie ein grausamer Schlag, als an einem Sonntagvormittag das Ehepaar Danz mit Tochter nebst Schwiegersohn erschien, um Ortrun abzuholen. Todblaß, mit schreckgeweiteten Augen stand das Mädchen da. Wich wie entsetzt vor dem Onkel zurück, der es mit väterlicher Umarmung begrüßen wollte. Das nahm Ajax übel, der das liebe Frauchen bedroht glaubte und knurrend sein gefährliches Gebiß zeigte. Hulda nahm ihn beim Halsband, zog ihn in die Küche, und Ortrun lief einfach davon.

      »Ja, was hat sie denn?« fragte Danz ärgerlich. »Warum läuft sie denn vor uns davon. Das ist doch keine Art für einen wohlerzogenen Menschen.«

      »Kommen Sie bitte erst einmal weiter«, sagte Frauke, welcher der Auftritt peinlich war. »Dann werde ich Ihnen das sonderbare Benehmen Ortruns erklären.«

      Sie führte die Gäste in den Salon, wo man in den brokatüberzogenen Sesseln Platz nahm, steif und reserviert, bis auf den Arzt. Eine mittelgroße, stämmige Erscheinung, mit einem offenen, gutmütigen Gesicht. Als Frauke fragte, ob sie eine Erfrischung anbieten dürfte, sagte er frei heraus:

      »Einen Schnaps, gnädiges Fräulein, den ich als Fahrer nicht trinken durfte bei dem kleinen Imbiß, den wir unterwegs einnahmen. So bin ich denn satt aber durstig.«

      »Den Durst können Sie gleich stillen, Herr Doktor«, entfernte sie sich, und Frau Danz sagte ärgerlich:

      »Wenn ich gewußt hätte, daß Ortrun uns so empfangen würde, wäre ich gar nicht mitgekommen.«

      »Ich auch nicht«, bekräftigte die Tochter, ein hübsches, etwas molliges Persönchen. »Am liebsten möchte ich gleich wieder aufbrechen.«

      »Na, nun mal langsam!« sagte der Gatte pomadig. »Warten wir erst mal ab, bis die charmante junge Dame uns die Ungezogenheit des kleinen Mädchens erklärt hat.«

      Was Frauke denn auch tat, nachdem sie die Gäste mit einer Erfrischung versorgt hatte. Sie gab sich gewissermaßen einen Ruck und sprach dann freiweg:

      »Ich kann mir denken, wie befremdet Sie über Ortruns Betragen sind. Aber als sie hörte, daß sie mit Ihnen kommen sollte, ließ das sie kopfscheu werden.«

      »Ja, warum denn in aller Welt«, entgegnete der Notar ungehalten. »Es war doch ausgemacht, daß Ortrun nur solange hier bleiben sollte, bis die Gefahr mit dem Zerkel vorüber war. Und die ist jetzt vorüber. Er hat sich vor ein paar Tagen verlobt, nachdem er von Ortrun nichts zu erwarten hatte. Das habe ich ihm ausdrücklich klargemacht, als er bei mir erschien, um bei mir um das Mädchen anzuhalten. Ich habe ihn ganz nett abgeblitzt. Weiß Ortrun übrigens, warum ich sie Ihnen damals mitgab, Fräulein Frauke?«

      »Ja, Herr Doktor, ich habe es ihr kürzlich erzählt.«

      »Und was sagte sie darauf?«

      »Daß sie dem Zerkel dankbar wäre. Denn ohne ihn wäre sie nicht hierher gekommen, wo sie sich glücklich fühlt. Darum war sie so verstört, als Sie plötzlich erschienen, um sie abzuholen.«

      »Ach so ist das«, brummte der Notar besänftigt. »Und was machen wir nun?«

      »Sie hierlassen«, bemerkte der Schwiegersohn trocken. »Damit ersparst du dir Ärger und Verdruß.«

      »Wie soll ich das verstehen?«

      »Ganz einfach, Papa. Wenn du die Kleine zwingen würdest, in dein Haus zurückzukehren, würde sie dir wohl folgen, aber sehnsüchtig auf den Tag warten, wo sie mündig wird. In gleicher Stunde liefe sie dir dann davon an den Ort ihrer Sehnsucht. Habe ich recht, gnädiges Fräulein?«

