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lenkte Evelin schnell ein, nahm die Kleine bei der Hand und ging mit ihr zu der entsprechenden Abteilung. Reni ging (vor sich hin maulend) mit und wurde erst etwas zugänglicher, als sie eine dunkelblaue Leggings, ein gelbes T-Shirt und dazu passende Schuhe und Ohrstecker bekam.

      »Da nun der Familienfrieden wiederhergestellt ist, können wir wohl etwas essen gehen«, meinte Henrik betont burschikos und lud die Damen ein, mit ihm in einem guten Lokal zu speisen.

      *

      »Ich will nach Hause«, quengelte Reni, nachdem ihr Vater die ›Tante‹ wieder zu ihrer Pension gebracht hatte und sich nun mit ihr unterhielt, das heißt, meist sprach die ›Tante‹. Sie sprach vor allem von ihrer Arbeit und einer großen fremden Stadt, in der alles viel schöner war als hier.

      »Ja, ich bringe dich gleich nach Hause«, antwortete er ziemlich geistesabwesend. »Dann kannst du noch ein bisschen mit Thea und Mia spielen und ihnen deine Elfenkiste zeigen.«

      »Au ja!« Die Kleine zappelte vor Ungeduld und registrierte nicht, wie ihre Mutter sich weinerlich beschwerte: »Und ich muss nun ganz allein bleiben.«

      »Nein, das musst du nicht«, versicherte ihr Henrik hastig. »Ich komme nachher wieder, aber für Reni war es erst einmal genug. Sie ist bei Gitta und ihren Freundinnen jetzt besser aufgehoben und hat dort auch mehr Abwechslung.«

      Evelin wusste nicht, ob sie nun enttäuscht oder erleichtert war. Einerseits war die wissbegierige und aufmüpfige Kleine auf die Dauer ziemlich anstrengend, andererseits tat es doch irgendwie weh, von ihr so abweisend behandelt zu werden.

      »Ja, bringe sie nach Hause«, entschied sie schließlich und bedachte ihn mit einem lockenden Blick. »Sie ist ja noch ziemlich klein und möchte spielen. Was noch zu besprechen ist, können wir auch ohne sie tun.«

      Henrik, dem plötzlich sehr warm geworden war, nickte zustimmend, half seiner Tochter in ihre Jacke, setzte ihr das Mützchen auf und wies sie danach an, der Mutti »Auf Wiedersehen« zu sagen.

      Reni gehorchte aufs Wort und lief danach laut trällernd zur Tür und dann zum Auto, das ihr Vater auf dem Parkplatz unmittelbar vor der Pension zu stehen hatte. Sie bemerkte nicht, wie ihre Mutter den Vater auf den Mund küsste und ihm anschließend etwas ins Ohr flüsterte.

      *

      Gitta hatte diesen Donnerstag vor Ostern bisher so gut wie allein verbracht, hatte ihren Urlaubstag genutzt, um zu putzen und zu waschen, Kuchen zu backen und alles für das Fest vorzubereiten.

      Und so schaute sie verdutzt auf, als Henrik und Reni schon wieder zur Tür hereinkamen, und meinte verwundert: »Das war aber ein kurzer Besuch.«

      »Bei der Tante war es echt langweilig«, antwortete die Kleine. »Aber sie hat mir was geschenkt. Sieh mal, Leggings, T-Shirt, Schuhe und Ohrstecker und die Kiste da. Da sind jede Menge Verkleidungskleider drin.«

      Sie wies mit der Hand auf ihren Vater, der das mütterliche Geschenk eben im Wohnzimmer auf den Teppich gestellt hatte. Die kleinen Päckchen legte er dazu.

      »Ich hätte ja viel lieber einen Goldhamster gehabt«, vertraute Reni ihrer Gitta an. »Aber die Muttitante mag keine Tiere. Sie hat gesagt, die sind …«

      »Du bist auch noch zu klein, um ein Tier pflegen und versorgen zu können«, warf Henrik genervt ein, noch ehe seine Tochter das Wort ›ekelhaft‹ hervorbringen konnte. Und an Gitta gewandt, erklärte er mit gepresster Stimme: »Ich muss nachher noch mal los. Evelin und ich, wir wollen noch wegen Reni einiges in Ruhe besprechen. Sie kommt ja bald zur Schule. Zum Abendessen bin ich aber wieder zurück.«

      Gitta nickte nur. Was hätte sie auch sagen sollen? Henrik wollte sie zwar heiraten, aber Reni war nun einmal nicht ihr leibliches Kind. Und vielleicht bereute er auch schon, ihr einen Heiratsantrag gemacht zu haben. Alte Liebe rostete ja bekanntlich nicht. Und Evelin Hollstein war eine sehr schöne Frau, der er wahrscheinlich nur schwer widerstehen konnte – oder gar nicht.

