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wuss­te sie nicht, ob sie ihn tief ge­nug ver­ach­ten konn­te, um ihn nicht mehr lie­ben zu müs­sen.

      *

      Ein paar Stun­den spä­ter wur­de die Ver­hand­lung wie­der auf­ge­nom­men. Bill Brown rief die Män­ner, die sich selbst zu Ge­schwo­re­nen er­nannt hat­ten, im Krei­se um den Gal­gen zu­sam­men. Er sprach:

      »Ka­me­ra­den! Män­ner von Klon­di­ke und Alas­ka! Ihr wer­det so­gleich aus dem Mun­de von La Flit­che hö­ren, was der ster­ben­de In­dia­ner ihm ge­beich­tet hat, und ihr wer­det dann ent­schei­den, wie viel Schuld die­sen Mann un­ter dem Gal­gen trifft. Nur eine Fra­ge will ich zu­vor noch an Sie rich­ten, Gre­go­ry St. Vin­cent! Wa­rum ha­ben Sie nicht frü­her ge­spro­chen? Sie hat­ten das Wort, so oft Sie es wünsch­ten. Wir ha­ben Ihren Fall ge­prüft, wie kein Ge­richts­hof in den Staa­ten ihn bes­ser hät­te prü­fen kön­nen. Wir ha­ben ge­wusst, dass un­ser Spruch vor den höchs­ten Be­hör­den des Lan­des be­ste­hen muss, und es hät­te Herrn Wel­ses War­nung nicht be­durft, um uns zu sa­gen, wel­che Verant­wor­tung wir tru­gen!

      Denn Sie hat­ten Un­recht, Herr Wel­se! Es gibt ein Not­ge­setz für Alas­ka, un­ter des­sen Schutz un­ser Ge­richts­hof tagt. Fünf­hun­dert Mei­len im Kreis von der nächs­ten Be­hör­de ist ein Ge­richt wie das un­se­re be­fugt, Ur­tei­le zu fäl­len und zu voll­zie­hen, wenn die Ge­fahr be­steht, dass ein Ver­bre­cher sich der ge­rech­ten Stra­fe ent­zieht. Wie groß in un­se­rem Fall die Ge­fahr war, das ha­ben ge­ra­de Sie, Herr Wel­se, und der fran­zö­si­sche Baron uns be­wie­sen. Was Sie ge­tan ha­ben, war ein Ein­griff in die Ma­schi­ne­rie der Jus­tiz. Aber dar­um han­delt es sich jetzt nicht. Wir wis­sen, dass auch Sie glaub­ten, der Ge­rech­tig­keit zu die­nen, und ich je­den­falls wer­de kei­ne An­kla­ge ge­gen Sie er­he­ben. Ich kom­me auf mei­ne Fra­ge zu­rück: warum ha­ben Sie, Gre­go­ry St. Vin­cent, der Wahr­heit nicht frü­her die Ehre ge­ge­ben? Die Ohren Ih­rer Rich­ter stan­den of­fen für Ihre Ver­tei­di­gung! Sie wa­ren nicht al­lein, nicht ver­las­sen, denn ne­ben Ih­nen wach­te in Fräu­lein Wel­se ein An­walt, wie Sie ihn bes­ser sich nicht wün­schen konn­ten!«

      »Des­halb gra­de! … Weil Fräu­lein Wel­se mich ver­tei­dig­te, nur des­halb habe ich die Wahr­heit nicht ge­spro­chen.«

      In die­sem Au­gen­blick war Gre­go­ry St. Vin­cent kei­ne schlot­tern­de Mem­me und kein wei­nen­des Kind mehr, zum ers­ten Mal be­kann­te er wie ein tap­fe­rer Mann:

      »Weil ich in ih­ren Au­gen kein Feig­ling sein woll­te …«

      *

      La Flit­che sag­te aus, der seh­ni­ge, zun­gen­ge­wand­te Hal­bin­dia­ner, der der Na­tur so nahe war wie ein Tier des Lan­des, und des­sen Ver­stand scharf war wie der ei­nes wei­ßen Man­nes.

      »Der Mann heißt Gau«, ver­kün­de­te er. »Er spricht die Wahr­heit. Er kommt vom Wei­ßen Fluss. Er ver­steht nichts – er wun­dert sich sehr über all die wei­ßen Män­ner. Er hat nie ge­glaubt, dass es so vie­le wei­ße Män­ner auf der Welt gebe. Er stirbt bald, und sein Name ist Gau.

      Vor lan­ger Zeit – es ist gan­ze drei Jah­re her – kommt John Borg in das Land die­ses Man­nes. Er jagt, er bringt viel Fleisch ins La­ger, und des­halb ha­ben die Sticks am Wei­ßen Fluss ihn gern.

      Gau hat eine Frau, Pisk-ku. Nach ei­ni­ger Zeit trifft John Borg An­stal­ten zur Abrei­se. Er geht zu Gau, und er sagt: ›Gib mir dei­ne Frau. Wir wol­len einen Han­del ma­chen. Ich will dir vie­le Din­ge für sie ge­ben.‹ Aber Gau sagt nein. Pisk-ku sei eine gute Frau, und kei­ne Frau kön­ne Mo­kass­ins nä­hen wie sie. Sie sei auch tüch­tig im Ger­ben von Elch­häu­ten und ma­che das wei­che­s­te Le­der. Er habe Pisk-ku gern. Da sagt John Borg, das sei ihm ei­ner­lei, er wol­le Pisk-ku ha­ben. Dann prü­geln sie sich, eine rich­ti­ge Prü­ge­lei, und Pisk-ku geht weg mit John Borg. Pisk-ku woll­te nicht ge­hen, tut es aber doch. Borg nennt sie Bel­la und gibt ihr vie­le gute Sa­chen, aber sie hat nur Gau lieb.«

      La Flit­che zeig­te auf die Nar­be, die quer über Stirn und Au­gen des In­dia­ners lief. »Das hat John Borg ge­tan.

