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und zu Bett gebracht hatten. Doch sie erwähnte ihn nicht, saß mit ihm später vor dem Fernseher und schien sich auf die Nachrichten zu konzentrieren. Da hielt er es nicht mehr aus und fragte schroff: »Du hattest heute Besuch. Warum erzählst du mir das nicht?«

      »Weil es nicht wichtig ist.«

      »Und wer war der Mann?«

      Er ist ja eifersüchtig, dachte sie erfreut, tat aber so, als würde sie seinen Unmut nicht bemerken, und antwortete gelassen: »Er heißt Reinhard Wagner und ist derjenige, der mich jahrelang nur ausgenutzt hat.«

      »Und was wollte er?«

      »Wahrscheinlich wollte er sich bei mir wieder einkratzen. Er hat nämlich von vergessen und verzeihen gefaselt und wohl gehofft, ich lade ihn zum Abendessen ein.«

      »Er sieht gut aus.«

      »Ja, er sieht gut aus«, bestätigte sie. »Und das weiß er auch ganz genau. Deshalb bin ich ja auch auf ihn hereingefallen. Aber gutes Aussehen ist eben nicht alles. Es macht aus einem untreuen Schmarotzer noch lange keinen liebenswerten Mann.«

      Henrik nickte zustimmend und dachte an seine Ex-Frau, mit der er anfangs sehr glücklich gewesen war und die sich im Laufe der Jahre so negativ verändert hatte, die an ihr Kind fast gar nicht dachte und kein Interesse an dessen Gesundheit und Entwicklung zeigte. Nur gut, dass Reni von Gitta so liebevoll betreut wurde und somit ihre leibliche Mutter nicht vermisste.

      Gitta sollte auch in Wirklichkeit ihre Mutter sein, ging es ihm blitzartig durch den Kopf. Ich sollte sie heiraten, damit wir eine Familie sind. Und vielleicht bekommen wir dann noch ein Kind.

      Diese plötzliche Idee gefiel ihm außerordentlich, er gestand sich aber gleichzeitig ein, dass der Besuch von Reinhard Wagner ihn erst auf diesen Gedanken gebracht hatte. Oder die Angst, Gitta könnte sich ihrem ehemaligen Partner wieder zuwenden und ihn und das Kind verlassen.

      »Dann vergiss ihn möglichst bald«, sagte er nach diesen Überlegungen. »Du hast doch jetzt uns.«

      Sie schaute ihn prüfend an und fragte zweifelnd: »Habe ich das wirklich?«

      Seine Hand umschloss die ihre ganz fest, als er sehr ernst entgegnete: »Ja, das hast du. Du bist doch schon längst meine Frau und Renis Mama. Wir sollten es offiziell machen. Was meinst du dazu?«

      »Ich verstehe dich jetzt nicht.«

      Er räusperte sich und erwiderte dann: »Ich habe jetzt keine Blumen für dich und werde auch nicht vor dir auf die Knie sinken, ich bitte dich nur, meine Frau zu werden.«

      Liebst du mich?, hätte sie am liebsten gefragt, ließ es aber. Er sprach zwar nur sehr selten über seine ehemalige Frau, aber sie bezweifelte dennoch, dass sie ihm vollkommen gleichgültig geworden war. Er wollte wahrscheinlich nur eine Mutter für sein Kind sowie häusliche Ordnung und Bequemlichkeit.

      »Du sagst ja gar nichts«, stellte er enttäuscht fest. »Willst du mich nicht? Oder stört es dich, dass ich ein Kind habe?«

      »Wäre ich dann hier bei euch?«, hielt sie dagegen. »Nein, das ist es nicht.«

      »Was denn?«

      »Ich befürchte nur, dass du diesen Schritt irgendwann einmal bereuen wirst. Vielleicht kommt deine Evelin eines Tages zu dir zurück.«

      »Sie ist erstens nicht mehr meine Evelin und wird zweitens ganz bestimmt nicht mehr zurückkommen. Ich würde sie auch nicht mehr haben wollen.«

      »Aber du liebst sie noch.«

      »Das weiß ich selbst nicht«, gab er nach kurzem Zögern ehrlich zu. »Einerseits denke ich mitunter an sie, besonders an die Zeit, als wir uns kennengelernt haben. Andererseits stoßen mich ihr egoistisches Verhalten und ihre Gleichgültigkeit unserem Kind gegenüber ab. Sie wird sich vermutlich nie ändern und kann nur glücklich und zufrieden sein, wenn sie auf der Karriereleiter noch ein Stückchen nach oben steigen kann und überall bewundert wird. Häusliche Pflichten will sie nicht haben. Da braucht sie selbst jemanden, der ihr den Rücken freihält. Du bist da ganz anders, ruhig, fürsorglich und die beste Mutter für Reni.«

      Und deshalb willst du mich heiraten, dachte sie traurig. Dir ist der mickrige Spatz in der Hand lieber als die hübsche Taube auf dem Dach.

