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und die Hände des Mädchens sanft an seine Brust drückend, setzt er mit einem prachtvollen Sprung über die Köpfe der Bauern weg. Pistolenkugeln knallen um ihn, ohne ihn zu treffen, und bald steht er frei auf dem nächsten Bergabhang. Da lässt er, von dem kläglichen Flehen des Mädchens gerührt, sie sacht zur Erde niedergleiten. „So sehr ihr die ritterliche Huldigung des Fremden geschmeichelt hatte und eine so traurige Figur ihr Schatz neben ihm spielte — eine solide Versorgung konnte sie von diesem reitenden Ausländer nicht erwarten“. Ihre praktische Natur trägt den Sieg davon, und wie eine gejagte Gemse springt sie von Stein zu Stein, ihrem Schneider in die Arme. Ein Ausdruck göttlichen Hohnes gleitet über die Mienen des Centauren hin, man sieht ihn sich entfernen, und bald nachher verschwindet er den nachstarrenden Blicken.

      Hier schweigt Genelli, der kleine Kreis bricht auf, und der Dichter erwacht in der Vorstube des Weinhändlers.

      Alle Eigenschaften, die das Lesen eines Dichterwerkes zu einem Genusse machen, scheinen mir in diesem Märchen vereint: ein hoher Humor, der einen milden Schimmer über alle Einzelheiten wirft, die zartesten Halbtöne und das feinste Helldunkel das die Handlung vom Lichte des Tages in einen Traum von lauter Verstorbenen hinübergleiten lässt, um dann wieder das Zwielicht der Schattenwelt von einem Sonnenstrahl des alten Hellas erhellen zu lassen. Hierzu kommt eine tiefe, für ihren Dichter ganz eigenthümliche Idee. Denn dieser Scherz ist ja in vollem Ernste ein Hymnus auf die Freiheit in der Kunst wie im Leben, und auf die Freiheit, wie Heyse sie immer aufgefasst hat. Für ihn besteht die Freiheit nicht (wie z. B. für Henrik Ibsen) im Kampfe für die Freiheit, sondern sie ist auf dem religiösen Gebiete der Protest der Natur gegen das Dogma, auf dem gesellschaftlichen und sittlichen Gebiete der Protest der Natur gegen die Convenienz. Durch Natur zur Freiheit! das ist sein Weg und seine Losung. So wird der Centaur als halb Naturwesen, halb Gottheit seiner Phantasie ein theures Sinnbild. Wie schön ist der Centaur in seiner stolzen Kraft durch den Rest altgriechischen Blutes, das er in seinen Adern bewahrt hat! Was muss er nicht Alles ertragen, der Arme, für den Rest Heidenthum, das in ihm wiedererstanden ist, das einige tausend Jahre eingefroren war, aber in unseren Tagen, da die Gletscher zu schmelzen beginnen, aufs Neue erwacht ist und sich an's Tageslicht hinaus wagt! Viel lehrreicher, viel gesetzter und moralischer findet die ganze civilisirte Umgebung seine interessanten Rivalen, die ausgestopften Kälber mit zwei Zungen und fünf durchaus nicht zum Fortschreiten bestimmten, höchst conservativen und ihren Platz conservirenden Beinen. Diese „Merkwürdigkeiten“ übertreten nie eine bürgerliche Sitte, lassen sich nur mit Erlaubniss der Obrigkeit und Geistlichkeit sehen, und sind darum nicht minder ungewöhnlich. Sie werden ewig die Rivalen des Centauren bleiben, von Einigen als ihm ebenbürtig, von Vielen als ihn weit überstrahlend betrachtet.

      Und ist der Dichter auf seinem Flügelrosse in dieser kleinlichen modernen Gesellschaft nicht leibhaftig „der letzte Centaur“?

       Inhaltsverzeichnis

      Ich habe einige Aeusserungen über Heyse aufgezeichnet, günstige und ungünstige durcheinander, ächte Stimmen aus dem Publikum.

      „Heyse“, sagte Einer, „Das ist der Frauenarzt, der deutsche Frauenarzt, der das Goethe'sche Wort:

      Es ist ihr ewig Weh und Ach

       So tausendfach u. s. w.

      gründlich verstanden hat. Dass er kein Dichter für Männer ist, das hat Fürst Bismarck richtig gefühlt“.

