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Europäer in Europa, sondern auch diejenigen, die nach Übersee gingen und meist das, was sie aufgrund ihrer vorherigen Bildung und Kenntnis mitbrachten, auch vor Ort sahen.

      Mythen und Sagen wurden von den Europäern nach Übersee mitgenommen. Daher bestand auch für Kolumbus, als er in der Karibik landete, kein Zweifel, dass er hier Kannibalen antreffen würde. Diese Vorstellung wurde bereitwillig von vielen Verfassern übernommen, wie wir es auch in den ersten wichtigen Berichten von deutschen »Conquistadoren«, wie Ulrich Schmidl oder Hans von Staden finden. Zwar kennt man rituelle Menschenopfer bei amerikanischen indigenen Kulturen, für das Verzehren von Menschenfleisch aber gibt es keine Belege. Dennoch hielt sich diese Sicht beharrlich und wurde mit der weiteren Expansion der Europäer auch weiter in der Welt verbreitet. Als man Ende des 18. Jahrhunderts in die Südsee vordrang, glaubte man dort genauso auf Kannibalen zu stoßen, wie im 19. Jahrhundert in Afrika oder in der Südsee.

      Wie abhängig solche Berichte von der Sichtweise und dem Erfahrungshintergrund sind, mag ein Bericht aus dem 15. Jahrhundert zeigen, indem nämlich die Bewohner der Gegend um die Gambia-Mündung in Afrika umgekehrt mit der gleichen Selbstverständlichkeit annehmen, die Europäer seien Menschenfresser:

      »Ihre [d.h. der Bewohner von Gambia] Antwort war, sie wüssten über uns Bescheid, z. B. wie wir mit den Negern des Senegal umgegangen seien und da ihnen bekannt sei, dass wir Christen Menschenfleisch äßen und Neger wegen des Fleisches kauften, könnten nur schlechte Menschen mit uns Freundschaft wollen; daher gäbe es keine mit uns und sie würden uns alle töten und alles, was uns gehörte, ihrem Herrn zum Geschenk machen, der sich drei Tage von hier aufhalte und das hier sei das Land Gambra und der Fluß sei sehr groß; sie nannten auch seinen Namen, aber ich habe ihn vergessen. In diesem Augenblick frischte der Wind auf und wir, die wir ihre bösen Absichten erfahren hatten, segelten in sie hinein und sie flohen ans Ufer und damit war der Krieg mit ihnen vorbei.« (1455, nach Alvise da Ca’da Mosto, DGEE 302f.)

      Mit dem Kolonialismus sollte sich jedoch die Sicht der Europäer durchsetzen. Sie konnten ihre Mythen als Wahrheit verteidigen, und auch in der Bildtradition waren die Beziehungen nicht gleichrangig, sondern lagen auf verschiedenen Ebenen. Der Religion kam für die Rechtfertigung eine herausragende Bedeutung zu, wobei es zum Transport überlieferter Stereotypen kam. Dabei lässt sich in zeitgenössischer Sicht jedoch nicht das Gegensatzpaar zivilisierte Europäer versus unzivilisierte Außereuropäer bilden, sondern es gilt eine genaue Feinabstimmung zu bedenken (Antagonismusnarrativ). Unterschiedliche Rechtsnormen (requerimiento), Gewaltformen und religiöse Ausprägungen waren für den Kulturkontakt entscheidend (Bedeutung des Übersetzers als Kulturübermittler). Dies macht auch verständlich, warum es in Reiseberichten aus Übersee zu einer häufigen Verwendung des Begriffs »Ding« kam und dementsprechend in den Berichten aus der neuen Welt Bewohner neben Dingen auftauchen. Denn vielfach werden Menschen beiläufig neben der Landschaft und den Tieren erwähnt und letztlich auf die gleiche Stufe gestellt.

      Natürlich wurde aber andererseits auch im außereuropäischen Bereich auf die Europäer herabgesehen, wie dies z.B. in China noch im 19. Jahrhundert der Fall war:

      »Die Chinesen nennen gewöhnlich die Europäer ›Barbaren’ und halten sie für solche; mit dem Ausdruck meinen sie ›Völker in einem rohen, unzivilisierten Zustand, moralisch und geistig unkultiviert’ (…) Diejenigen Chinesen, die unmittelbare Gelegenheit hatten, etwas von unseren Sitten und unserer Kultur zu erfahren – sie mögen, in allen fünf Vertragshäfen zusammen fünf oder sechstausend zählen gegenüber 360 Millionen – halten uns meist in Moral und geistiger Kultur für tiefer stehend als ihr Volk. Was die anlangt, die keine solche Gelegenheit hatten, so kann ich mich nicht auf das Gespräch mit einem einzigen besinnen – und ich habe mit vielen gesprochen –, dessen Vorstellungen von uns nicht analog zu denen gewesen wäre, die wir von Wilden haben. Die Chinesen sind stets überrascht – um nicht zu sagen erstaunt – zu hören, dass wir Familiennamen haben, und in der Familie die Unterscheidung von Vater, Bruder, Frau, Schwester, usw. verstehen; kurz gesagt, dass wir anders als eine Viehherde leben (…)« (Dolmetscher Thomas Taylor Meadows 1852, GiQ 535).

      Stets müssen wir uns also bei der Betrachtung der Kolonialgeschichte über die Konstruktion von Geschichte bewusst sein. Standortgebundenheit und Traditionshintergrund spielten in Darstellung und Sichtweise mit hinein und lassen ein jeweils unterschiedliches Bild entstehen. Es finden sich, wie es ja auch Jan Assman hervorgehoben hat, verschiedene »Wahrheiten«, geprägt zudem durch verschiedene Bildtraditionen, in unserem Gedächtnis.

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