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      Kolonialismus und Postkolonialismus dürfen aber nicht nur als Begrifflichkeiten für politische Vorgänge gesehen werden, sondern ebenso für geistesgeschichtliche Strömungen, wie beispielsweise in der Literatur, wenngleich, wie Peter Hulme hervorhebt, selten eine wirkliche eigenständige Auseinandersetzung mit dem Thema des »Postkolonialismus« stattfindet. Eher könne man von einem Vergleich zwischen vorher und nachher sprechen. Dies aber sei eher ein Reflex aus kolonialen Zeiten, nicht jedoch eine neue Auseinandersetzung.

      Zudem ist der Begriff des Kolonialismus umstritten. Die Debatte um »Kolonialismus« fand unter dem Stichwort des »Orientalismus« neue Nahrung mit dem Buch von Edward Said in den achtziger Jahren. Seine Kritik führte zu einer umfangreichen Diskussion über die Auswirkungen des Kolonialismus und das Fortdauern eines Überlegenheitsbildes in den westlichen Medien bis in die heutige Zeit. Hatte Said noch die Position vertreten, dass sich der Kolonialismus bis heute ungebrochen fortsetze, weil sowohl die westlichen Medien als auch die großen Konzerne, besonders aber das Bewusstsein der Bewohner des westlichen Welt immer noch auf die früheren »Kolonialvölker« herabsähen, so ist diese Sicht mittlerweile abgeschwächt worden. Es herrscht Einigkeit darüber, dass koloniale Abhängigkeiten bis heute nachwirken, dass wir von einer Gleichwertigkeit der Erdteile noch weit entfernt sind, allerdings wird das Pauschalurteil einer weitgehend ungebrochenen weiterhin kolonialen Sichtweise der Welt im Westen kaum noch geteilt.

      Was aber hat, so muss man sich fragen, der Kolonialismus für Konsequenzen, was sind die Ausformungen und Ursachen? Es ist auch hier kaum eine alle Erdteile und Ausprägungen des Kolonialismus berücksichtigende Antwort möglich. Zu Recht ist darauf verwiesen worden, dass die Entwicklung des Kapitalismus eine entscheidende Rolle für den Kolonialismus gespielt hat. Denn es handelt sich beim Kolonialismus seit der Frühen Neuzeit, also seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, der in Italien aufgrund der Entwicklung der Geldwirtschaft jedoch schon früher einsetzte, um eine Einbindung der Kolonie in das Metropolitansystem. Nicht Tribute galten mehr als ausreichend, sondern man erwartete eine Handelsbeziehung, die beide Seiten, wenngleich mit unterschiedlichem Rechtsstatus, einbeziehen sollte. Daraus sollten sich dann durch Siedlung Kolonien entwickeln. Damit aber dort trotz der Entfernung zum Mutterland zu günstigen Kosten produziert werden konnte, erhielten die Kolonien Sklaven oder durch lange Verträge verpflichtete Arbeiter (indenturered labour). Diese Arbeitskraft erlaubte den Kolonien Rohstoffe und Plantagenprodukte zu exportieren, was wiederum für den Fortschritt des Mutterlandes von großer Wichtigkeit war. In umgekehrter Richtung waren die Kolonien ein Absatzmarkt für die entstandenen Fertigprodukte. In diesem Sinne kann der Kolonialismus als Hebamme des Kapitalismus angesehen werden.

      Zentraler Begriff war also die Siedlung, wobei es verschiedene Siedlungsformen gab. Einmal Siedlungsstützpunkte (plantations) in Amerika oder Wirtschaftsstützpunkte in Indien. Das System Mutterland-Kolonie verlangte, zumindest von einer Schicht hohe Flexibilität und Mobilität, galt es doch, Verwaltungsbeamte und ranghohe Militärs nur im Mutterland zu rekrutieren, sie dann aber überall einzusetzen.

      Die Spätphase des Kolonialismus wird meist als Imperialismus bezeichnet, wobei man sich in diesem Zusammenhang auf Lenins Schrift von 1916/17 »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« als Meilenstein in der Entwicklung bezieht. Mit seiner Definition des »Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus« war jedoch eine gleichsam lineare Entwicklung in diesem Deutungsmuster vorgegeben. Diese Position wird heute nicht mehr geteilt. Einmal lehnt man die Sicht der Geschichte als lineare Entwicklung zu einer höheren Stufe des »Seins« ab, zudem wird die dahinter stehende Position, durch eine vollständige Kapitalkonzentration habe der Kolonialismus eine fortgeschrittenere Ausprägung erreicht, nicht mehr geteilt. In der heutigen Forschung wird betont, dass es Imperien und die damit verbundene Expansion seit der Antike gegeben habe, dass also nicht das »Imperiale«, sondern vielmehr die sozialen und wirtschaftlichen Verschiebungen die Charakteristik der Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts ausmachen.

