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Hollgart lehnte sich im Schreibtischsessel zurück, schob die große Brille auf die Stirn und sah die Oberschwester vergnügt an, die seine beste Mitarbeiterin und Vertraute war seit vielen Jahren. Daher bestand auch zwischen ihnen ein Ton, den sich ein gewöhnlicher Sterblicher beileibe nicht diesen beiden Gefürchteten gegenüber erlauben durfte.

      »Na, nun schießen Sie mal los, Agathchen, was gibt’s denn? Sie machen nämlich den Eindruck, als hätten Sie so allerlei auf dem Herzen. In der Klemme?«

      »Man hat eine Patientin eingeliefert, Herr Professor.«

      »Das dürfte bei uns wohl nichts Neues sein.«

      »Aber die Patientin heißt Lenore Skörsen.«

      »Wie – was? Etwa die Frau unseres Ralfs?« horchte er auf, und sie nickte.

      »Stimmt genau.«

      »Was hat sie?«

      »Eine nicht ungefährliche Kopfwunde und einen Abortus.«

      »Nanu, wie ist das beides zugleich möglich? Ist das Unglückswürmchen etwa vor Schmerzen gegen die Wände gerannt?«

      »Nein. Die liebe Schwägerin hat sie wutentbrannt die Treppe hinuntergestoßen.«

      »Jetzt schlägt’s aber dreizehn«, sagte der Arzt verblüfft. »Wo gibt’s denn so was?«

      »Kommt in den besten Familien vor – sagt ein Ausspruch.«

      »Oberin, Ihre Pomadigkeit möchte ich wohl auch mal haben. Gotts­donner, da wird der Ralf aber staunen, wenn er zurück kommt! Wo haben Sie die Ärmste untergebracht?«

      »In meinem Zimmer.«

      »Wozu das? Ist sonst nichts mehr frei?«

      »Sogar noch ein Bett in Zweiter.«

      »Und warum bringen Sie die Kranke da nicht unter?«

      »Sie spricht im Fieber, Herr Professor, und zwar mancherlei, was dem Ralf nebst Angehörigen nicht gerade zur Ehre gereicht.«

      Sie sahen sich an und verstanden sich wie immer, auch ohne viele Worte.

      »Wer hat sie eingeliefert?« fragte der Arzt nach sekundenlangem Schweigen.

      »Etwa die lieben Anverwandten?«

      »Die werden sich hüten. Die Wirtsleute, die auch mitansahen, wie der Unfall geschah, begleiteten die Kranke.«

      »Sie sind noch im Haus?«

      »Ja.«

      »Ich möchte sie sprechen.«

      Minuten später standen Wartecks vor dem Professor und der Oberschwester. Sie weinte in sich hinein, er machte ein Gesicht, als würde er am liebsten alles um sich her verschlingen. Bevor der Arzt ihn noch dazu auffordern konnte, legte er auch schon los, mit Grimm und Groll geladen bis zur Halskrause.

      Und so bekamen denn die beiden atemlos Lauschenden das ganze Martyrium Lenores zu hören – kraß, schonungslos, aber auch wahrheitsgemäß. Denn Herr Warteck war kein Freund von Klatsch, der in der engeren Umgebung natürlich herrlich blühte, er verließ sich lieber auf seine eigenen Augen und Ohren.

      »Wird für die Lenore auch wirklich alles getan werden?«

      »Was in Menschenkräften steht. Das sind wir schon allein unserm Mitarbeiter Doktor Skörsen schuldig.«

      »Ach, der«, brummelte der alte Herr. »Der hat ja keine Rücksicht verdient. Wann kommt er zurück?«

      »Übermorgen. Und nun muß ich Sie leider verabschieden, weil ich zu der Patientin gehen möchte. Haben Sie nochmals herzlichen Dank.«

      »Was wir taten, war Selbstverständlichkeit, Herr Professor. Dürfen wir mal anrufen und fragen, wie es der Lenore geht?«

      »Sooft Sie wollen.«

      »Dann danke schön.«

      Damit zogen sie ab, und der Arzt sah die Oberschwester so durchbohrend an, als wollte er ihr die Gedanken aus dem Hirn ziehen. »Wieviel glauben Sie von dem Gehörten, Agathe?«

      »Jedes Wort, Herr Professor. Das ist kein Mann, der aufschneidet oder gar lügt.«

      »Ei, der Donner!« Er kratzte sich den Kopf. »Na, proste Mahlzeit! Denn Ihre Menschenkenntnis ist mir zu gut bekannt, als daß ich sie anzuzweifeln wage. Kommen Sie, sehen wir uns das Unglückswürmchen mal an.«

      Als sie das Zimmer der Oberschwester betraten, fanden sie außer der Patientin auch noch den jüngsten der Ärzte vor.