      Einige Stunden später, nachdem die Kleine eine Weile mit den Nachbarskindern gespielt, anschließend zu Abend gegessen hatte und inzwischen schon schlief, war Henrik immer noch nicht da. Er hatte sich auch nicht mehr gemeldet. Es war daher naheliegend, dass er mit seiner Ehemaligen diesen Tag beenden wollte. Oder war ihm etwas passiert? Unruhig und besorgt ging Gitta immer wieder zum Küchenfenster, von dem sie einen Teil der Straße überblicken konnte. Doch von Henrik und seinem Auto war nichts zu sehen.

      Ich sollte ihn auf seinem Handy anrufen, dachte sie und tat es dann doch nicht. Es hätte doch allzu sehr nach Eifersucht ausgeschaut. Gegen Mitternacht kam er dann endlich – mit einem Taxi und nicht mehr ganz nüchtern.

      »Wir haben noch ein bisschen gefeiert und von alten Zeiten geredet«, erklärte er ihr ziemlich verlegen. »Ich habe gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist.«

      »So ist es immer, wenn man sich nach Jahren wiedersieht«, erwiderte Gitta mit gut gespielter Gelassenheit. Trotz allem war sie froh, dass er wohlbehalten wieder zu Hause gelandet war, schimpfte aber: »Du hättest anrufen können, damit ich mir keine Sorgen zu machen brauche.«

      »Ja, hätte ich«, gab er zerknirscht zu. »Aber ich habe einfach nicht daran gedacht. Sei nicht böse.«

      Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich, so wie er es oft und gern tat. Sie hatte aber dennoch das Gefühl, als sei sie ihm gar nicht mehr wichtig und er mit seinen Gedanken ganz woanders.

      In dieser Nacht lag sie neben ihrem seelenruhig schnarchenden Zukünftigen, konnte jedoch nicht schlafen und grübelte nur. Henrik hatte ihr zwar mehr als einmal versichert, dass seine Ex-Frau ihm mittlerweile ziemlich gleichgültig geworden sei. Aber sie konnte jetzt nicht mehr daran glauben.

      Am anderen Morgen wachte er mit einem gehörigen Kater auf, war mürrisch und sichtlich verlegen, so als würde ihm das schlechte Gewissen sehr zu schaffen machen.

      Gitta äußerte sich nicht zu seiner desolaten Verfassung, Reni fragte jedoch: »Hast du Bauchschmerzen, Papa?«

      »Nein, ich habe nur schlecht geschlafen und habe lediglich Kopfschmerzen. Die werden an der frischen Luft sicher bald vergehen. Wollen wir einen Spaziergang machen, Mauselchen? Dann kann die Tante Gitta in aller Ruhe mit dem Osterhasen reden. Der muss doch wissen, wohin er hier die Eier legen soll.«

      Reni machte vor Überraschung Kulleraugen, sah aber die Notwendigkeit eines Ausfluges in die Natur ein. An der Hand des Vaters marschierte sie eine halbe Stunde später den sogenannten Stadtwall entlang, bis sie – leider – vor der Pension der ›Muttitante‹ angekommen waren. Was sollte denn das werden? Da waren sie doch erst gestern gewesen!

      »Wir besuchen jetzt die Mutti«, erklärte der Vater unmissverständlich, was Reni nun gar nicht gefiel. Sie blieb abrupt stehen und rief empört: »Ich komme aber nicht mit.«

      »Und warum nicht?«, erkundigte er sich verärgert.

      »Weil ich die nicht leiden kann.«

      »Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst sie doch gar nicht. Außerdem ist sie deine Mutti.«

      »Ich will die aber nicht haben, Tante Gitta ist doch meine Mutti.«

      Das Kleine hatte recht. Evelin hatte sie zwar geboren, war jedoch im wahrsten Sinne des Wortes nie ihre Mutter gewesen. Ob sie es jetzt endlich sein wollte, wusste er nicht. Darüber hatten sie nicht gesprochen, über Renis Entwicklung und eine geeignete Schule allerdings auch nicht. Sie waren sich nur in die Arme gefallen und hatten im Rausch von Verlangen und Begehren an das kleine Mädchen überhaupt nicht gedacht.

      Was sollte nun werden? Sollte er sich mit seiner Ex-Frau endgültig versöhnen? Sollte er mit Reni zu ihr nach München ziehen, so wie sie es wollte? Sollte er seine Großmutter, die ihn aufgezogen hatte, sich selbst überlassen? Sollte er seine Arbeit aufgeben und auf der Karriereleiter wieder ganz unten anfangen? Und schließlich und endlich sollte er Gitta verlassen, die sein Kind wie eine Mutter liebte und versorgte, die ihn liebte und auch in schwierigen Situationen zu ihm hielt? Und der er die Ehe versprochen hatte!

      Nein, diese Nacht mit Evelin musste ganz schnell zur Vergangenheit gehören,

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