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und eines leichten Sieges gewiß. Sicheres Auftreten hängt von der Umgebung ab. Im ersten Stock spricht man anders als im vierten, und es ist beinahe, als seien die Banknoten einer reichen Frau ihr Tugendwächter. Sie trägt sie alle mit sich wie ein Panzerhemd unter ihrem Korsett.

      Nachdem sich Leo von Herrn und Frau Bovary verabschiedet hatte, war er aus einiger Entfernung den beiden durch die Straßen gefolgt, bis er sie im »Roten Kreuz« verschwinden sah. Dann machte er kehrt und grübelte die ganze Nacht hindurch über einen Kriegsplan.

      Am andern Tag nachmittags gegen fünf Uhr betrat er den Gasthof mit beklommener Kehle, blassen Wangen und dem festen Entschluß, vor nichts zurückzuscheuen.

      »Der Herr Doktor ist schon wieder abgereist!« vermeldete ihm ein Kellner.

      Leo faßte das als gutes Vorzeichen auf. Er stieg hinauf.

      Emma war offenbar gar nicht aufgeregt, als er eintrat. Sie bat ihn kühl um Entschuldigung, daß sie gestern vergessen habe, ihm mitzuteilen, in welchem Gasthofe sie abgestiegen seien.

      »O, das habe ich erraten«, sagte Leo.

      »Wieso?«

      Er behauptete, das gute Glück, eine innere Stimme habe ihn hierher geleitet.

      Sie lächelte; und um seine Albernheit wieder gutzumachen, log er nunmehr, er habe den ganzen Morgen damit zugebracht, in allen Gasthöfen nach ihnen zu fragen.

      »Sie haben sich also entschlossen zu bleiben?« fügte er hinzu.

      »Ja,« gab sie zur Antwort, »aber ich hätte es lieber nicht tun sollen. Man darf sich nicht an unpraktische Vergnügungen gewöhnen, wenn man zu Hause tausend Pflichten hat…«

      »Ja, das kann ich mir denken…«

      »Nein, das können Sie nicht. Das kann nur eine Frau.«

      Er meinte, die Männer hätten auch ihr Kreuz, und nach einer philosophischen Einleitung begann die eigentliche Unterhaltung. Emma beklagte die Armseligkeit der irdischen Freuden und die ewige Einsamkeit, in die das Menschenherz verbannt sei.

      Um sich Ansehen zu geben, oder vielleicht auch in unwillkürlicher Nachahmung ihrer Melancholie, die ihn angesteckt hatte, behauptete der junge Mann, er hätte sich während seiner ganzen Studienzeit ungeheuerlich gelangweilt. Die Juristerei sei ihm gräßlich zuwider. Andere Berufsarten lockten ihn stark, aber seine Mutter quäle ihn in jedem ihrer Briefe. Mehr und mehr schilderten sie sich die Gründe ihres Leids, und je eifriger sie sprachen, um so stärker packte sie die wachsende Vertraulichkeit. Aber ganz offen waren sie alle beide nicht; sie suchten nach Worten, mit denen sie die nackte Wahrheit umschreiben könnten. Emma verheimlichte es, daß sie inzwischen einen andern geliebt, und er gestand nicht, daß er sie vergessen hatte. Vielleicht dachte er auch wirklich nicht mehr an die Soupers nach den Maskenbällen, und sie erinnerte sich nicht ihrer Morgengänge, wie sie durch die Wiesen nach dem Rittergute zu dem Geliebten gegangen war. Der Straßenlärm hallte nur schwach zu ihnen herauf, und die Enge des Zimmers schien ihr Alleinsein noch traulicher zu machen. Emma trug ein Morgenkleid aus leichtem Stoff; sie lehnte ihren Kopf gegen den Rücken des alten Lehnstuhls, in dem sie saß. Hinter ihr die gelbe Tapete umgab sie wie mit Goldgrund, und ihr bloßer Kopf mit dem schimmernden Scheitel, der ihre Ohren beinahe ganz verdeckte, wiederholte sich wie ein Gemälde im Spiegel.

      »Ach, verzeihen Sie!« sagte sie. »Es ist unrecht von mir, Sie mit meinen ewigen Klagen zu langweilen.«

      »Keineswegs!«

      »Wenn Sie wüßten,« fuhr sie fort und schlug ihre schönen Augen, aus denen Tränen rollten, zur Decke empor, »was ich mir alles erträumt habe!«

      »Und ich erst! Ach, ich habe so sehr gelitten! Oft bin ich ausgegangen, still für mich hin, und hab mich die Kais entlang geschleppt, nur um mich im Getriebe der Menge zu zerstreuen und die trüben Gedanken loszubekommen, die mich in einem fort verfolgten. In einem Schaufenster eines Kunsthändlers auf dem Boulevard habe ich einmal einen italienischen Kupferstich gesehen, der eine Muse darstellt. Sie trägt eine Tunika, einen Vergißmeinnichtkranz im offnen Haar und blickt zum Mond empor. Irgend etwas trieb mich immer wieder dorthin. Oft hab ich stundenlang davor gestanden…« Und mit zitternder Stimme fügte er hinzu: »Sie sah Ihnen ein wenig ähnlich.«

      Frau Bovary wandte sich ab, damit er das Lächeln um ihre Lippen nicht bemerke, das sie nicht unterdrücken konnte.

