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Form mitzutheilen, sie so zu sagen harmonisch zu rhythmisiren, entspringt unmittelbar aus Heyse's durch und durch harmonischer Natur. Die Novellenform, wie er sie zugeschnitten und ciselirt hat, ist eine völlig originale und selbständige Schöpfung, sein wahres Eigenthum. Darum ist er auch besonders durch die Prosanovelle populär geworden. Seine Novelle hat immer äusserst wenige und einfache Factoren, die Anzahl der Personen ist gering, die Handlung gedrängt und mit einem einzigen Blick überschaubar. Aber die Fabel ist nicht allein um der Personen willen da, wie in den modernen französischen Novellen, die nur ein psychologisches oder physiologisches Interesse befriedigen wollen; sie hat ihren eigenthümlichen Entwicklungsgang und ihr selbständiges Interesse. Eine Novelle wie die durch die altväterliche Anmuth des Stils so reizende „Abendscene“ Christian Winther's[19] hat den Mangel, dass nichts in ihr geschieht. Die Novelle ist bei Heyse nicht ein kleines Zeitbild oder Genrebild; es geschieht Etwas, und es geschieht immer etwas Unerwartetes. Die Handlung ist in der Regel so angelegt, dass an einem gewissen Punkt ein unvorhergesehener Umschlag eintritt, eine Ueberraschung, die, wenn der Leser zurückdenkt, sich immer als in dem Vorhergehenden gründlich und sorgfältig motivirt erweist. An diesem Punkt spitzt sich die Handlung zu; hier laufen ihre Fäden in einen Knoten zusammen, aus welchem sie in entgegengesetzter Richtung sich weiter spinnen. Der Genuss des Lesers beruht auf der Kunst, womit der Zweck, den die Handlung erstrebt, gradweise immer mehr und mehr verschleiert und verdeckt wird, bis die Hülle plötzlich fällt. Seine Ueberraschung beruht auf der Gewandtheit, mit welcher er anscheinend mehr und mehr von dem gerade über dem Ausgangspunkt liegenden Endpunkte entfernt wird, bis er schliesslich entdeckt, dass er in einer Spirallinie geführt worden ist und sich direkt über dem Punkte befindet, wo die Erzählung anfing.

      Heyse hat selbst in der Einleitung zu seinem „Deutschen Novellenschatz“ sich über das Princip ausgesprochen, dem er in der Novellencomposition huldigt. Hier wie in der Einleitung zur „Stickerin von Treviso“, macht er denen gegenüber, die das ganze Gewicht auf Stil und Vortrag legen wollen, darauf aufmerksam, dass die Erzählung als Erzählung, was Kinder die Geschichte nennen, doch die nothwendige Grundlage der Novelle ist und bleibt und ihre eigenartige Schönheit hat. Er betont, dass er nach seiner Aesthetik der Novelle den Vorzug gebe, deren Grundmotiv sich am deutlichsten abrundet und — mehr oder weniger gehaltvoll — etwas Eigenartiges, Specifisches schon in der ersten Anlage verräth. „Eine starke Silhouette“, fährt er fort, „dürfte dem, was wir im eigentlichen Sinn Novelle nennen, nicht fehlen“.[20] Mit dem Ausdruck Silhouette meint Heyse den Grundriss der Geschichte, wie eine gedrängte Inhaltsangabe ihn nachweist, und er veranschaulicht durch ein treffendes Beispiel und eine treffende Bezeichnung seinen Gedanken. Er führt die Inhaltsangabe einer Novelle Boccaccio's an:

      „Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden; in ritterlicher Werbung verschwendet er all' seine Habe und behält nur noch einen einzigen Falken; diesen, da die von ihm geliebte Dame zufällig sein Haus besucht und er sonst nichts hat, ihr ein Mahl zu bereiten, setzt er ihr bei Tische vor. Sie erfährt, was er gethan, ändert plötzlich ihren Sinn und belohnt seine Liebe, indem sie ihn zum Herrn ihrer Hand und ihres Vermögens macht“.

      Heyse hebt hervor, dass in diesen wenigen Zeilen alle Elemente einer rührenden und erfreulichen Novelle liegen, in der das Schicksal zweier Menschen durch eine äussere Zufallswendung, die aber die Charaktere tiefer entwickelt, auf's liebenswürdigste sich vollendet, und er fordert darum auch den modernen Erzähler auf, selbst bei dem innerlichsten oder reichhaltigsten Stoffe sich zuerst zu fragen, wo „der Falke“ sei, das Specifische, das diese Geschichte von tausend andern unterscheidet.

