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dann stand er auf. »Was Wolfgang Metzler gerade ausgeführt hat, ist blanker Unsinn. Ich selbst war jahrelang Chef der CHEMCO und weiß um die Unfallgefahr in einem Chemiewerk Bescheid. Für Gerold Brück wäre so und so jede Hilfe zu spät gekommen. Die Säure dürfte seine Haut verätzt haben, und die Verbrennungen haben ein übriges getan. Nach diesem Unfall hatte Brück keinerlei Überlebenschance.«

      »Falsch!« mischte sich Dr. Metzlar energisch ein. »Ich wußte von vornherein, daß Herr Bergmann die Tatsachen verdrehen würde, und habe deshalb eine Autopsie verlangt. Daraus geht eindeutig hervor, daß der Schock die Todesursache war. Herr Brück erlitt zwar schwerste Verätzungen und Verbrennungen, doch daran hätte er nicht sterben müssen.«

      »Er hätte nur ausgesehen wie ein Ungeheuer«, warf Martin Bergmann bissig dazwischen.

      »Es wäre am Leben!« betonte Dr. Metzler scharf. »Und die plastische Chirurgie ist heute auf einem medizinischen Stand…«

      »Das ist doch alles Unsinn!« fiel Martin Bergmann ihm ins Wort. »Das ganze Gerede, was hätte sein können, wenn… führt doch zu nichts. Gerold Brück erlitt einen bedauerlichen Unfall, aber Tatsache ist nun mal…«

      »Nein, Herr Bergmann!« fuhr Dr. Metzler dazwischen. »So einfach dürfen Sie es sich nicht machen. Herr Brück ist nicht der einzige, der gestorben ist, weil er nicht schnell genug in ein Krankenhaus gekommen ist oder zumindest noch am Unfallort die dringend nötige Infusion bekommen hat.« Er wandte sich wieder an die anderen Gemeinderatsmitglieder. »Meine Herren, es liegt zwar schon über zwanzig Jahre zurück, aber viele von Ihnen werden sich noch an den Tod meines Vaters erinnern. Damals wurde auch von einem bedauerlichen Unfall gesprochen. Tatsache war aber, daß mein Vater nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen ist, sonst wäre er heute noch am Leben. Damit das kein drittes Mal geschieht, verlange ich, daß Sie dem Bau einer Klinik nicht nur zustimmen, sondern diesen auch finanzieren. Eine Klinik in Steinhausen ist kein Luxus, sondern dringende Notwendigkeit.«

      Atemlose Stille folgte Dr. Metzlers Worten, dann erhob sich Bürgermeister Schütz. Man sah ihm an, daß er sich lieber irgendwo verkrochen hätte, aber er wußte, daß es seine Pflicht war, jetzt das Wort zu ergreifen.

      »Herr Dr. Metzler, ich verstehe Ihre Beweggründe, aber ich glaube, Sie machen es sich zu einfach«, begann er ein wenig unsicher. »Der Bau einer Klinik mag für die Angestellten der CHEMCO vielleicht eine Beruhigung darstellen, aber für die Allgemeinheit… ich meine, für die restlichen Einwohner von Steinhausen… immerhin haben wir ja das Kreiskrankenhaus in der Nähe…«

      »Es tut mir leid, wenn ich Sie unterbrechen muß«, mischte sich Dr. Daniel ein. »Das Kreiskrankenhaus mag für leichte Unfälle oder Blinddarmoperationen durchaus geeignet sein. Ich möchte dem dortigen Chefarzt keinesfalls zu nahe treten, aber ich überweise weit mehr Patientinnen an die großen Münchner Kliniken. Was Dr. Metzler und ich möchten, ist kein riesiges Krankenhaus mit unendlich vielen Abteilungen. Damit wären wir nur ein zweites Kreiskrankenhaus, und das ist nicht in unserem Sinne. Die Steinhausener Klinik sollte lediglich mit einer großen Chirurgie ausgerüstet sein und eine Abteilung für Gynäkologie enthalten. Damit könnte man nicht nur den Angestellten der CHEMCO Sicherheit vermitteln, sondern darüber hinaus auch vielen Frauen, vor allem den schwangeren Frauen, den Weg nach München ersparen. Und die Kosten für eine solche Klinik würden sich ebenfalls

      in überschaubaren Grenzen halten.«

      Bürgermeister Schütz suchte die Blicke seiner Gemeinderatsmitglieder, doch damit hatte er nicht viel Glück. Der blankpolierte Beratungstisch schien um vieles interessanter zu sein.

      »Tja, also…«, begann der Bürgermeister zögernd. »Das klingt zwar einleuchtend, aber… ich fürchte, darüber müssen wir noch eingehend beraten.« Er überlegte, was er noch vorbringen könnte. »Wir werden erst mal Kostenvoranschläge einholen, und dann… nun ja, alles braucht seine Zeit.« Er fügte noch ein paar höfliche Floskeln hinzu, bevor er die Gemeinderatsmitglieder entließ und selbst eiligst das Weite suchte.

