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Seine Tochter konnte unmöglich einen armen Gatten haben. Das kam ihm nicht wohlanständig, ja unvornehm vor. Dies war der Grund seiner verschwenderischen Schenkungen. Am Tage darauf schwenkte seine Phantasie bereits in eine neue Richtung. Er meinte, Julian müsse die stumme Sprache dieser Freigebigkeit dahin verstehen: sich unter falschem Namen nach Amerika einschiffen und Mathilden mitteilen, er sei gestorben für sie. Sofort bildete sich der Marquis ein, ein solcher Brief sei unterwegs. Er stellte sich den Eindruck auf seine Tochter vor.

      Am Tage, da er Mathildens wirklichen Brief erhielt, träumte Herr von La Mole zur Abwechslung davon, Julian morden oder verschwinden zu lassen. Dann kam er auf den Gedanken, ihm eine glänzende Zukunft zu bereiten. In Gedanken verlieh er ihm den Namen eines seiner Güter. Warum sollte er ihm nicht seine Pairswürde überlassen? Hatte der Herzog von Chaulnes, sein Schwiegervater, seitdem sein einziger Sohn in Spanien gefallen war, nicht mehrfach davon gesprochen, seinen Herzogstitel auf den Grafen Norbert übertragen zu wollen?

      Der Marquis sprach mit sich selbst. »Man kann Julian eine einzigartige Geschicklichkeit in Geschäften, Wagemut, ja Elan nicht absprechen. Aber es ist mir, als lauere in der Tiefe seines Charakters etwas Fürchterliches. Diesen Eindruck macht er allgemein. Es muß also an dem sein…«

      Je schwieriger ihn die Ergründung dieses Geheimnisses dünkte, um so mehr graute ihm, dem Phantasten, davor.

      »Meine Tochter hat neulich die sehr gescheite Bemerkung gemacht, Julian habe sich keinem Salon und keiner Clique angeschlossen. Er hat sich mir gegenüber keines Rückhalts versichert. Wenn ich ihn im Stich lasse, steht ihm nicht die geringste Hilfe zu Gebote. Soll ich das als Unkenntnis der Gesellschaft von heute deuten? Ich habe ihm zwei-oder dreimal gesagt: Es gibt keine sicherere und erfolgreichere Kandidatur als die des Salons… Nein. Gewandter, umsichtiger Advokatengeist, der keine Minute, keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen läßt, der fehlt ihm durchaus! Er ist kein Charakter wie Ludwig XI. Und doch sehe ich andrerseits, daß in seiner Weltanschauung unedle Elemente ihr Wesen treiben. Hier ist meine Menschenkenntnis zu Ende. Sollte er sich dieses Gift eingeimpft haben, um seinen Enthusiasmus zu neutralisieren?

      Übrigens, eines ist sonnenklar: Verachtung erträgt er nicht. Daran halte ich mich. Vor hoher Geburt beugt er sich nicht. Er respektiert unsereinen nicht aus Instinkt. Daran ist nichts zu ändern. Leider. Eigentlich sollte seinesgleichen nur zweierlei nicht ertragen können: Mangel an Geld und an Genuß! Er ist aus der Art geschlagen. Um keinen Preis erduldet er Verachtung.«

      Der Brief seiner Tochter erheischte einen Entschluß.

      »Die große Frage ist die«, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. »War dieser Julian so vermessen, meiner Tochter den Kopf zu verdrehen, weil er weiß, daß ich sie über alles liebe und daß ich zwölffacher Millionär bin? Mathilde behauptet das Gegenteil… Mein verehrter Herr Sorel, das ist ein Punkt, in dem ich mir nichts vormachen lasse! Handelt es sich hier wirklich um wahre blinde Liebe oder um gemeine Gier, in eine gute Lage zu kommen? Mathilde hat mich richtig beurteilt. Von Anfang an hat sie gewußt: Ein solcher Verdacht macht mich steinhart. Daher ihr Geständnis, sie sei die Verführerin… Sollte sich eine junge Dame von so stolzem Charakter so weit vergessen haben, ihm grobe Avancen zu machen? Ihm abends im Garten den Arm zu drücken? Pfui Teufel! Als ob sie nicht hundert anständigere Mittel gehabt hätte, ihm ihre Gunst anzudeuten!

      Wer sich entschuldigt, klagt sich an! Ich traue Mathilden nicht…«

      In seiner weiteren Grübelei kam er zu einem bestimmteren Ergebnis denn sonst. Ganz aber überwand er seine Gewohnheit nicht. Er beschloß, Zeit zu gewinnen und seiner Tochter zu schreiben.

      So schrieben sie sich innerhalb des Hauses. Der Marquis wagte nicht mit seiner Tochter Auge in Auge zu reden. Er fürchtete, durch impulsive Nachgiebigkeit alles zu verderben.