      Es gab beim Auftreten der Kolonialherren eine weite Palette von Reaktionen, die von Widerstand bis zu Anpassung und Kooperation reichten. Gerade aber letzteres war der entscheidende Baustein für die Errichtung einer Kolonialherrschaft, weil nur dank der Kooperation unter Nutzung von existierenden Rivalitäten, den Kolonialherren die Dominierung bestimmter Gebiete möglich war. Dennoch bleibt ein Wesensmerkmal des Kolonialismus die Gewalt der Kolonialherren, die sich aus einem Gefühl der Schwäche als Minderheit heraus, ihre Herrschaft sicherten. Hinzu kam, dass die koloniale Hegemonie auf Distanz ausgelegt war. Die Verwaltungs- und Militärzentren lagen weit entfernt und vieles blieb schon von daher der Willkür überlassen. Alle schriftlichen Anordnungen sind daher auch in diesem Licht zu sehen. Die oberste Ebene des kolonialen Staates war europäisch. Paternalismus und europäische Herablassung, besonders seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, als man glaubte, einen »Erziehungsauftrag« zu haben, waren gang und gäbe. Kenntnis über Kulturen erwarben die Kolonialherren meist lediglich aus Utilitarismus, um die Herrschaft zu sichern, besonders aber um die Möglichkeiten der Ausbeutung des Landes zu steigern, weil ihnen nur so die Nutzung der Bodenschätze und der landwirtschaftlichen Güter möglich war. Auf der anderen Seite baute man Barrieren ab, um neue zu konstruieren. Dies gilt z.B. für Indien, wo die Engländer, getrieben von kolonialem Interesse und Druck der englischen Öffentlichkeit, zwar das Kastensystem durchlässiger machten, andererseits mit einem den Einheimischen fast unzugänglichen Verwaltungsapparat eine eigene »Kaste« von Verwaltungsbeamten schafften, die sich deutlich abhob.

      Je nach kolonialem System findet sich bei der ethnischen Durchmischung ein Übergang zwischen den einzelnen Gruppen. Sexuelle Beziehungen zwischen männlichen Kolonisierenden und einheimischen Frauen wurden sehr unterschiedlich behandelt. Der umgekehrte Fall kam hingegen nur selten vor, da bei den Siedlern fast immer ein Männerüberschuss herrschte. Die Palette für ethische Mischung reicht von vollständiger Ablehnung, verbunden mit Bestrafung, bis hin zu Akzeptanz und Förderung.

      Kolonialherrschaft bedurfte zudem natürlich auch stets der Legitimation nach innen, weswegen seitens der Kolonialherren auf die christliche und dann später auf die zivilisatorische Mission, oft auch auf beides, verwiesen wurde. Man sollte jedoch, trotz des kolonialen Anspruches, nicht davon ausgehen, dass es eine rein einseitige Begegnung gewesen ist. Claudia Schurrmann hat für den atlantischen Raum diesen Austausch umfassend aufgezeigt. Es waren keine gleichberechtigten Beziehungen, doch sollte man diese dennoch keinesfalls ausblenden, weil sie einen wichtigen Bestandteil der Kolonialgeschichte darstellen.

      »Kolonisation« bezeichnet von der Wortbedeutung her den Prozess der Landnahme, der Begriff »Kolonie« die Entstehung eines speziellen Siedlungstyps. Verbunden mit diesem Begriff ist jener des »Kolonialismus«, der sich auf das Herrschaftsverhältnis bezieht. Diese Begriffe beinhalten die Vorstellung einer ausgreifenden Landnahme, also einer über den eigentlichen Raum hinausgehende Expansion.

      Kolonialismus ist die »Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen…«. wie es Jürgen Osterhammel ausdrückt.

      Bei dieser Form von Expansionsvorgängen kann man sechs Typen unterscheiden:

      1. Die Totalmigration ganzer Völker, die in Europa am ehesten mit der Völkerwanderung in Verbindung gebracht wird. Entscheidend ist dabei die Unterwerfung, u.U. Verdrängung der Völker im neuen Siedlungsraum unter Aufgabe des bisherigen. Es wird also keine Gesellschaft zurück gelassen, sondern eine neue an einem anderen Platz gegründet.

      2. Die massenhafte Einzelauswanderung (Individualmigration), bei der Einzelne oder kleine Gruppen, wie z.B. Familien, ihre Heimat ohne Rückkehrabsicht verlassen. Die zurückbleibende Gesellschaft hat zwar, wie z.B. Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts, einen starken Aderlass zu verkraften, bleibt aber im Kern intakt. Die Ausgewanderten bilden oft in der ersten oder zweiten Generation noch sprachlich geschlossene Gesellschaften, die bisweilen

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