      „Im Gegentheil“, sagte ein Anderer, „Paul Heyse ist sehr männlich. Man findet ihn weich, weil er anmuthig ist, weil eine vollendete Grazie seinen Schöpfungen ihr Gepräge verliehen hat. Man ahnt nicht, wie viel Kraft erforderlich ist, um diese Anmuth zu haben!“

      „Was ist Heyse?“, sagte ein Dritter, „ein Kleinstädter, der so lange mit Berlin, dem Weltleben und der Politik Verstecken gespielt hat, dass er sich unserer Gegenwart entfremdet hat und sich nur unter Troubadouren in der Provence zu Hause fühlt. Ich wittere immer aus seinen Schriften den Provençalen und Provinzialisten heraus“.

      „Dieser Heyse“, bemerkte ein Vierter, „hat trotz seiner fünfzig Jahre und seiner dichterischen Reife die Schwäche, uns durchaus überreden zu wollen, dass er ein unmoralischer, lüsterner Poet sei. Aber kein Mensch glaubt es ihm. Das ist seine Strafe“.

      „Ich bin in meinem Leben nie so beneidet worden“, sagte in meiner Gegenwart eine alte Jugendfreundin Heyse's, „wie heute, als in einer höheren Töchterschule, die ich besuchte, sich das Gerücht verbreitet hatte, ich würde heute Abend mit ihm in einer Gesellschaft zusammen treffen. Die Backfische haben mir einstimmig aufgetragen, ihm ihre begeisterten Grüsse zu bringen. Wie gerne wären sie ihm sämmtlich um den Hals gefallen! Er ist und bleibt der vergötterte Lieblingsdichter der jungen Mädchen“.

      „Man kann“, sagte ein Kritiker, „Paul Heyse als den Mendelssohn-Bartholdy der deutschen Poesie definiren. Er erscheint wie Mendelssohn nach den grossen Meistern. Sein Wesen ist wie dasjenige Mendelssohns ein deutsches lyrisches und sinniges Naturell mit der feinsten, südländischen Bildung durchdrungen. Beiden fehlt der grosse Pathos, die durchgreifende Gewalt, der Sturm des dramatischen Elements; aber beide haben natürliche Würde im Ernst, reizende Liebenswürdigkeit und Anmuth im Scherz, beide sind sie durchgebildet in der Form, Virtuosen in der Ausführung“.

       (1882.)

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      In der Berliner permanenten Kunstausstellung erregten im Frühling 1878 eine Reihe Federzeichnungen Aufmerksamkeit. Sie waren betitelt: „Phantasien über einen gefundenen Handschuh, der Dame, die ihn verlor, gewidmet“. Ihre Originalität war so tief und so barock, sie waren so unähnlich Allem, was man früher in dieser Art gesehen, dass kein Besucher gleichgiltig daran vorbeiging. Der gewöhnliche Berliner war allerdings nicht ganz klar darüber, ob dies Genialität oder Wahnwitz sei; ein und der andere Siebengescheidte murmelte „Fliegende Blätter-Illustrationen“ zwischen den Zähnen; aber mehrere von den Künstlern und Kritikern, deren Kunstsinn nicht durch das Althergebrachte bestimmt wird, stutzten, vertieften sich in die Bilder und bewunderten das Talent, das in diesem ersten Aufleuchten sich fast blendend offenbarte. Der Name des Künstlers war Max Klinger, und er war erst 21 Jahre alt.

      Diese Blätter sind voriges Jahr erschienen in einem Cyclus meisterhaft ausgeführter Radierungen „Ein Handschuh. Rad. Op. VI“ ausnahmsweise im Selbstverlag des Künstlers, da er kein grosses allgemeines Interesse an einer Arbeit von so persönlichem Charakter erwarten konnte. Hier eine kurze Beschreibung davon.

      1. und 2. Berlins Skating-Rink, die Gesellschaft, die damals diesen Sport betrieb, genau porträtirt — darunter der Künstler selbst, hoch, von militärischer Haltung, mit seinen dichten, gekrausten Haaren, die den Kopf wie eine Pelzmütze bedecken — und eine junge ausgezeichnet schöne Dame, eine Brasilianerin, die in jener Zeit durch ihre Schönheit und ihr graziöses Laufen das Interesse der Zuschauer auf sich lenkte. Die junge Dame verliert beim Dahinsausen einen langen weissen Handschuh mit sechs Knöpfen; der junge Künstler bückt sich im Laufen und hebt ihn auf, vermuthlich, um ihn in der Tasche zu bergen, die dem Herzen am nächsten ist.

      3. Ein niedlicher kleiner Cupido sitzt halb abgewandt neben einem Rosenbusch, von welchem schwere, grosse Rosen herabhängen.

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