      »Und wie, Herr Doktor.«

      »Na also. Ich kann das kleine Mädchen verstehen, daß es sich hier so wohlfühlt, ich täte es auch.«

      Da mußte man lachen, prostete sich zu, und schon wurde es gemütlich. Frau Danz und ihre Tochter, die viel auf Äußerlichkeiten gaben, ließen immer wieder ihre Blicke verstohlen umherschweifen. Doch den Salon mit den kostbaren Möbeln und dem Stutzflügel in Weiß und Gold, durch die weitgeöffnete Flügeltür, die einen Teil des Speisezimmers freigab, während man durch die gegenüberliegende Tür in die Bibliothek schauen konnte. Doch während die beiden Damen das alles schweigend in sich aufnahmen, sprach der Notar das aus, was sie dachten:

      »Ich muß schon sagen, Fräulein Frauke, daß ich mir Ihr geerbtes Haus denn doch anders vorstellte. Das ist ja wie ein Schmuckkästchen.«

      »Jetzt, Herr Doktor. Aber als wir herkamen…«

      Und sie erzählte, wie sie alles vorgefunden hatten. Wie sie sich keine Mühe verdrießen ließen, aus dem »Schandfleck« das schmuckste Anwesen des Dorfes zu machen. Immer wieder hob sie Michel lobend hervor, ohne den alles wohl nicht so gutgegangen wäre. Sie sprach auch über den Professor, seinen Diener, und höchst interessiert hörten die andern zu. Dann fragte der Notar:

      »Und bei alledem hat Ortrun mitgeholfen?«

      »O ja. Man kann schon sagen, daß sie mit Leib und Seele dabei war. Daher hängt sie ja auch an allem hier so sehr, fühlt sich hier glücklich und geborgen. Wenn sie fort müßte, ich glaube, ihr würde vor Jammer das Herz brechen.«

      »Das will ich ja nun nicht«, zog der Notar unbehaglich die Schultern hoch. »Also mag sie weiter hier bleiben. Wer weiß, wozu das gut ist.«

      *

      Frauke erschien in der Küche, wo Ortrun saß und ihr aus dickverweinten Augen entgegensah. Hulda hantierte am Herd, und die Töpfe bekamen ihren Grimm zu spüren. Jetzt ließ sie davon ab, legte die Hände in die Hüften und legte los:

      »Das sage ich dir, Frauke. Wenn du zuläßt, daß sie unser Kind mit sich schleifen, dann sind wir geschiedene Leute.«

      »Ist dir nun wohler?«

      »Schäm dich mal, über etwas zu lachen, worüber sich andere die Augen aus dem Kopf weinen. Das Kind bleibt hier!«

      »Aber ja doch, Huldchen, da brauchst du doch nicht so zu schreien. Ortrun bleibt hier, und zwar mit Genehmigung ihres Vormunds.«

      »Ist das auch wirklich wahr?«

      »Wahr und wahrhaftig. Doktor Danz hat nämlich eingesehen, daß Ortrun hier schon mit allem viel zu fest verwachsen ist, als daß man sie losreißen könnte. Das würde nur Herzwunden geben und zu nichts weiter als zu gegenseitiger Erbitterung führen.«

      »Dann ist ja alles in Ordnung«, wandte Hulda sich wieder ihren Töpfen zu, in denen es brodelte und brutzelte. »Kannst deine Gäste zu Mittag einladen, es ist genug von allem da.«

      »Kann ich auch beruhigt sein, daß du nicht Arsenik in die Speisen mischst?« fragte Frauke lachend.

      »Jetzt nicht mehr, jetzt ist die Gefahr vorüber.« Sprachs und hantierte hurtig weiter, während Frauke sich Ortrun zuwandte und weich über das wunderschöne Haar strich, das wie Bernstein gleißte und naturgewellt zwanglos über den Nacken fiel. Eine Zierde, die fast einmalig war.

      »Du Dummes«, sagte Frauke zärtlich. »Wie kann man

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