      Er hat in der Forderung, die er an die Novelle richtet, insbesondere die Aufgabe charakterisirt, die er sich selbst gestellt und die er erfüllt hat. Er zieht den bizarren Fall dem typisch alltäglichen vor. Man kann in der Regel so sicher sein in seinen Prosaerzählungen einen „Falken“ zu finden, wie jener Untersuchungsrichter es war, hinter jedem Verbrechen eine Frau zu entdecken. In „L'Arrabbiata“ ist der Biss in die Hand der „Falke“, im „Bild der Mutter“ die Entführung, in „Vetter Gabriel“ der aus dem „Briefsteller für Liebende“ abgeschriebene Brief. Der Leser kann, wenn er selbst bei Heyse nach besagtem wilden Vogel suchen will, sich einen Einblick in die Compositionsweise des Dichters verschaffen. Nicht immer ist er so leicht zu fangen, wie in den angeführten Fällen. Mit einer Erfindsamkeit, einer behenden Grazie, die bei einem Nicht-Romanen äusserst selten ist, hat Heyse es verstanden, den Knoten der Ereignisse zu schürzen und zu entwirren, das psychologische Problem zu stellen und zu lösen, das er in der Novelle isolirt. Er vermag den einzelnen eigenthümlichen Fall rein und scharf novellistisch von dem allgemeinen Cultur- und Gesellschaftszustande, in welchem er ein Glied ist, abzuheben, ohne wie die romantischen Novellendichter, den Vorgang ins Unwirkliche und Märchenhafte hinüberspielen und ohne ihn jemals in eine blos epigrammatische Pointe auslaufen zu lassen. Seine Novellen sind weder kurze Romane, noch lange Anekdoten. Sie haben zugleich Fülle und streng geschlossene Form. Und so knapp diese Form auch ist, hat sie sich geschmeidig genug erwiesen, um den verschiedenartigsten Stoff in sich aufnehmen zu können. Die Novelle Heyse's schlägt viele Saiten an, wohl am häufigsten die zarten und seelenvollen, aber auch die komischen (wie in dem amüsanten Schwank „Die Wittwe von Pisa“), die phantastischen (wie in der Hoffmanniade „Cleopatra“), ja ein vereinzeltes Mal die schaurigen (in dem peinlichen Nachtstück „Der Kinder Sünde der Väter Fluch“). Die Novelle, wie er sie behandelt, grenzt an die Gebiete Alfred de Musset's, Mérimée's, Hoffmann's und Tieck's, hat aber doch ihre ganz besondere Domäne, wie ihr ganz eigenthümliches Profil.

       Inhaltsverzeichnis

      Indessen, so willfährig ich bin, die Bedeutung jenes scharfen Profils als individuelles Merkmal der Heyse'schen Novelle und die Bedeutung desselben für die Novelle als Kunstart anzuerkennen, so schwer fällt es mir, dasselbe als entscheidende Norm für die Schätzung der einzelnen Erzählung gelten zu lassen.

      Die Novelle ist ja, wie jedes Kunstwerk, ein Organismus, in welchem schöne, von einander relativ unabhängige Verhältnisse höchst verschiedener Art zum Totaleindrucke beitragen. Wir verweilten bei den Charakteren und der Handlung; der Stil ist das dritte Element. Nach meiner Ueberzeugung sind diese drei Elemente einander nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet, und jedes von ihnen bereitet, wenn es zur Meisterschaft entwickelt ist, dem Leser einen gleich vollkommenen Genuss.

      Zwar kann, wie Heyse hervorhebt, die einseitige Entwicklung des Vortrags zu geistreichen Capriccio's ohne Thema führen; wer aber allzugrosses Gewicht auf „die Geschichte“ legt, kann ja auf der anderen Seite der blossen Unterhaltungslitteratur verfallen.

      „Frühlingsfluthen“ von Turgenjew ist eine Novelle, deren Handlung unbefriedigend verläuft — den Stil im engeren Sinne kann ich nicht beurtheilen, da ich die Erzählung nicht in der Originalsprache kenne — aber bedeutet dieser Mangel viel bei einem solchen Meisterwerk individueller Charakterzeichnung? Wiegt die Schilderung der italienischen Familie nicht an und für sich jede Unvollkommenheit in der Motivirung der Begebenheiten auf? Was thut es, dass der Leser vielleicht sich den Schluss lieber anders vorstellt und nicht zum zweiten Mal lesen mag, wenn er drei viertel der Novelle mit dem gleichen Genuss immer wieder liest?

      Blicher's „Tagebuch eines Dorfküsters“ ist eine Novelle, in welcher die Handlung wenig zu bedeuten hat und die meisten Charaktere durch ihre Rohheit abstossend wirken; aber sie ist deshalb doch ein Werk von höchstem Kunstwerthe; ihre Hauptstärke liegt im Stile, in der meisterhaft durchgeführten, fast zweihundert Jahre alten Sprachweise des braven Küsters. Diese Sprachweise ist uns eine Bürgschaft für die schneidende Wahrheit der Erzählung, eine Wahrheit, zu der man nicht auf dem Wege des Idealismus gelangt, und die darum von Heyse weder gesucht, noch erreicht wird, ich meine jene Wahrheit, die von den Franzosen als la vérité vraie bezeichnet wird.

      Und könnte man nicht Heyse mit seinen eigenen Waffen schlagen? Ich glaube es. Er will mit seiner Betonung dessen, was die Novelle in der Novelle ist, zugleich gegen die Ueberschätzung des Stils und des ideellen Gehalts Front machen. Aber von allen seinen versificirten Novellen scheint mir „Der Salamander“ am höchsten

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