      »Nun, mein Lieber, solo?« fragte der Chef. »Ohne Assis­tenz?«

      »Zu gefährlich, Herr Professor«, entgegnete der lange Mensch mit dem sommersprossigen Gesicht und den weißblonden Haaren in aller Trockenheit, die ihm eigen. »Lenorchen schwatzt nämlich, und das ist nicht von Pappe. Wirft kein gutes Licht auf unsern lieben Ralf.«

      »Wie steht es mit dem Wehwehchen?«

      »Das im Bäuchlein ist futsch.«

      »Von wie lange ungefähr?«

      »Zwei Monate.«

      »Hat sie sehr zu leiden gehabt?«

      »Nein, ich gab ihr eine Spritze. Nun duselt sie dahin und redet.«

      Prüfend sah der Professor auf die Patientin nieder, die ein fieberheißes Gesicht hatte. Um die Stirn trug sie einen Verband.

      »Kleine Frau, wie geht es Ihnen?« sprach Hollgart sie an, und da huschte ein Ausdruck von Qual über ihr Gesicht.

      »Lassen Sie mich, ich bin tot!« kam es dann murmelnd über die zersprungenen Lippen. »Das wird Ralf freuen.«

      Betroffen richtete der Arzt sich auf und flüsterte den beiden anderen zu: »Was mag der Skörsen da bloß angerichtet haben? Hat Ihnen das die kleine Frau vielleicht in ihrem Halbdusel verraten, Wilmar?«

      »Bruchstücke«, kam es gleichfalls flüsternd zurück. »Aber wenn man sie zu leimen versteht, formen sie sich hübsch zu einem Ganzen.«

      »Und das wäre?«

      »Die Schwiegermutter hat den Skörsen wahrscheinlich zur Hochzeit mit der Tochter bewogen. Geld muß da auch eine Rolle spielen, da das süße Dinglein von Raten spricht, welche zwei Weiblichkeiten erpressen wollen, die wohl überhaupt ihre Peiniger sind. Müssen ja liebe Herzchen sein – Pack möchte ich am liebsten sagen, nach alledem, was das arme Hascherchen da mir über sie verriet. Na ja, und dann der gute Ralf. Muß ganz nett was auf dem Kerbholz haben. Zuerst heißes Flehen, sie nicht zu verlassen, und zuletzt der gequälte Schrei: Rühr mich nicht an, ich verachte dich!«

      »Ei, verflixt!« Der Chef kratzte sich den Kopf. »Das scheint ja böse auszusehen. Hört mal zu: nur wir drei allein dürfen die Kranke betreuen, dürfen keinen anderen Arzt, keine andere Schwester zu ihr lassen. Sonst gibt es hier einen Klatsch, der nicht so ohne ist.«

      »Weil auch ich der Ansicht bin, habe ich die Patientin in mein Bett gelegt«, gestand die Oberschwester, und der junge Arzt setzte hinzu: »Weil mir das höchst sonderbar erschien, habe ich mir gedacht: Achtung, Feind darf nicht mithören! und habe daher die liebliche Charitas, die so dienstbeflissen assistieren wollte, erst gar nicht in das Allerheiligste gelassen.«

      Wie Verschwörer sahen sich die drei Menschen an, die gewohnt waren, miteinander durch dick und dünn zu gehen. Und sie taten es auch, der Chef konnte den beiden Getreuen trauen wie sich selbst.

      *

      Tierarzt Doktor Hermann Hollgart war ein Bruder des Chefarztes der »Barmherzigkeit« und Gatte der Dame, von der der Professor in so warmen Worten sprach. Sie war aber auch wirklich eine prächtige Frau. Immer vergnügt und guter Dinge, voll Mutterwitz, zufrieden, verständnisvoll und stets hilfsbereit.

      Da eine Operation bei ihr notwendig wurde, hatte sie sich dem Schwager anvertraut, der sie dann zurechtschnipselte, wie er es schmunzelnd bezeichnete.

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