      »Das ist alles hoffnungslos«, seufzte Dr. Metzler.

      Dr. Daniel nickte. »Das fürchte ich auch. Einen Augenblick lang habe ich gehofft, wir würden sie doch überzeugen können.« Er zuckte die Schultern. »Solange wir nicht selbst mindestens die Hälfte der Finanzierung sichern können, wird die Gemeinde keinen Finger rühren, um uns zu helfen.«

      *

      Dr. Daniel hatte die Tür noch nicht hinter sich geschlossen, als ihm seine Schwester aufgeregt entgegenkam.

      »Na endlich!« stieß sie hervor. »Ich dachte schon, du würdest im Rathaus übernachten. Carmen hat Fieber.«

      Dr. Daniel erschrak sichtlich, dann lief er – immer zwei Stufen auf einmal nehmend – die Treppe zur oberen Etage hinauf und stürzte in das Zimmer, das einst Karina gehört hatte.

      Unruhig wälzte sich Carmen im Bett herum, ihr schmales Gesichtchen glühte.

      »Ich habe ihr Wadenwickel gemacht, aber es hat nichts genützt«, erklärte Irene aufgeregt.

      Dr. Daniel setzte sich zu dem fiebernden Mädchen aufs Bett.

      »Ich nehme an, daß ist eine Reaktion auf den Tod ihres Vaters und die Aufregung der letzten Tage«, vermutete er. »Aber ich bin auf diesem Gebiet natürlich kein Fachmann.« Er überlegte kurz. »Ruf bei Wolfgang an. Die Nummer steht in meinem roten Büchlein unter M.«

      Irene nickte nur, dann eilte sie nach unten. Hastig blätterte sie und fand dann die gesuchte Eintragung: Metzler.

      Mit zitternden Händen hob sie den Hörer ab, wählte die Nummer und erklärte Dr. Metzler schließlich in knappen Worten, worum es ging. Keine fünf Minuten später war er schon zur Stelle.

      »Tut mir leid, daß ich dich herhetzen mußte«, entschuldigte sich Dr. Daniel. »Aber ich bin nun mal Gynäkologe.«

      Dr. Metzler winkte ab. »Das ist schon in Ordnung, Robert.« Er setzte sich auf den Bettrand. »Na, dann wollen wir mal sehen, was der jungen Dame fehlt.«

      In diesem Moment erwachte Carmen aus ihrem Fieberschlaf und erkannte in dem Mann an ihrem Bett den Arzt, der ihr nach dem Tod ihres Vaters die Spritze gegeben hatte.

      »Nein«, wimmerte sie. »Es tut mir wieder weh!«

      Mit einer zarten Geste streichelte Dr. Metzler durch ihr vom Fieber feuchtes Haar.

      »Keine Angst, Mädchen, ich will dich nur untersuchen«, erklärte er in sanftem Ton, und seine tiefe, beruhigende Stimme zeigte tatsächlich Wirkung.

      Vorsichtig tastete Dr. Metzler nach den Drüsen und hörte gewissenhaft Herz und Lunge ab, dann holte er aus seiner Tasche ein Spatel.

      »So, Carmen, jetzt machst du deinen Mund mal ganz weit auf und streckst die Zunge heraus«, bat

      er.

      Carmen gehorchte, und mit dem Spatel drückte Dr. Metzler ihre Zunge herunter, um ungehinderten Einblick in den Rachen zu bekommen.

      »Hast du Kopfschmerzen?« wollte er schließlich noch wissen, doch Carmen verneinte.

      »Sie ist körperlich völlig gesund«, erklärte er an Dr. Daniel gewandt.

      Dieser nickte. »Das habe ich mir fast gedacht. Es ist eine Reaktion auf die Ereignisse der vergangenen Tage, nicht wahr?«

      »Richtig.« Dr. Metzler stand auf. »Das war eigentlich auch zu erwarten.« Er schwieg kurz. »Ich habe nach dem Tod meines Vaters ebenfalls sehr hohes Fieber bekommen.« Dann wandte er sich Carmen wieder zu. »So, meine Kleine, jetzt werden wir mal etwas gegen die Hitze tun, die dir so zu schaffen macht.«

      Carmen sah zu ihm auf, und dabei lag unübersehbare Angst in den fiebrig glänzenden Augen. »Bitte, keine Spritze.«

      »Keine Sorge«, meinte Dr. Metzler beruhigend. »Ich tue dir bestimmt nicht weh. Du legst dich jetzt auf die Seite und ziehst deine Beine an. Alles andere geht dann ganz von selbst. So, Carmen, nicht erschrecken, was du jetzt spürst, ist nur ein Zäpfchen. Nun? Hat’s weh getan?«

      Carmen

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