      »Ich glaube, ich muss mal für ein paar Minuten allein sein.« Gitta erhob sich und ging zum Kinderzimmer, wo im Schein einer sogenannten Nachtleuchte das kleine Mädchen fest schlief. Sie schaute es eine Weile an, und dabei wurde ihr klar, dass sie dieses kleine, noch sehr hilfsbedürftige Wesen nicht alleinlassen konnte. Es wurde zwar von seinem Vater herzlich geliebt, doch der konnte nicht immer so viel Zeit aufbringen, wie er sie gern gehabt hätte. Und ein Kind brauchte auch eine Mutter.

      Henrik liebte sie, Gitta, sicher nicht. Er mochte sie nur und war ihr dankbar, aber Reni hing an ihr, als wäre sie ihre Mutter.

      Ja, sie würde ihn heiraten, sie konnte gar nicht anders.

      Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, ging sie langsam zu ihm zurück, setzte sich und sagte leise: »Ich bin mit einer Heirat einverstanden.«

      Seine Augen begannen zu strahlen, während er sie fest an sich drückte. Und dann küsste er sie heiß und stürmisch – und nahm sie schließlich auf die Arme und ging mit ihr zum Schlafzimmer.

      Es war nicht die ganz große Liebe. Gitta spürte es genau, es war nur der Hauch vom großen Glück.

      Am anderen Morgen sprachen beide nicht mehr über die Hochzeit, wirkten ernüchtert und trösteten sich mit dem Gedanken, dass sie das Geld für eine Feier erst sparen mussten. Und das konnte dauern.

      *

      Seit mehr als zwei Jahren hielt Fanny Hofer nun schon die Wohnung von Frau Dr. Hollstein in Ordnung, wusch und putzte, kochte gelegentlich und brachte sogar besonders empfindliche Kleidungsstücke zur Reinigung. Dafür bekam sie einen recht ordentlichen Lohn, aber kaum ein Wort des Dankes. Die Frau Doktor war nämlich hochnäsig. So nannte es die Haushälterin.

      Professor Hartmuth Grünberg bezeichnete diese Haltung als distanziert und völlig unpassend. Besonders ihm gegenüber! Dieser Frau schien der berufliche Erfolg zu Kopf gestiegen zu sein. Oder sie hatte einfach kein Herz. Als liebevolle Ehefrau und Mutter konnte er sie sich jedenfalls nicht vorstellen, als zärtliche Geliebte ebenfalls nicht. Und er fragte sich verdrossen, warum ihm Evelin Hollstein eigentlich so gut gefiel.

      Es musste ihre Ausstrahlung sein, die ihn so anzog und sehnsüchtige Wünsche aufkommen ließ. Dabei war er schon Mitte vierzig und sollte über so etwas schon längst hinweg sein. Bloß gut, dass sie von seinen Gefühlen noch nie etwas bemerkt hatte oder zumindest so tat.

      Evelin ahnte tatsächlich, dass der Professor sie heimlich verehrte, gab ihm jedoch keine Gelegenheit, sie näher kennenzulernen. Der war doch garantiert auch so einer, dem sie es daheim recht bequem zu machen hatte und der eine feste Verbindung für angebracht hielt. Doch die wollte sie auf gar keinen Fall!

      Ihre lose Beziehung zu dem um vier Jahre jüngeren Mario Samuel befriedigte sie schon eher und genügte ihr vollkommen. Er wohnte nicht bei ihr und kam nur gelegentlich vorbei, wenn sie mal Lust auf einen netten Abend hatte. An ihr Kind dachte sie nur selten, an Henrik noch weniger.

      An diesem Abend Ende März war sie vor einer knappen Stunde vom Dienst nach Hause gekommen – in ihre geräumige und dank Fanny Hofer sehr gepflegte Eigentumswohnung. Sie hatte eine Kleinigkeit gegessen, hatte sich anschließend geduscht, hatte sich einen lilafarbenen Hausanzug angezogen und war gerade im Begriff, Mario anzurufen, als jemand an der Wohnungstür klingelte.

      Mama und Papa sind schon wieder da, dachte sie missmutig, weil sie überhaupt keine Lust hatte, sich deren Geschwafel über eigene Krankheiten und die fremder Leute anzuhören. Aber sie musste wohl so tun, als würden sie deren Berichte sehr interessieren. Die beiden hatten ihr immerhin diese Wohnung geschenkt und waren auch sonst sehr großzügig. Sie zwang sich daher zu einem Lächeln und öffnete die Tür. Und nun war das Lächeln echt, denn dort stand Mario Samuel. Und der wirkte ungewöhnlich ernst, sodass sie besorgt fragte: »Ist etwas passiert?«

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