      Lan­ge ist Gau sehr nahe am Ster­ben. Dann wird er ge­sund, aber sein Kopf ist krank. Er er­kennt nie­mand, ist ganz wie ein klei­nes Kind, ge­nau so. Da, ei­nes Ta­ges, eins zwei drei, springt et­was in sei­nem Kop­fe, und er wird ge­sund. Er er­kennt sei­nen Va­ter und sei­ne Mut­ter; er er­in­nert sich an Pisk-ku. Er er­in­nert sich an al­les. Sein Va­ter sagt, dass John Borg den Fluss hin­ab­ge­fah­ren ist. Da fährt Gau auch den Fluss hin­ab. Es ist Früh­ling, und das Eis ist sehr schlecht. Er fürch­tet sich sehr vor all den wei­ßen Män­nern, und als er hier­her kommt, reist er nachts. Nie­mand sieht ihn, aber er sieht alle Men­schen. Er ist wie eine Kat­ze und kann im Dun­keln se­hen. Dann kommt er ge­ra­des­wegs nach Borgs Hüt­te. Er weiß nicht, wie er es ge­macht hat. Er weiß nur, dass er ein Werk zu ver­rich­ten hat, ein gu­tes Werk.«

      St. Vin­cent drück­te Fro­na die Hand, aber sie riss sich los und trat ei­ni­ge Schrit­te zu­rück.

      »Er sieht, wie Pisk-ku die Hun­de füt­tert, und er spricht mit ihr. In der Nacht kommt er, und sie öff­net ihm die Tür. Was nach­her ge­schieht, wisst ihr selbst. Borg tö­te­te Bel­la; Gau tö­te­te Borg. Borg tö­te­te Gau, denn Gau stirbt bald. Borg hat einen star­ken Arm. Gau ist in­nen krank – ganz ka­putt ge­schla­gen. Gau ist al­les ei­ner­lei. Pisk-ku ist tot. Dann geht er über das Eis ans Ufer. Ich sage, dass ihr an­de­ren alle sagt, es ist un­mög­lich, dass nie­mand zu die­ser Zeit hin­aus­ge­hen kann. Er lacht und sagt, dass es so ist, und was so ist, das muss sein. Er ist krank in­wen­dig, und schließ­lich kann er nicht mehr ge­hen, er kriecht. Es dau­ert lan­ge, bis er an den Ste­ward kommt. Er kann nicht mehr ge­hen, und so legt er sich nie­der, um zu ster­ben. Zwei wei­ße Män­ner fin­den ihn und brin­gen ihn hier­her. Ihm ist es ei­ner­lei; er muss auf alle Fäl­le ster­ben.«

      La Flit­che schwieg, aber kei­ner sag­te et­was. Da füg­te er hin­zu: »Ich fin­de, dass Gau ein ver­dammt gu­ter Mann ist!«

      Fro­na trat zu Ja­cob Wel­se. »Bring mich fort, Va­ter«, sag­te sie. »Ich bin so müde.«

      *

      Am nächs­ten Mor­gen hack­te Ja­cob Wel­se, Mil­lio­när und Gold­kö­nig, vor sei­nem Zelt das Holz, das im Lau­fe des Ta­ges ge­braucht wur­de. Dann steck­te er sich eine Zi­gar­re an und ging Baron Cour­ber­tin be­su­chen. Fro­na wusch das Früh­stücks­ge­schirr auf, häng­te die Schlaf­sä­cke in die Son­ne und füt­ter­te die Hun­de. Da­nach nahm sie ein Buch und setz­te sich auf zwei um­ge­stürz­te Kie­f­ern­stäm­me, die eine Art Bank bil­de­ten. Aber sie öff­ne­te das Buch nicht. Ihr Blick schweif­te über den Yu­kon hin, such­te den Strom­wir­bel und den Fel­sen, den zu er­rei­chen sie vor­ges­tern mit Cor­liss und dem Schot­ten so ver­zwei­felt ge­kämpft hat­te.

      Wie viel seit­dem ge­sche­hen war! Wie fern die­ser Tag heu­te schon lag! War sie es wirk­lich selbst ge­we­sen, die den Tod schon auf der Schul­ter ge­fühlt, den schäu­men­den Tod im ei­si­gen Was­ser? Um ein Nichts war es doch ge­gan­gen, um das Le­ben ei­nes frem­den In­dia­ners … Hier hat­ten Mord und Wut ge­tobt, hier hat­te man die Sch­lin­ge schon um den Hals ei­nes Un­schul­di­gen ge­legt, wäh­rend sie und zwei Män­ner, drei jun­ge, star­ke, nütz­li­che Men­schen, ihr Le­ben ein­setz­ten für das ei­nes Un­be­kann­ten.

      Der Va­ter hat­te ihr mit­ge­teilt, wel­che Nach­richt der von ihr ge­ret­te­te In­dia­ner ge­bracht hat­te. Es wa­ren wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen in Daw­son zu tref­fen, Fra­gen, die sich brief­lich nicht er­le­di­gen lie­ßen. Noch die­ser eine

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