      Er schrieb ihr:

      »Begehe vor allen Dingen keine neuen Torheiten! Hier hast Du ein Kavallerie-Oberleutnantspatent für Herrn Chevalier Julian Sorel von La Vernaye. Du siehst, daß ich alles mögliche für ihn tue. Arbeite mir nicht entgegen! Verhalte Dich still und stumm! Julian soll binnen vierundzwanzig Stunden abreisen und sich in Straßburg bei seinem Regiment melden. Anbei einen Scheck auf meinen Bankier. Ich verlange Gehorsam.«

      Die Freude der Liebenden war grenzenlos. Um den Sieg auszunutzen, antwortete sie auf der Stelle:

      »Herr von La Vernaye würde Dir vor Dankbarkeit zu Füßen fallen, wenn er alles das wüßte, was Du gnädigst für ihn getan hast. Aber bei aller Großmut hat mein Vater mich vergessen. Die Ehre seiner Tochter steht auf dem Spiel. Kompromittiert, verfalle ich ewiger Schande, die keine noch so hohe Jahresrente wieder gutmachen kann. Ich werde das Patent nur an Herrn von La Vernaye weiterschicken, wenn Du mir Dein Wort gibst, daß meine Hochzeit im Laufe der nächsten vier Wochen öffentlich in Villequier gefeiert wird. Es ist die höchste Zeit. Bald wird Deine Tochter nur noch als Frau von La Vernaye öffentlich erscheinen dürfen.

      Herzlichst danke ich Dir, daß Du mich vor dem Namen Sorel gerettet hast…!«

      Es kam die unerwartete Antwort:

      »Gehorche, oder ich mache alles rückgängig! Büße nur Deine Torheit in Hangen und Bangen! Noch kenne ich Deinen Julian nicht und Du erst recht nicht. Er soll nach Straßburg gehen und sich dort gut führen. In vierzehn Tagen erfährst Du meine weiteren Absichten.«

      Dieser energische Brief setzte Mathilde in Erstaunen.

      »Noch kenne ich Julian nicht!« Dieser Satz machte sie nachdenklich. Schließlich aber verlor sie sich in den holdesten Träumereien, die sie mit der Wirklichkeit verwechselte. »Mein genialer Julian paßt nicht in die armselige Uniform der guten Gesellschaft. Mein Vater glaubt an seine Überlegenheit nicht, und zwar gerade in Hinsicht auf Dinge, die sie beweisen…

      Allerdings: füge ich mich dieser Anwandlung von Energie nicht, so kann es zu einem öffentlichen Skandal kommen. Ein Bruch mit meinem Vater verringert mein gesellschaftliches Ansehen und macht mich am Ende auch Julian weniger begehrenswert. Dazu die Armut! Nein, die Torheit, einen Mann seiner Persönlichkeit wegen zu wählen, ist nur im Reichtum nicht lächerlich. Sobald ich fern von meinem Vater lebe, vergißt er mich wahrscheinlich. Er ist betagt. Norbert wird eine liebenswürdige und gewandte Frau heiraten. Wurde Ludwig XIV. in seinem Alter nicht von der Herzogin von Burgund berückt?«

      Sie entschloß sich zum Gehorsam, jedoch hütete sie sich, den väterlichen Brief Julian mitzuteilen. Bei seiner heftigen Natur konnte er leicht etwas Unbedachtes begehen.

      Als sie ihm am Abend die Nachricht überbrachte, er sei Husaren-Oberleutnant, kannte seine Freude keine Grenzen. Sein Ehrgeiz; frohlockte. Die Namensänderung kam ihm ganz unerwartet.

      »Alles in allem«, sagte er sich, »ist mein Roman nun zu Ende. Ich habe meine Sache vorzüglich gemacht. Ich habe es fertiggebracht, vom hochmütigsten aller Wesen geliebt zu werden. Der Marquis kann ohne sie nicht leben, und Mathilde nicht ohne mich.«

      65. Kapitel

      Seine Seele flog in die Weite. Kaum erwiderte er Mathildens Liebkosungen. Still und versonnen saß er da. Niemals aber war er ihr so anbetungswürdig, so groß und genial erschienen. Nur bangte ihr, sein Stolz könne durch irgendwelchen Mißklang verletzt werden. Sie hatte Angst vor einem Zwischenfall, der mit einem Schlage alles wieder veränderte.

      Fast alle Vormittage sah sie den Pfarrer Pirard ins Haus kommen. Sollte Julian durch ihn nicht über die Absichten ihres Vaters einigermaßen unterrichtet sein? Konnte ihm der Marquis schließlich nicht selber geschrieben haben? Wie sollte sich Mathilde Julians ernste Miene nach einem so großen Glücke sonst erklären? Sie wagte nicht zu fragen.

      Sie wagte es nicht! Sie, Mathilde von La Mole!

      Von Stund an war ihre Liebe zu Julian, ihr ganzes Gefühlsleben durchzittert von etwas Vagem, Bangem, Grauenhaftem. Die Leidenschaft, deren eine inmitten der Überkultur einer Weltstadt groß gewordene kühle Seele überhaupt fähig ist, hatte ihren Höhepunkt erreicht.

      Am andern Morgen in der Frühe fand sich Julian im Pirardschen Pfarrhause ein. Alsbald fuhr eine in der nächsten Posthalterei gemietete alte wackelige Postkutsche in den Hof ein.

      »Es ist zum letzten Male, daß Sie in solch einem Wagen fahren. Das schickt

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