      »Und wie oft«, fuhr er fort, »habe ich an Sie Briefe geschrieben und hinterher wieder zerrissen.«

      Sie antwortete nicht.

      »Manchmal bildete ich mir ein, irgendein Zufall müsse Sie mir wieder in den Weg führen. Oft war es mir, als ob ich Sie an der nächsten Straßenecke treffen sollte. Ich bin hinter Droschken hergelaufen, aus denen ein Schal oder ein Schleier flatterte, wie Sie welche zu tragen pflegen…«

      Sie schien sich vorgenommen zu haben, ihn ohne Unterbrechung reden zu lassen. Sie hatte die Arme gekreuzt und betrachtete gesenkten Hauptes die Rosetten ihrer Hausschuhe, auf deren Atlas die kleinen Bewegungen sichtbar wurden, die sie ab und zu mit den Zehen machte.

      Endlich sagte sie mit einem Seufzer:

      »Ist es nicht das Allertraurigste, ein unnützes Leben so wie ich führen zu müssen? Wenn unsere Schmerzen wenigstens jemandem nützlich wären, dann könnte man sich doch in dem Bewußtsein trösten, sich für etwas zu opfern.«

      Er pries die Tugend, die Pflicht und das stumme Sichaufopfern. Er selbst verspüre eine unglaubliche Sehnsucht, ganz in etwas aufzugehen, die er nicht befriedigen könne.

      »Ich möchte am liebsten Krankenschwester sein«, behauptete sie.

      »Ach ja!« erwiderte er. »Aber für uns Männer gibt es keinen solchen barmherzigen Beruf. Ich wüßte keine Beschäftigung … es sei denn vielleicht die des Arztes…«

      Emma unterbrach ihn mit einem leichten Achselzucken und begann von ihrer Krankheit zu sprechen, an der sie beinah gestorben wäre. Wie schade! meinte sie, dann brauche sie jetzt nicht mehr zu leiden. Sofort schwärmte Leo für die ›Ruhe im Grabe‹. Ja, er hätte sogar eines Abends sein Testament niedergeschrieben und darin bestimmt, daß man ihm in den Sarg die schöne Decke mit der Seidenstickerei legen solle, die er von ihr geschenkt bekommen hatte. Nach dem, wie alles hätte sein können, also nach einem imaginären Zustand, änderten sie jetzt in der Erzählung ihre Vergangenheit. Ist doch die Sprache immer ein Walzwerk, das die Gefühle breitdrückt.

      Bei dem Märchen von der Reisedecke fragte sie:

      »Warum denn?«

      »Warum?« Er zögerte. »Weil ich Sie so zärtlich geliebt habe!«

      Froh, die größte Schwierigkeit überwunden zu haben, beobachtete Leo Emmas Gesicht von der Seite. Es leuchtete wie der Himmel, wenn der Wind plötzlich eine Wolkenschicht, die darüber war, zerreißt. Die vielen traurigen Gedanken, die es verdunkelt hatten, waren aus ihren Augen wie weggeweht.

      Er wartete. Endlich sagte sie:

      »Ich hab es immer geahnt…«

      Nun begannen sie von den kleinen Begebnissen jener fernen Tage einander zu erzählen, von allem Freud und Leid, das sie soeben in ein einziges Wort zusammengefaßt hatten. Er erinnerte sich der Wiege aus Tannenholz, ihrer Kleider, der Möbel in ihrem Zimmer, ihres ganzen Hauses.

      »Und unsere armen Kakteen, was machen die?«

      »Sie sind letzten Winter alle erfroren!«

      »Ach, wie oft hab ich an sie zurückgedacht. Das glauben Sie mir gar nicht! Wie oft hab ich sie vor mir gesehen, wie damals im Sommer, wenn die Morgensonne auf Ihre Jalousien schien … und Sie mit bloßen Armen Ihre Blumen begossen….«

      »Armer Freund.« sagte sie und reichte ihm ihre Hand.

      Leo beeilte sich, seine Lippen darauf zu pressen. Dann seufzte er tief auf und sagte:

      »Damals übten Sie einen geheimnisvollen Zauber auf mich aus. Ich war ganz in Ihrem Banne. Einmal zum Beispiel kam ich zu Ihnen … aber Sie werden

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